© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

Von der Schlägerei im Bierzelt zur "Hetzjagd"
Medien: Wie die Berichterstattung über den "Fall Mügeln" die politische Diskussion beeinflußt / "Leichtfertige Vorverurteilung"
Michael Paulwitz

Jeder kennt jetzt Mügeln - die sächsische Kleinstadt, deren sommerliche Bierzelt-Festivität sich von denen in zahllosen anderen deutschen Kleinstädten dadurch unterscheidet, daß dort im anzunehmenden Zustand fortgeschrittener Alkoholisierung nicht Deutsche auf Deutsche und auch nicht, wie vor mancher Großstadtdiskothek, Türken, Russen oder Araber auf deutsche Einzelkinder losgegangen sind. Vielmehr waren in der Nacht zum 19. August acht Inder mit einer Gruppe Deutscher aneinandergeraten und im Verlauf der Auseinandersetzung verletzt worden, ebenso wie vier der Deutschen und zwei Polizisten.

Normalerweise wären solche Meldungen ein Fall für die Lokalnachrichten. Doch weil im Zuge der eskalierten Rangelei auch Parolen wie "Ausländer raus!" gerufen worden sein sollen, war die Medien-Diagnose klar: Rechtsextremisten am Werk. Noch am selben Tag hatte die Deutsche Presseagentur (dpa) das Etikett gefunden, das über eine volle Woche hinweg unhinterfragt die Berichterstattung dominieren und die Schlagzeilen füllen sollte: "Hetzjagd auf Inder in Sachsen". Im Schlepptau kamen weitere lokale Ereignisse, die ihrem Nachrichtenwert nach im örtlichen Polizeibericht hätten verkümmern müssen, zu überregionaler Aufmerksamkeit: Am Freitag nach Mügeln wurde eine schon etliche Tage zurückliegende Weinfest-Schlägerei zwischen zwei Afrikanern und phänotypisch "rechten" Deutschen in Kurt Becks Stammland Rheinland-Pfalz berichtet sowie weitere Rangeleien in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Der SPD-Vorsitzende machte sich vor diesem Hintergrund zum Kampagnenführer und erklärte den wiederum zu verschärfenden Kampf gegen den Rechtsextremismus zum "gesamtdeutschen Problem".

Zweifel am dezidiert politischen und organisiert-rechtsextremen Hintergrund der Prügel in Mügeln tauchten früh auf, blieben freilich in der Minderheit. Zwar hatte die Leipziger Volkszeitung unmittelbar nach dem Vorfall Augenzeugen zitiert, die als Ursache der Gewalteskalation eine "Schubserei" durch einen indischen Gast schilderten, worauf sich ein Kreis um die Inder gebildet habe, die mit zerbrochenen Flaschen "in Abwehrhaltung" gegangen seien. Der dabei schwerverletzte deutsche Zeuge hatte freilich gegenüber den in der Tagesschau präsentierten lädierten Indern keine Aussicht auf größeres Gehör.

Polizeisprecher hatten frühzeitig auch darauf hingewiesen, daß vor der Tat bereits ein Deutscher schwerverletzt aufgefunden worden sei und daß im übrigen von einer "Hetzjagd" durch die ganze Stadt kaum die Rede sein könne, weil das Festzelt und die indische Pizzeria, in die sich die Bedrohten geflüchtet hatten, gerade mal zwanzig Meter auseinanderlägen. Erst eine volle Woche später ging eine Focus-Meldung über den Ticker, wonach die Polizei auch Ermittlungen gegen einige der Inder prüfe.

Der frühere SPD-Politiker Richard Schröder warnte in der Welt: "Maßlose Überfremdungsängste und Sozialneid sind noch kein Rassismus." Wenn einem Gewaltbereiten in aufgeheizter Stimmung ein "Ausländer raus!" entfährt, zeugt das eben noch lange nicht von einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Der Mügelner FDP-Bürgermeister Gotthard Deuse (siehe auch das Interview auf Seite 3), der zunächst ebenfalls "Rechtsextremismus" diagnostiziert hatte, dann aber seine Stadt verteidigte, indem er ähnliches sagen wollte, aber unglücklich ausdrückte, wurde freilich von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und dem Chor der "Anständigen" seinem Parteichef Guido Westerwelle um die Ohren geschlagen und geriet auch in der eigenen Partei unter Druck. Da half auch die am Wochenende nach dem Vorfall angesetzte Solidaritätsveranstaltung für Ausländer nebst Lichterkette nichts - Mügeln hatte den Ruf als weiterer Hort des Rechtsextremismus weg.

