© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Pankraz,
der Ziegenduft und die Schwarzen Hunnen

Archaische Sehnsüchte in Mitteleuropa. Immer mehr Leute in Ungarn wollen, daß ihr Land nicht mehr "Ungarn" (Magyarorszàg) heißt, sondern "Hunnia", nach den berüchtigten Hunnen in der Spätantike. Eine kleine nationale Partei, Jobbik, propagiert schon "Umbenennungspläne nach nordirischem Vorbild", die den offiziellen Widerstand gegen eine Umbenennung unterlaufen sollen.

In Nordirland verwenden Patrioten für ihr Land ganz bewußt und in politischer Absicht den alten Namen "Ulster", denn zu Ulster gehört ihrer Meinung nach weiterhin auch die 1921 durch ungerechte Verträge abgespaltene und der Republik Irland zugeschlagene "Provinz Ulster". In der zunehmenden Verwendung des Namens Ulster schwingt also unvergehbarer irredentistischer Zorn mit, Revisionsbegehren, Wunsch nach Wiedergutmachung. Und so auch in der Verwendung des Namens Hunnia für Ungarn.

Man kann dafür Verständnis haben. Ungarn hat 1918 durch den verhängnisvollen Vertrag von Trianon, den die Westallierten dem Lande nach dem Ersten Weltkrieg aufzwangen, 65 Prozent seines Territoriums und 75 Prozent seiner Bevölkerung verloren und wurde so, ohne im geringsten "Hauptschuldiger" des Krieges zu sein, zum Hauptleidtragenden seiner Folgen. Es hat seitdem nie wieder zu einer erträglichen Identität gefunden, viele Wunden bluten, man sucht in der Geschichte nach großen Nationalsymbolen, an denen man sich aufrichten kann.

Wieso aber kam man dabei auf die Hunnen? Das war, findet Pankraz, ein Bocksprung, über den man nur den Kopf schütteln kann. Die Ungarn haben nichts mit den Hunnen gemein, außer dem Umstand, daß beide einst in der Theißebene ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Mit demselben "Recht" könnten sich die heutigen Europäer alle begeistert Neandertaler nennen wollen, weil diese und die wirklichen Alteuropäer einst dieselben Gegenden durchschweiften. Verrückt!

Faktisch sämtliche Historiker sind sich darüber einig, daß mit den Hunnen buchstäblich kein Staat zu machen ist. Und selbst die große, zur Zeit im Historischen Museum in Speyer laufende "Hunnenschau", die so gerne mit einer "objektiven, alte Klischees richtigstellenden" Perspektive aufgewartet hätte, kann daran nichts ändern. Es gibt dort zwar "original Ziegengeruch" aus der für die Hunnen typischen Wohnjurte, doch das ist auch schon alles, was diese sogenannten "Schwarzen Hunnen" hinterlassen haben. Sie waren ein Verhängnis für Europa.

Jeder Vergleich der Schwarzen Hunnen mit anderen eurasischen Reitervölkern, Skythen, Sarmaten, sogar Mongolen und eben auch Ungarn, fällt total negativ für die Hunnen aus. Wer sich dafür interessiert und es sich leisten kann, der sollte nach Besichtigung der Hunnenschau in Speyer gleich nach Berlin fahren und sich die dortige Skythen-Ausstellung im Gropiusbau zu Gemüte führen. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Hier, bei den Skythen, viele, viele Ausweise raffiniertester Handwerkskunst, Handel und Wandel, erhabene Begräbniskultur. Dort, bei den Hunnen, Zusammengeraubtes und unbeholfen auf die Schnelle Nachgeahmtes, ein paar plumpe Bronzetöpfe zum Kochen und Opfern. Ihr Kriegsherr, Attila, mit seinem komischen Holzschloß zwischen lauter Jurten mitten in der Pußta und dem Liebestod in der Hochzeitsnacht, taugt wohl allenfalls als Operettenheld. Das Nibelungenlied hat ihm unverdientermaßen ein überdimensionales Sprachdenkmal gesetzt, was um so fataler ist, als von der Sprache der Hunnen rein gar nichts bekannt ist.

Die Ungarn sprechen bekanntlich Finno-Ugrisch, von den Schwarzen Hunnen vermutet man aufgrund einiger, allerdings sehr schwacher Indizien, daß sie Türkisch gesprochen haben könnten, auf jeden Fall "Altaisch". Zur altaischen Sprachgruppe werden außer Türkisch noch Mongolisch und Tungusisch gezählt, aber nicht Finno-Ugrisch. Dieses gehört vielmehr zur "uralischen Gruppe", wo sich auch Samen und Samojeden tummeln und wo es seit Urzeiten einen regen Austausch mit dem Indogermanischen gegeben haben muß, wie zahllose Lehnwörter zeigen.

Gegenüber den Altaiern herrschte hingegen offenbar weitgehend Funkstille. Nicht der kleinste sprachkulturelle Einfluß der Hunnen auf die vierhundert Jahre später ins Licht der Geschichte tretenden Ungarn ist bezeugt. "Was soll's", mag da möglicherweise ein für "Hunnia" streitender Jobbik-Politiker in Budapest sagen, "auf jeden Fall hatten sie bessere Pferde, bessere Sättel, bessere Pfeile und Bögen. Und das genügte damals in der Politik, wie es heute genügt, bessere Flugzeuge, Peilgeräte und Raketen zu haben." Indes, es genügte damals eben gerade nicht.

Innerhalb weniger Jahrzehnte war es mit der ganzen Herrlichkeit vorbei. Byzantiner und Römer stellten sich auf die neuen Angriffstaktiken ein und zogen ihre Schlüsse, rekrutierten üppig germanische Hilfstruppen wie seinerseits Attila. Die berühmte (Nicht-)Entscheidungsschlacht auf den Katalaunischen Feldern war weitgehend ein innergermanisches Gemetzel, und danach saß Attila ziemlich ratlos in seiner Pußta-Bretterbude und wartete auf die tödliche Gotenbraut Hildico.

Weshalb hießen die Attilatruppen übrigens "Schwarze" Hunnen? Nun, sie hatten allem Anschein nach einen Hang zur Häßlichkeit. Die Gesichter ihrer jungen Krieger wurden von den Medizinmännern regelrecht zerschnitten, um den Bartwuchs zu unterbinden. Statt Bart schmierten sie sich vor dem Angriff über und über mit Schwarzerde ein, vor allem auch ihre Wunden, die darauf phantastische Narben bildeten. "Tartaren" nannten die römischen Geschichtsschreiber diese Leute, Kinder des Tartarus, Kinder der Hölle.

Man kann symbolhungrigen jungen Magyaren nur dringend raten, sich an andere Identifikationsfiguren zu halten als ausgerechnet an die Schwarzen Hunnen. Wie wäre es denn mit Stephan dem Heiligen? Oder mit Mathias Corvinus, dem Renaissance-Meister und Eroberer von Wien? Sogar Georg Lukács wäre besser als Attila.


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