© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Der Streuner als Maulheld
DVD: "Ganz normal verrückt"
Silke Lührmann

Echte Männer saufen und vögeln, bis die Leber nicht mehr mitspielt und andere Körperteile schon gar nicht. Leiden sie zudem noch an einer poetischen Ader - kommt bei echten Männern öfter vor, als man meinen sollte -, schreiben sie ihren Selbstzerstörungsdrang zur metaphysischen Übung um: die Gralssuche in der Gosse. In den Händen pubertierender Leser werden aus diesem Macho-Kitsch Kultbücher, das hat Ernest Hemingway vor-,  das haben Jack Kerouac, Henry Miller und natürlich Charles Bukowski samt ihrer Epigonen dies- wie jenseits des Atlantik nachgemacht.

Was an Bukowski so bezwingend, aller schöngeistigen Einwände spottend überzeugt, ist der aus jeder Zeile aufsteigende Gestank des prallen Lebens. Mochte sich hier einer allzu genüßlich darin wälzen, der Dreck war nie erfunden, sondern stets erfahren: am eigenen Leib und mit allen fünf Sinnen. In Marco Ferreris Verfilmung seiner "Erections, Ejaculations, Exhibitions and General Tales of Ordinary Madness" dagegen schlafwandeln Mannequins durch die stilisierte Alptraumwelt des Softporno-Schicks. Auf die körperlichen Eruptionen der Vorlage verzichtet die italienisch-französische Produktion "Storia di ordinaria follia" (Ganz normal verrückt, 1980) nicht nur im Titel: Auch die Kamera schwenkt - zumindest in der nun bei Arthaus auf DVD erhältlichen, gegenüber dem ursprünglich in den Kinos gezeigten Film um zehn Minuten gekürzten Fassung - züchtig ab, sobald es zur Sache geht.

Ben Gazzara spielt den leidenschaftlichen Alkoholiker und halbherzigen Dichter Charles Serking mit einem gütigen Augenzwinkern, vielleicht ist es auch nur ein nervöser Tick, und Gesichtshaut glatter als jeder Babypopo. Die Frauen - je nach Laune des echten Mannes Weiber oder auch Puppen - schmeißen sich ihm in die Arme wie Lemminge: Mal hübsch (Ornella Muti), mal häßlich, mal dick, mal dünn, neurotisch sind sie allemal und allesamt. Was bleibt ihm anderes übrig, als eine nach der anderen zu vernaschen und sich seinen Kummer ob ihrer Neurosen von der Seele zu saufen?

Ferreri ist es meisterhaft gelungen, die schlimmsten Exzesse des Charles Bukowski, des europäischen Kinos und der 1980er Jahre - die Stilblüten, die opulent-elegischen Nabelschauen, den freudlosen Hedonismus - zu einem grandiosen Flop zu verfilmen. Für die unerträgliche Schwere des Sehens, die angesichts von soviel Willen zur Provokation die Augenlider befällt, entschädigen einzig die Szenen aus dem Strandhaus am Pazifik, wo Möwen vom menschlichen Treiben unbeirrt vor Panoramafenstern fliegen. 

Wer seinen Bukowski als begnadeten Streuner und nicht als eitlen Maul- und Frauenhelden schätzt, sollte sich an die Bücher halten oder notfalls an die weniger verunglückten Produktionen aus Hollywood: Barbet Schroe­ders "Barfly" (1987) mit Mickey Rourke und Bent Hamers "Factotum" (2005) mit Matt Dillon in der Hauptrolle. Wer sich Ferreris Machwerk partout antun muß - sei es der Vollständigkeit halber, aus kulturgeschichtlichem Interesse, gesundem Mißtrauen gegenüber allem, was in der Zeitung steht, oder purer Perversität -, sage nicht, er sei nicht gewarnt worden.


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