© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Meeresungeheuer
Politische Zeichenlehre XXX: Das Wikingerschiff
Karlheinz Weißmann

Das Museum in Haithabu bei Schleswig zeigt in diesem Sommer eine große Ausstellung zum Thema "Wikingerschiff". Dabei geht es nicht nur um die Geschichte und die Technik der faszinierenden Langboote, sondern auch um deren Bedeutung für die Ikonographie. Neben dem (irrtümlich zugeschriebenen) Hörnerhelm ist das Schiff mit dem Drachenkopf das wichtigste Attribut der Wikinger und findet als optisches Signal überall da Verwendung, wo man sicher entsprechende Assoziationen auslösen will - von der Reenactement-Gruppe bis zum Logo der Automarke Rover.

Allerdings hat es bis zu den archäologischen Funden von Wikingerschiffen am Ende des 19. Jahrhunderts gar keine präzise Vorstellung von deren Aussehen gegeben. Man wußte nur noch, daß an ihrem Steven Drachenköpfe angebracht gewesen waren, die beim Feind den Eindruck eines aus den Wellen auftauchenden Seeungeheuers auslösen sollten. Erst mit den Ausgrabungen des Gokstad- und des Osebergschiffs in Norwegen änderte sich das und führte dazu, daß das Wikingerschiff in Skandinavien neben Runenschrift und Flechtbandornament als sinnfälliges Bekenntnis zur nationalen Vergangenheit betrachtet wurde.

Der "Nordismus" fand allerdings auch außerhalb dieses geographischen und kulturellen Bereichs Anhänger. Einer der prominentesten war der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., der mit seinen "Nordlandfahrten" auf der Yacht Hohenzollern eine erste Welle des Skandinavien-Tourismus auslöste. Bezeichnenderweise wollten ihm die Bundesfürsten und -städte zum 25. Thronjubiläum 1913 einen mehr als meterhohen Tafelaufsatz aus vergoldetem Silber schenken, der ein Wikingerschiff - mit einem Adler an Stelle des Drachenkopfes - darstellte (infolge des Kriegsbeginns konnte die Arbeit aber erst 1927 überreicht werden).

Vor dem Ersten Weltkrieg bedienten sich in Deutschland und Österreich außerdem völkische Gruppierungen des Wikingerschiffs, vom Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband über den Jungdeutschen Bund bis zur Liberalen Arbeitsgemeinschaft im Wiener Reichsrat. Es handelte sich dabei um die symbolische Berufung auf germanische Freiheit und germanischen Kampfgeist, aber nicht um ein Organisationsabzeichen.

Das änderte sich erst infolge des Zusammenbruchs der Monarchie. Die Brigade Ehrhardt, die maßgeblich an den Kämpfen des "Nachkriegs" und am Kapp-Putsch vom März 1920 beteiligt war, verwendete ein Brustemblem aus Metall mit einem Wikingerschiff auf hoher See. Ob das dem Einfluß völkischer Organisationen innerhalb des Freikorps zuzuschreiben war oder einer allgemeineren "nordischen" Gestimmtheit, ist nicht mehr zu klären. Friedrich Wilhelm Heinz hat überliefert, daß die Frau Ehrhardts den entscheidenden Vorschlag gemacht habe, aber wichtiger erschien ihm doch, was das Wikingerschiff zum Ausdruck brachte: In "unseren Adern rollt das Blut der Wikingerahnen, doch auch das Blut der Niezufriedenen und Ringenden jener Zeiten".

Das Zitat stammt aus der Zeitschrift einer Nachfolgeorganisation der Brigade, des Bundes Wiking, der auch das Wikingerschiff weiterverwendete. Im Umfeld des Wiking bewegten sich zahlreiche Köpfe des "Neuen Nationalismus" der zwanziger Jahre wie der ehemalige "Stabschef" Ehrhardts, Hartmut Plaas, die Brüder Jünger oder Friedrich Hielscher. Ihr wichtigstes Publikationsorgan war die Zeitschrift Vormarsch, und für den Vormarsch-Verlag entwarf der bekannte Zeichner und Graphiker A. Paul Weber (1893-1980) ein Signet in Form eines Ovals, das ein Schrägkreuz in vier Felder teilte; in den oberen drei Feldern fand sich das Wikingerschiff, im unteren der Gardestern der Brigade Ehrhardt.

Das alles ist längst Geschichte und das Wikingerschiff im allgemeinen nur noch folkloristischer Ausdruck skandinavischer Identität - vielleicht mit Ausnahme jener kleinen regionalistischen Gruppen, die in der Normandie an eine Sondertradition anknüpfen und sich voller Stolz auf die Landnahme der Nordmänner unter Jarl Rollo im 10. Jahrhundert berufen. Zu den bevorzugten Symbolen des Mouvement Normand gehört neben dem skandinavischen Kreuz (rot, golden gefaßt, auf rotem Grund) das Wikingerschiff.

Das Wikinger-Museum Haithabu, Schloß Gottorf, ist täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet (ab November: 10 bis 16 Uhr). Der Eintritt kostet 4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro. Telefon: 0 46 21 / 81 32 22. Zu der Ausstellung "Unsinkbar!" ist ein reichbebilderter Katalog zum Preis von 14 Euro erschienen.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Foto: Wikingerschiff auf dem Logo der Automarke Rover


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