© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Das Problem mit dem Ehering
Literatur: Martin Mosebach fragt in seinem neuen Roman nach dem Wesen der Ehe
Georg Alois Oblinger

Zerbrechende Ehen sind längst schon nichts Ungewöhnliches mehr, doch während die Eheschließung mit zahlreichen Zeremonien verbunden ist, geschieht die Scheidung gänzlich ritenlos. Zumindest der Ehering stellt ein Problem dar: Er symbolisiert die eheliche Treue, was aber soll mit ihm geschehen, wenn die Ehe gescheitert und rechtskräftig geschieden ist? In seinem neuesten Roman "Der Mond und das Mädchen" stellt Martin Mosebach die Frage: "Müßte man bei einer Scheidung die Eheringe nicht eigentlich zerschlagen und zerschmelzen?"

Mosebachs Gespür für Riten und sein Eintreten für eine dem Inhalt angemessene Form ist der Öffentlichkeit spätestens seit seiner Essay-Sammlung "Häresie der Formlosigkeit" bekannt (JF 50/02, 13/03, 20/07). Der Schriftsteller, der im Oktober mit dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wird, stellt in seinem aktuellen Roman aus der Sicht eines überzeugten Katholiken die Frage nach dem Wesen der Ehe und thematisiert das Scheitern und Zerbrechen von Ehen.

Dazu läßt er Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in einem Mietshaus in der Frankfurter Innenstadt zusammentreffen. Das junge, frisch verheiratete Ehepaar Ina und Hans muß die ersten Ehekrisen gemeinsam meistern. Dabei erleben beide oft auch das Scheitern an der eigenen Schwäche. Auch wird hier deutlich, wie schnell ein harmlos scheinendes Spiel mit dem Feuer zur ernsten Gefahr werden kann.

Die Künstlerin Britta und der Philosoph Wittekind, dessen Belehrungen meist im Gegensatz zu seinem tatsächlichen Handeln stehen, führen eine tolerante Zweierbeziehung. Der Hausbesitzer Herr Sieger hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, ebenso der marokkanische Hausmeister Souad. Beide kommen über das Zerbrechen ihrer Ehen nicht hinweg und unternehmen die unterschiedlichsten Fluchtversuche, sprechen allerdings immer neu von den Vorfällen, die das endgültige Zerwürfnis auslösten, und fragen, ob dies hätte vermieden werden können.

Da nach Mosebachs Auffassung heute kein katholischer Roman mehr geschrieben werden kann, sondern der Roman die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden muß, hält er im vorliegenden Roman einer desolat und haltlos gewordenen Gesellschaft einfach den Spiegel vor.

Markant und für Mosebach typisch ist jedoch die Art, wie er dies tut. Bei den Romanen aus seiner Feder macht der Inhalt nur einen geringen Teil des künstlerischen Werkes aus. Weitaus wichtiger ist, wie etwas erzählt wird. Hier liegt Mo­sebachs Stärke, die allen seinen Werken eine hohe Qualität verleiht. So verfügt Martin Mosebach nicht nur über eine heute selten gewordene Eleganz im sprachlichen Ausdruck, er ist auch ein Meister der leisen, manchmal leicht ironischen Zwischentöne, der durch gezielte Formulierungen Überzeugungen problematisieren oder zum Nachdenken über existentielle Fragen anregen kann.

Am Ende des Romans heißt es über Inas Mutter: "Wer aus ihren Briefen etwas Handfestes erfahren wollte, mußte freilich die Kunst beherrschen, zwischen den Zeilen zu lesen, wie die Bürger in Diktaturen lernen, den phantastischen Nachrichten der gelenkten Presse dennoch Realitäten zu entnehmen." Damit gibt Mosebach dem Leser auch den Schlüssel, mit dem dieser Roman gelesen werden soll.

Bereits auf den ersten Seiten werden die Hochzeitsfeierlichkeiten von Ina und Hans beschrieben als eine "mariage à la mode". Daß die Hochzeitsreise dann nicht stattfinden kann, ist nicht so tragisch, "denn das, was in früheren Zeiten auf einer solchen Hochzeitsreise geschehen sollte, hatte, wie üblich, längst stattgefunden, und der eigentlichen Hochzeit waren mindestens drei kleine Hochzeitsreisen vorausgegangen."

Köstlich liest sich auch die Beschreibung von Inas Mutter mit ihrer Eitelkeit und ihrem Jugendwahn. Mit der Schilderung von Souads Freundeskreis und deren Gesprächen wird das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Moralauffassungen - inklusive der verschiedenen Auffassungen von der Ehe und der Rolle der Frau - thematisiert. Ebenso streift der Roman jeweils in seiner Relevanz für die Eheproblematik die Themen Aberglaube und Prostitution, das Mietrecht und die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land. Hierbei wird auch herausgestellt, wie die geforderte berufliche Flexibilität für die Ehe zur Belastung werden kann. Und stets taucht im Roman ein Ehering auf: ein verlorener, ein entwendeter, ein wiedergefundener, ein ausgetauschter oder einer, der einer Halluzination entsprungen zu sein scheint.

Mit seinen nicht einmal 200 Seiten ist "Der Mond und das Mädchen" dennoch ein äußerst komplexer Roman. Es macht ja gerade das Wesen der Kunst aus, in konzentrierter Form die Probleme der Gegenwart zur Sprache zu bringen und sie zu deuten. Das ist Mosebach mit seinem neuen Roman in elaborierter Sprache einmal mehr gelungen.

Martin Mosebach: Der Mond und das Mädchen. Carl Hanser Verlag, München 2007, gebunden, 191 Seiten, 17,90 Euro


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