© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Zufall und Schicksal
Neu auf DVD: "Fahrstuhl zum Schafott"
Werner Olles

Ein Mann erschießt den Ehemann seiner Geliebten. Als er eine verräterische Spur beseitigen will, bleibt er im Fahrstuhl stecken. So mißlingt der sorgfältig ausgeklügelte Plan, und der Zufall stellt alle Beteiligten vor eine neue Entwicklung. So einfach kann eine Kinogeschichte sein. Doch in Louis Malles Erstling "L'Ascenseur Pour L'Echafaud" (Fahrstuhl zum Schafott, 1957) entwickelt sich die raffinierte Krimihandlung gewissermaßen zum filmischen Traumspiel. Henri Decaes stimmungsvolle Fotografie, die atmosphärische Musik von Miles Davis und das intensive Spiel der Hauptdarsteller bilden sich zu einer düster-poetischen Studie über Schuld und Sühne, Liebe und Mißtrauen, Zufall und Schicksal.

Malle, der gemeinsam mit Roger Nimier auch das Drehbuch schrieb, erzählt seine Geschichte in der Form eines persönlichen Berichts durch Off-Kommentare. Die schöne junge Florence Carala (Jeanne Moreau), die mit einem älteren, reichen Mann (Jean Wall) verheiratet ist, den sie schon lange nicht mehr liebt, überredet ihren Geliebten Julien (Maurice Ronet), ihn zu beseitigen. Julien, ein ehemaliger Fallschirmjäger, führt den Mord perfekt durch, und eigentlich ist jede Möglichkeit der Entdeckung ausgeschlossen. Doch als er das Hochhaus, in dem er die Tat begangen hat, verlassen will, bleibt der Fahrstuhl stecken. Verbissen kämpft er das ganze Wochenende um seine Befreiung, während Florence ihn in ganz Paris verzweifelt sucht.

Unterdessen stehlen ein junger Mann (Georges Poujouly) und seine Freundin (Yori Bertin) Juliens Auto und begehen einen Raubmord an einem deutschen Ehepaar, die als harmlose Touristen an die Seine gekommen waren. Julien, der dem Fahrstuhl schließlich entrinnen konnte, kommt wegen dieser Tat vor Gericht. Zwar kann ihn seine Geliebte zunächst entlasten, doch wider Willen legt sie damit auch die ersten Indizien offen, die Polizeiinspektor Chérier (Lino Ventura) dann zur Aufklärung des Mordes führen, den Julien wirklich begangen hat.

Wie der Zuschauer bei einem "normalen" Thriller sicher sein kann, daß am Ende für den Helden alles gut ausgeht, so weiß er hier von Anfang an, daß die Sache schiefgehen muß. Doch ist Malles Film weit mehr als nur eine Umkehr der traditionellen Erzählungen des Genres. Angesiedelt am Beginn der französischen Nouvelle Vague, wurde er nicht nur zu einem ihrer Klassiker, sondern ist auch eine stilistische Etüde, die ihre Geschichte in gewisser Weise transzendiert.

Während Henri Decaes Kamera erlesene Bilder der verregneten Straßen, Plätze und schönen Cafés des nächtlichen Paris zeichnet, die fein mit der klaustrophobischen Situation des in seinem engen Fahrstuhl gefangenen Julien kontrastieren, schafft die Musik von Miles Davis zu all diesen großartigen Bildern eine kühle Distanz, die wiederum durch die verzweifelte nächtliche Suche Jeanne Moreaus wie von selbst in ein Gefühl der Trauer und Verlorenheit übergeht. Mehr Melancholie hat man im Kino selten gesehen und gehört.

Die bei Alive erschienene DVD enthält eine zusätzliche Audio-CD mit der Filmmusik und Miles Davis in einer Jam-Session.


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