© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Nur die Toten kennen keinen Krieg mehr
USA: George W. Bushs Kreuzzug für eine globale Demokratie hat die Welt nicht wirklich sicherer gemacht / Demokratie bringt nicht zwangsläufig Frieden
Patrick J. Buchanan

Als die Bourbonen 1814 auf den Thron in Versailles zurückkehrten, sagte Talleyrand, sie hätten "nichts gelernt und nichts vergessen". Dasselbe gilt leider für George W. Bush. Vor kurzem hielt der US-Präsident auf der Prager Burg eine Predigt über die Demokratie als universellen Heilsweg, als habe er nichts dazugelernt, seit er die Invasion des Irak befahl, um ebendiese Segnungen nach Mesopotamien und den Mittleren Osten zu tragen.

Bush begann mit einer Lobrede auf den Gründervater der tschechischen Demokratie: "Vor neun Jahrzehnten rief Tomáš Masaryk die tschechische Unabhängigkeit auf der Grundlage der 'Ideale der Demokratie' aus." Nun, Masaryk mag das gesagt haben - gehandelt hat er nicht danach. Tatsächlich erklärte er 1918 die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei, wie sie die Alliierten in den Pariser Vorortverträgen beschlossen hatten. Innerhalb des auf den "Idealen der Demokratie" errichteten neuen Staatsgebildes lebten jedoch drei Millionen Deutsche, die weiterhin zu Österreich gehören wollten, und eine halbe Million Ungarn, die weiterhin zu Ungarn gehören wollten. Auch viele katholische Slowaken wären lieber ungarische Bürger geblieben. Gegen ihren Willen wurden sie Masaryks Staat einverleibt.

Frage an Bush: Wenn drei Millionen Deutsche, die ohne ihre Zustimmung und gegen ihren Willen ausländischer Herrschaft unterstellt wurden, von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen wollten, wie es Woodrow Wilson predigte - hatten sie dann nicht das Recht auf friedliche Sezession und Anschluß an ihre deutschen Landsmänner? Denn darum ging es beim Münchner Abkommen. Von 1938 bis 1939 brachen Deutsche, Slowaken, Polen, Ungarn und Ruthenen - mit Unterstützung aus Berlin, Warschau und Budapest - aus Masaryks multinationaler Demokratie aus. Winston Churchill war der Meinung, Großbritannien müsse in den Krieg ziehen, um ihre Sezession von Prag zu verhindern. Wer hatte recht - der spätere britische Premierminister oder die Sudetendeutschen?

Im Anschluß an den Zweiten Weltkrieg löste die befreite Tschechoslowakei ihr Problem mit den widerspenstigen Deutschen durch Massenvertreibungen.

"Die Freiheit", verkündete Bush jüngst in Prag, "ist der Plan unseres Schöpfers und die Sehnsucht jeder Seele. ... Die Freiheit ist der Traum ... eines jeden Menschen in jedem Staat in jedem Zeitalter." Eine interessante These. Sehnten sich Lenin, Stalin, Hitler, Mussolini, Fidel Castro, Ho Chi Minh und Pol Pot in ihrer Seele nach Freiheit? Sehnte sich Churchill nach Freiheit, als er um die Erhaltung des British Empire und der britischen Herrschaft in Indien kämpfte?

"Die Verbreitung von Freiheit", so Bush, "ist der einzige realistische Weg, unser Volk langfristig zu schützen." Mit anderen Worten, wenn wir Bushs Kreuzzug für globale Demokratie aufgeben, können wir niemals sicher sein. Und doch gehörte Amerika immer zu den freiesten Staaten der Welt, selbst als die Welt unfrei war. Hat die Irak-Invasion zur Verbreitung der Freiheit uns sicherer gemacht? Nein, sie hat mehr amerikanische Leben gekostet als der 11. September 2001 und al-Qaida enormen Aufwind verschafft.

"Regierungen, die sich ihren Völkern gegenüber verantworten müssen, greifen sich nicht gegenseitig an", so Bush weiter. Das mag die Nachfahren jener Männer überraschen, die im amerikanischen Bürgerkrieg für die Unabhängigkeit der Südstaaten kämpften. Glaubt Bush etwa, Lincolns Regierung oder auch die der Konföderation habe sich nicht gegenüber dem Volk verantworten können? Und doch starben 600.000 Amerikaner in diesem Krieg zwischen zwei demokratischen Republiken.

Die Türkei und der Kurdenstaat im Norden des Irak sind Demokratien, und dennoch scheinen sie gewillt, sich miteinander anzulegen. Vorigen Sommer bombardierte das demokratische Israel fünf Wochen lang den demokratischen Libanon, tötete tausend Libanesen und machte weitere zehntausend obdachlos. 1914 stürzten sich die demokratischsten Staaten Europas in den blutigsten Krieg der Weltgeschichte. In den europäischen Hauptstädten jubelten freie Menschen begeistert ihren Söhnen zu, wie sie in den Tod marschierten. Demokratische Völker sind nicht immun gegen Blutlust.

"Junge Menschen, die ihren Regierungen offen widersprechen können, sind weniger anfällig für gewalttätige Ideologien", sagte Bush. Die Weimarer Republik war die freieste Regierungsform, die Deutschland je hatte. Doch Nazis und Kommunisten bekriegten einander unaufhörlich, und 1933 stimmte eine Mehrheit der Bevölkerung für sie. Und in den USA, dem freiesten Land der Welt, verübten puertoricanische Terroristen ein Attentat auf Harry Truman, zerschossen das Repräsentantenhaus und sprengten 1975 das New Yorker Restaurant "Fraunces Tavern" in die Luft. Die Anarchisten, Roten Brigaden, die Baader-Meinhof-Bande, die IRA, die Eta und die Islamisten, die für die Londoner Anschläge vom 7. Juli 2005 verantwortlich waren, lebten alle in demokratischen Gesellschaften.

"Jedesmal, wenn man den Menschen eine Wahl gibt, wählen sie die Freiheit", sagte Bush. Ach ja? Im Iran wählten sie 2005 Mahmud Ahmadi-Nedschad. Ein Jahr später kamen die Muslimbruderschaft in Ägypten, die Hisbollah im Libanon, die Hamas in Palästina ebenso in freien Wahlen ins Parlament oder an die Macht wie antiamerikanische Radikale in Bolivien, Ecuador und Nicaragua, die nun mit dem schon zum zweiten Mal gewählten Hugo Chávez in Venezuela gemeinsame Sache machen. Und die Deutschen wählten einst Hitler und die NSDAP.

An die Demokratie als überlegene Regierungsform zu glauben, ist das eine. Sie zu verherrlichen oder ihr die Macht zuzuschreiben, dauerhaften Frieden zwischen den Staaten zu schaffen, ist etwas völlig anderes. General MacArthur zitierte Plato: "Nur die Toten kennen keinen Krieg mehr." Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, und Völker können genauso korrupt und blutrünstig sein wie Tyrannen und Könige.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".


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