© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

Der Geist in der Form
Ausstellung II: Seit hundert Jahren veredelt der Deutsche Werkbund die Industrie
Marc Cremer-Thursby

Der Deutsche Werkbund feiert in diesem Jahr seine Gründung vor einhundert Jahren. Wenig scheint man heute noch von dieser historischen Institution zu spüren. Ihre Aufgaben und Anliegen sind über die zehn Jahrzehnte hindurch offenbar erfüllt; ihr eigentliches Credo ist zeitgemäßer denn je.

Im Jahr 1907 gründeten Architekten und  Vertreter aus Industrie, Handel und Handwerk den Deutschen Werkbund. Zu ihnen gehörten namhafte Künstler wie Hermann Muthesius, Fritz Schuhmacher, Peter Behrens, Walter Gropius, Henry van de Velde, Heinrich Tessenow, Paul Schmidthenner - um nur einige zu nennen -, aber auch Politiker wie Friedrich Naumann oder der Großindustrielle Walter Rathenau. Diese Gemeinschaft von nicht unbedingt Gleichgesinnten hatte dennoch ein gemeinsames Ziel, sie nannten es: die Veredelung der industriellen Arbeit.

Den industriell gefertigten Produkten, vom Haus bis zum Hausrat, von der Fabrikanlage bis zur Bogenlampe sollte eine edle und ehrliche Form verpaßt werden, und das war auch ethisch gemeint. Damit wollten die Werkbundleute nicht nur Formen schöner machen, sondern auch die Gesellschaft verändern. Das war ganz im Sinne der bildungsbürgerlichen Schicht im Wilhelminischen Deutschland, die gebildet, belesen, kunstliebend und musikalisch den Willen zur neuen, einfachen, sachlichen Form teilte und unterstützte. Es gehörte zum guten Ton in jenen Kreisen, sich für die Werkbundform einzusetzen und sich um das, was man "die soziale Frage" nannte, zu kümmern.

Man muß sich vergegenwärtigen, wie die industrielle Serienfertigung in die Herstellung von handwerklichen Produkten seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer mehr eingriff. Die Maschinen übernahmen die ursprüngliche Arbeit des Handwerkers, die Maschinen arbeiteten sogar schneller, präziser und preisgünstiger. Das dadurch entstehende soziale Elend einerseits, aber auch die von Maschinen gefertigten bedeutungslos gewordenen Ornamente riefen politische und künstlerische Reformbewegungen hervor. Wo waren die Formen, die den Geist einer modernen und sozial  gerechten Industriegesellschaft spiegelten? Viele ehemalige Maler und Architekten begannen sich um den Entwurf von Haus und Hausrat zu kümmern, denn das waren die eigentlichen Herausforderungen der Zeit. Sie gestalteten Innenräume, sie entwarfen Tische, Töpfe, Tassen und Kleidung; sie machten sich Gedanken über gut klimatisierte Fabriken und lebenswerte Häuser zum preiswerten Wohnen.

In einem gemeinsamen Kraftakt begann eine ganze Gesellschaft sich menschenwürdigere Lebensumstände zu schaffen. Fragen der Typisierung von Industriearchitekturen waren genauso wichtig wie die ideale Wohnung für den Arbeiter mit licht- und luftdurchlässigen Innenräumen. Der von monotoner Industriearbeit gequälte Mensch sollte wieder Freude an seiner Arbeit und seinem Leben haben. Dem von Hermann Muthesius wortführend gegründeten Deutschen Werkbund gelang es, die bestehende Industriegesellschaft ethisch und ästhetisch völlig neu zu überdenken. Alles was wir heute so selbstverständlich benutzen und worin wir wohnen, wurde in Form und Geist in der Zeit Kaiser Wilhelms II. begonnen: die glatte und schnörkellose Form der Serien, die Fassaden ohne überflüssigen Zierrat und die Möbel ohne Ornament. Funktionalismus nennt man aus der Rückschau diese Ästhetik, und "Form follows function" war ihr formulierter Gedanke, der weltweit das Industriedesign begründete.

Hermann Muthesius war sich dieser Vorreiterrolle bewußt, er nannte die Werkbundform die deutsche Form, weil sie etwas Neues darstellte, was in Deutschland erfunden worden war. Und alles, was damit zusammenhing, war deutscher Geist, der die Welt erobern sollte, in einer neuen internationalen Form, für die man die Deutschen lieben würde - so glaubte er.

Das Deutsche Kaiserreich trat mit voller Kraft und Enthusiasmus in einen wirtschaftlichen Wettbewerb mit der damaligen Weltmacht England. Es war dies ein moderner Wettstreit nach den Regeln des Kapitalismus und der von ihm finanzierten Industrie. Und es war die Strategie der Deutschen, das Königreich England nicht nur quantitativ auf dem Weltmarkt zu bedrängen, sondern sie vor allem mit den besseren Produkten, "Made in Germany", zu besiegen. Dieser Wirtschaftskrieg wurde von den Werkbundleuten heiß unterstützt.

Nicht dieser Aspekt jedoch scheint uns heute so ungeheuer modern, auch wenn dieser Patriotismus Grundlage für eine gesunde Volkswirtschaft ist, sondern es ist das grundsätzliche Verantwortungsgefühl, das die Werkbundleute fühlten für die Gestaltung der Lebensbedingungen ihres Vaterlandes.

Über vierzig Jahre lang bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dominierten die Werkbundideen und ihre Schöpfer die Kreationen des Alltags. Die Gründung des Bauhauses (1919) durch Walter Gropius entstand aus dem inneren Spannungsfeld des Werkbundes und aus seinen Idealen heraus. Eine Generation von namhaften Architekten und Designern durchlebte diese kreativen Zeiten vom Anfang des Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg.

Heute scheinen die Grundgedanken der Werkbündler aktueller denn je, weil sie eine Reform des Kapitalismus anstrebten durch einen sozialen und nationalen Kompromiß. Dafür war es notwendig, daß Vertreter von Wirtschaft, Kunst und Handel an einem Tisch saßen, um sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft zu machen. In dieser fruchtbaren Zeit der Wilhelminischen Ära wurden die Grundlagen der modernen Architektur und des Designs gelegt und eine sozial befriedende Vision der menschlichen Gesellschaft entworfen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. August im Architekturmuseum der Technischen Universität München/Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Tel.: 089 / 28 92 24 93. Die Begleitpublikation kostet 38 Euro. Das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld zeigt bis zum Jahresende ebenfalls eine Ausstellung zum Deutschen Werkbund.

Foto: Werkbund-Paket, Verpackung für Bahlsen-Kekse, 1914: Dafür würde man die Deutschen lieben


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