Die durchaus ungeklärte Faktenlage und die frühen Warnungen vor einem zweiten Sebnitz ließen die üblichen Mahner und Lobbyisten unbeeindruckt. Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, konstatierte sofort apodiktisch einen rassistisch-rechtsextremen Hintergrund, der nicht geleugnet werden dürfe. Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Vorsitzender des Lobby-Vereins "Gesicht zeigen", wiederholte triumphierend seine Parole von den "No-go areas" für Andersfarbige, mit der er vor einem Jahr schon Schiffbruch erlitten hatte. Schützenhilfe erhielt er dabei nicht nur von dem SPD-Abgeordneten und Vorsitzenden des Innenausschusses der Bundestages, Sebastian Edathy, sondern auch vom Zentralrat der Juden, dessen Generalsekretär Stefan Kramer gleich die größte Keule auspackte - "gestern Farbige, heute Ausländer, morgen Schwule und Lesben oder vielleicht Juden" - und forderte, Familienministerin Ursula von der Leyen die Zuständigkeit für den noch zu intensivierenden Kampf "gegen Rechts" zu entziehen und an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu übertragen. Während Landes- und Bundespolitiker aller Couleur ihre "Betroffenheit im Stundentakt" (Sachsens Ex-Innenminister Heinz Eggert) äußerten, hatte die SPD ihr Thema
gefunden.

Mit dem wenig erfolgreichen Aufbau-Ost-Beauftragten Wolfgang Tiefensee und Parteichef Kurt Beck als Wortführer, schossen sich die Sozialdemokraten auf von der Leyen ein. Zu Beginn der Kabinettsklausur in Meseberg Ende vergangener Woche verkündete die Ministerin neue Mittel für "die mit vielen Millionen Steuergeldern betriebenen und unter der Last ihrer moralischen Ladung ächzenden sozialpädagogischen Spielmobile" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) der professionellen Betreuungsindustrie. Von Rot-Grün nur befristet angelegte Programme würden jetzt verstetigt.

Ein Teilerfolg für die "antifaschistische" Klientel, deren radikale Exponenten bereits die Gelegenheit zu einem vermummten Marsch durch Mügeln genutzt hatten, und für ihre linken und grünen Fürsprecher, denen das Erreichte freilich nicht genug war. Die SPD fand indes noch ein zweites Thema, um aus Mügeln Honig zu saugen: Parteichef Beck forderte eine Wiederauflage des NPD-Verbotsantrags. Die Parteiprominenz schwenkte zügig auf seine Linie ein, während aus der Union und ebenso von Linken und Grünen diesmal eher Skeptisches zu hören war: Man witterte wohl, daß es dem in der Großen Koalition mit eigenen Themen glücklosen Beck vor allem um Profilierung ging. Immerhin schaffte er es, daß mit dem Vizepräsidenten der EU-Kommission Franco Frattini sogar Brüssel auf seinen Zug aufsprang und zum Parteiverbot in Deutschland aufforderte.

Auch sonst blieb die gern beschworene internationale Rufschädigung für Deutschland angesichts der aufgeheizten Medien-Berichterstattung nicht aus. Die indische Botschafterin konnte nach dem deutschen Presserummel nicht anders, als dringend volle Aufklärung und Schutz für ihre Landsleute einzufordern. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte sich wie üblich als erster gemeldet und vor negativen Folgen für den globalen Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Anwerbung ausländischer "Fachkräfte" gewarnt.

Unheimlich ist dieses selbstreferentielle Perpetuum mobile des deutschen Politikbetriebs dagegen dem Düsseldorfer Journalisten und gebürtigen Niederländer Hubert Maessen. "Die leichtfertige offiziöse und allgemeine Vorverurteilung, das Anprangern ganzer Landstriche, die eitel behauptete und brüstend zur Schau gestellte moralische Überlegenheit", wetterte er im Deutschlandfunk, "das hat mehr Verknüpfungen mit rechtsextremistischer oder sagen wir: rassistischer Mentalität, als das Land sich leisten darf. Darüber muß man noch mehr erschrecken als über einen Mob, der rast und sein Opfer haben will."

Foto: Die von einem Inder betriebene Pizzeria "Picobello" im sächsischen Mügeln: Nur zwanzig Meter vom Festzelt auf dem Marktplatz entfernt


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