© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

Meldungen

Die utopische Mauer von Israels Holocaust

WIESBADEN. 2006 sei kein gutes Jahr gewesen, weder für die USA noch für Israel. Mit diesem Eingeständnis des US-Präsidenten Bush beginnt Dagmar Barnouws Aufsatz über "Israels Sicherheit" (Leviathan, 2/07). Dabei hat Barnouw nicht einmal das politisch-militärische Desaster, das "blutige Chaos" im Irak im Auge. Schlecht gelaufen sei es für die Achse Washington-Jerusalem nämlich auch, weil sich das Ansehen des "most important ally" in der US-Öffentlichkeit einzutrüben beginne, als Folge der "ungewöhnlich deutlichen" Kritik der Politologen Stephen Walt und John Mearsheimer am fatalen Einfluß der "Israel-Lobby" auf die US-Außenpolitik (JF 24/07). Für Barnouw kündigt sich in diesem Meinungsumschwung an, daß der Holocaust als das wichtigste Ideologem zur Legitimierung der Existenz des jüdischen Staates an Überzeugungskraft verliert. Bis 2006 habe die Gleichsetzung des "Nazi-Bösen" mit dem "arabischen Bösen" nicht nur die US-Intervention im Irak gerechtfertigt, sie deckte auch Israels Okkupations- und "Apartheidspolitik" in Palästina. Hinter dieser "utopischen Mauer des Holocaust" habe sich Israel bisher für unverwundbar gehalten, was zur "weitgehenden Mißachtung" seiner Nachbarn im Nahen Osten führte. Die von Walt und Mearsheimer ausgehende Kritik könnte nun Widerstand gegen den "Status quo der Politik des Holocaust" aufbauen.

 

Germanistik: Kassation des Europäischen

HEIDELBERG. 2004 legte der Germanist Claude D. Conter (München) eine Monographie vor, wie man sie sich zeitgeistkonformer kaum hätte wünschen können: "Jenseits der Nation - Das vergessene Europa des 19. Jahrhunderts". Conter ging es darin um die europäische Ausrichtung der Germanistik zwischen 1815 und 1848, bevor sie dann als nationale Leitwissenschaft ihren Beitrag zur kollektiven Identitätsbildung der Deutschen leistete. Sein umfangreiches Werk bringt Conter nun in einer pointierten Kurzfassung über die "Verdrängung europäischer Literaturgeschichtsschreibung" (Euphorion, 1/07). "Europa" sei vor 1848 nicht nur in Goethes Konzept von "Weltliteratur" der dominierende "interkulturelle Erfahrungsraum" deutscher Intellektueller gewesen. Noch bis ins Vorfeld der "Einigungskriege" hinein hätte eine monströse 1.200 Bände umfassende "Europäische Bibliothek der neuen belletristischen Literatur" auf Leserinteresse rechnen dürfen. Genausowenig seien Lyrikanthologien einem nationalen Kanon unterworfen worden, und die international ausgerichtete Poesiegeschichtsschreibung eines Graesse oder Danzel ging den auf die deutsche Kulturnation fixierten Literaturgeschichten von Gervinus oder Vilmar voraus. Mit der "Nationalisierung des kulturellen Gedächtnisses" und der "Kassation des Europäischen" seien dann Kohorten von Literaten der Vergessenheit anheimgefallen. Den kosmopolitischen Reiseschriftsteller Fürst Pückler-Muskau zählt Conter zu den prominentesten Opfern "der nationalen Memorialpolitik".


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