© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Niedersachsen übt sich in Zensur
Meinungsfreiheit II: Auf dem Schlesier-Treffen in Hannover ließ die Landesregierung Bücher zu mißliebigen historischen Themen aussortieren
Hans-Joachim von Leesen

Im Jahre 1890 verbot der Polizeipräsident von Berlin die Aufführung von Hermann Sudermanns neuem Drama "Sodoms Ende". Daraufhin machte sich der Intendant des betroffenen Lessingtheaters, Oscar Blumenthal, auf den Weg zu dem Mächtigen, um sich nach den Verbotsgründen zu erkundigen. Das Gespräch ist überliefert.

Blumenthal: "Warum das Verbot? Warum?" Polizeipräsident von Richthofen: "Weil es uns so paßt." Blumenthal: "Ich meine, Herr Präsident, daß doch immerhin die Möglichkeit vorliegt, durch behutsame Änderungen die Bedenken, die zu diesem Verbot geführt haben, aus der Welt zu schaffen." Richthofen: "Oh nein!" Blumenthal: "Oder einzelne Szenen?" Richthofen: "Auch nicht." Blumenthal : "Ja, aber was sonst?" Richthofen: "Die janze Richtung paßt uns nicht."

An diese Einstellung wird man erinnert, wenn man vom Vorgehen des niedersächsischen Innenministeriums beim Deutschland-Treffen der Schlesier im Juli in Hannover, erfährt, das jetzt öffentlich geworden ist. Die Landsmannschaft hatte die Messehallen gemietet und war damit Hausherr. Traditionsgemäß stellen bei solchen Jahrestreffen allerlei Firmen und Verlage ihre Ware aus, die bei den Besuchern auf Interesse stoßen könnten. Dazu gehören auch Bücher.

Die Landsmannschaft mußte im voraus der Messegesellschaft eine Liste aller Bücher vorlegen, die während des Schlesier-Treffens angeboten werden sollten. Sie erbat sie von den verschiedenen Versandbuchhandlungen. Und dann machten sich Mitarbeiter des niedersächsischen Innenministeriums daran, alle Bücher zu streichen, deren Richtung ihnen nicht paßte. Sie ordneten an, daß 24 Titel nicht gezeigt werden durften sowie sämtliche Bücher aus dem Arndt-Verlag. Die meisten Aussteller sortierten die Bücher daraufhin aus.

Nicht ein einziges dieser Bücher ist verboten oder steht auf der Liste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Alle sind frei erhältlich. Wenn der Besucher das Schlesiertreffen verließ, konnte er sie in jeder Buchhandlung kaufen.

Sieht man die Liste der Bücher durch, vor denen die Schlesier bewahrt werden sollten, kann man die Richtung erkennen, die der niedersächsischen Landesregierung offenbar nicht paßt. Nicht erlaubt wurden unter anderem das Buch "Verbrechen an Deutschen - Dokumente der Vertreibung" von Wilfried Ahrens, von James Bacque "Der geplante Tod - Deutsche Kriegsgefangene in amerikanischen und französischen Lagern 1945 und 1946" sowie "Verschwiegene Schuld - Die alliierte Besatzungspolitik in Deutschland nach 1945"; das Werk des angesehenen Militärhistorikers Joachim Hoffmann "Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945", das Buch des verstorbenen Historikers Dirk Kunert "Deutschland im Krieg der Kontinente - Anmerkungen zum Historikerstreit", Werner Masers Buch "Fälschungen, Dichtung und Wahrheit - Hitler und Stalin", Walter Posts "Die Ursachen des Zweiten Weltkrieges - Ein Grundriß der internationalen Diplomatie von Versailles bis Pearl Harbor", das in immer neuen Auflagen erscheinende Buch von Gerd Schultze-Rhonhof "1939 - Der Krieg der viele Väter hatte - Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg", die Arbeit des jungen Historikers Stefan Scheil "Die Eskalation des Zweiten Weltkrieges", das Buch "Stalins verhinderter Erstschlag" des in den Westen übergetretenen ehemaligen sowjetischen Geheimdienstoffiziers Viktor Suworow sowie das Buch des ehemaligen FAZ-Redakteurs und Geheimdienstexperten Udo Ulfkotte "Der Krieg im Dunkeln - Die wahre Macht der Geheimdienste".

Die Titel lassen den Schluß zu, daß die Landesregierung alle Bücher unterdrücken will, die der These von der Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg widersprechen, sowie Literatur über Kriegsverbrechen der Siegermächte. So könnte sich neben den Staatsanwaltschaften und neben der Bundesprüfstelle eine dritte "Zensurbehörde" in Gestalt der Landesregierungen etablieren.

Ein aufmerksamer Besucher des Schlesiertreffens hatte das Vorgehen der Beamten beobachtet, die die Verkaufsstände durchstreiften und mißliebige Bücher aussortierten und sogar unter die Tische der Aussteller guckten, ob dort nicht etwa entsprechende Bücher versteckt waren. Er wollte wissen, auf welcher Rechtsgrundlage die Landesregierung vorgegangen sei. Einige Briefe an das niedersächsische Innenministerium wurden nicht beantwortet. Als er hartnäckig blieb, erhielt er ein paar nichtssagende Antwortzeilen. Jetzt hat er ein Rechtsanwaltsbüro am schleswig-holsteinischen Oberlandesgericht beauftragt, beim Innenminister eine Beantwortung seiner Anfragen zu erwirken. Das Ministerium hat mittlerweile um Fristverlängerung für die Beantwortung gebeten. Der Schlesier will die Angelegenheit weiter verfolgen, da sie von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Übrigens kam vor 117 Jahren der Berliner Polizeipräsident mit seinem Verbot nicht durch. Der preußische Innenminister gab Sudermanns Stück zur Uraufführung frei.


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