© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Bruder Wolfgang
Innere Sicherheit: Schäubles Pläne zur Online-Überwachung stoßen auf Kritik / Aufhebung der Privatsphäre und der Unverletzlichkeit der Wohnung befürchtet
Paul Rosen

Aus dem Englischen ist ein Sprichwort überliefert, das einen wichtigen Grundsatz demokratischer Staatsformen markiert: My home is my castle - zu deutsch: Mein Haus oder meine Wohnung ist meine Burg. Es macht deutlich, daß die eigenen vier Wände Privatsphäre sind und die Macht des Staates an der Haustür eine klare Grenze findet. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will diese Grenze überschreiten. "Big brother is watching you", der große, alles beobachtende Bruder aus George Orwells Roman "1984" kann Realität in Deutschland werden.

Der von Schäuble erarbeitete Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus  ist beileibe nicht so harmlos, wie der Titel vermuten läßt. Erstmals soll das schon durch die Föderalismus-Reform mit mehr Kompetenzen ausgestattete Bundeskriminalamt (BKA) das Recht bekommen, Online-Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluß zu veranlassen. Die Maßnahmen sollen auch dann erlaubt sein, wenn unverdächtige Personen von der Überwachung betroffen sein könnten. Dazu paßt, daß Daten auch von Kontakt- und Begleitpersonen erhoben werden dürfen, mit denen potentielle Täter zusammenarbeiten könnten. Die Beamten des BKA dürfen drei Tage lang ohne richterlichen Beschluß Computer ausspionieren; erst wenn innerhalb dieser Frist kein Richter zustimmt, muß die Aktion abgebrochen werden.

Nun mag sich der einfache Zeitgenosse, der gelegentlich im Internet surft und seine Banküberweisungen zu Hause vom Rechner aus erledigt, fragen, was er mit gegen internationale Terroristen gerichteten Online-Durchsuchungen zu tun haben könnte. Eigentlich ist auszuschließen, daß rechtschaffene Privatpersonen in das Visier von Ermittlern geraten. Die Gefahr ist eine andere. Mit der Aufhebung der Privatsphäre und der Unverletzlichkeit der Wohnung in einigen Bereichen kommt erfahrungsgemäß der Dammbruch. Bei nächster Gelegenheit werden dann per Online-Durchsuchung Schwarzgelder oder unversteuerte Gewinne aus eBay-Geschäften gesucht. Und wer noch ein paar Riefenstahl-Bilder auf dem Rechner haben sollte, ist ohnehin verdächtig.

In der Großen Koalition regt sich kaum Widerstand gegen den Innenminister. Die CDU steht tapfer an Schäubles Seite und läßt sich in die total überwachte Republik treiben. SPD-Chef Kurt Beck hat zwar Bedenken angemeldet, aber sein Innenexperte Dieter Wiefelspütz hat sich schon zum "Schäuble-Versteher" gemausert. Die Opposition ist schwach. Wer noch an die Demonstrationen gegen die Volkszählung in den achtziger Jahren denkt, rätselt heute, wieso Online-Durchsuchungen und Video-Kontrollen auf allen Plätzen eher als Nebensache diskutiert werden. Daß das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausgerufen hat, scheint vergessen zu sein.

Die Fortschritte in Netztechnik und Programmen verschaffen den Staatsorganen ein leichtes Spiel, an die Daten der Bürger zu kommen. Der "Bundestrojaner", wie Schäubles Schnüffelversuch genannt wird, ist nichts anderes als ein kleines Computerprogramm, das huckepack auf den Rechner des Auszuspähenden transportiert wird. Das kann als Anhang zur elektronischen Post geschehen. Der Anhang wird geöffnet, und man merkt gar nicht, daß sich ein neues Programm auf dem Rechner unsichtbar installiert. Oder der Rechner wird beim Besuch von Internetseiten infiziert. Der "Bundestrojaner" wird danach jede Tastaturbewegung und jedes Paßwort mitprotokollieren. Bei der nächsten Herstellung einer Verbindung ins Internet werden die gesammelten Daten an das Bundeskriminalamt übermittelt.

Damit können sich die staatlichen Schnüffler mit Original-Paßwörtern in Bankkonten, Telefonabrechnungen und elektronische Briefkästen im Netz einloggen. Und sie haben alle Paßwörter für die Verschlüsselungsprogramme, mit denen der Nutzer versuchen könnte, seine Daten auf der Festplatte vor fremden Blicken zu schützen. Ob herkömmliche Virenschutzprogramme und Firewalls, mit denen sich die Nutzer heute vor Angriffen aus dem Netz zu schützen versuchen, auch Schutz gegen den "Bundestrojaner" bieten, bleibt abzuwarten. Das größte Sicherheitsrisiko für jeden Rechner ist nach wie vor sein Benutzer, der aus purer Neugierde fremde E-Mails öffnet und sich Viren und Trojaner einfängt. Internet-Kriminelle setzen bereits heute in großem Stil Schnüffelprogramme ein, besonders um an Kontodaten zu kommen. Vorsichtige Nutzer öffnen keine fremden Mails und haben wichtige private Daten auf einem zweiten Rechner, der nicht mit dem Internet oder Funknetzen verbunden ist. Denn wo kein Netz ist, muß auch Schäuble außen vor bleiben.


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