© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Pankraz,
Dieter Moor und die Kulturschwellen

Bei Pankraz schrillten die Alarmglocken: Dieter Moor, der designierte neue Leiter des TV-Kulturmagazins "ttt - Titel, Thesen, Temperamente", kündigte im Berliner Tagesspiegel an, er werde bei "ttt", wenn er im November ans Ruder komme, sofort "die Hemmschwelle für Kulturthemen senken". Es klang geradezu drohend. "Hemmschwelle senken" - dergleichen bedeutet heutzutage ja faktisch immer Verschlechterung, Versimpelung, Banalisierung. Nicht die Hemmung, sondern das Niveau wird gesenkt.

Zitat Moor: "Weg mit dem, was nach 'Achtung, Kultur!' schreit ... Ein bißchen weniger klug, ein bißchen menschlicher - das wird meine Richtung sein. Auch, daß kulturelle Ereignisse, die für normaldenkende Menschen nicht nachvollziehbar sind, nachvollziehbar werden." Klugheit und kulturelles Ereignis für sich genommen sind laut Moor also nichts für normaldenkende Menschen, sie müssen von ihm und seinesgleichen erst "nachvollziehbar" gemacht werden. Kaltes Grausen kann einen packen.

Nicht, daß "ttt" nicht verbesserungsbedürftig wäre. Es ist ein  Null-acht-fuffzehn-Magazin, wie es im Buche steht: ein bißchen Regietheater, ein bißchen Festspiel-Palaver, jede Menge Vergangenheitsbewältigung und kräftig politisch korrekte Soße darüber - fertig ist die "Kultursendung" für die späte Abendstunde. Gähnende Langeweile ist vorprogrammiert.

Dieter Moor hat die Misere durchaus erkannt. Deshalb formuliert er in dem Tagesspiegel-Interview auch: "Weg mit dem Etikett 'Jetzt wird's langweilig'." Doch er setzt wie selbstverständlich voraus, daß die Langeweile nicht etwa aus dem Routine- und Phrasenbetrieb herrührt, den die bisherige Redaktion zu verantworten hat, sondern daß es bei "ttt" angeblich immer noch zu klug hergeht und zu viele nicht nachvollziehbare kulturelle Ereignisse geboten werden. Das Problem ist für ihn kein Sachproblem, sondern ein Übersetzungsproblem. So denken neudeutsche Medienmanager eben.

Aber sie denken mit Sicherheit falsch, was zum einen daran liegt, daß sie sich selber viel zu wichtig nehmen. Sie halten sich - ähnlich wie die Regisseure im derzeitigen Subventionstheater oder die Buchkritiker der jeweiligen "Saison" - allen Ernstes für die Spitze der kulturellen Nahrungskette. All die Bücher, Bilder, Bühnenstücke, die eine Kultur ausmachen, sind für sie nichts als Rohmaterial, Zulieferteil, Halbfertigprodukt, das von ihnen zunächst einmal aufbereitet, zusammengesetzt, ja vollendet werden muß, um überhaupt "menschlich" und "nachvollziehbar" zu sein. Was für eine Anmaßung!

Und die Anmaßung wird richtig fett, indem mit ihr eine unglaubliche Verachtung des Publikums einhergeht, welches man nicht mehr als hochdifferenzierte Schar von eigenen Kulturträgern und Weiterdenkern wahrnimmt, sondern nur noch als Masse von "Konsumenten" und "Verbrauchern". Die Quote regiert. Als "typischer Konsument" ins Quotenkalkül eingesetzt wird der allerletzte Verbraucher, dem man alles total vorkauen muß.

Man verachtet das Publikum und unterwirft sich ihm gleichzeitig, wobei die quicken und mitdenkenden Teile dieses Publikums in die Langeweile getrieben und vergrault werden - so sieht die Programmgestaltung des modernen Medienbetriebs aus. Die frisch-fröhlich verkündete Absicht, man wolle "die Hemmschwelle senken", entspricht genau diesem Schema. Noch der letzte, an Kunst und Literatur im Grunde völlig uninteressierte "Medienteilnehmer" soll einschalten, dafür senkt man hemmungslos das Niveau und erklärt das dann auch noch für besonders menschlich.

Früher hätten sich das die Künstler und Autoren wohl nicht so ohne weiteres gefallen lassen. Von Bert Brecht ist die Anekdote überliefert, daß sich bei der Vorbereitung zu einem seiner Stücke ein parteifrommer Mitarbeiter zu Wort meldete mit dem Bedenken, daß eine bestimmte Textstelle von den erwarteten "werktätigen" Besuchern beim ersten Hören kaum richtig verstanden werde. Darauf Brecht: "Dann sollen sie eben noch einmal in die Aufführung kommen." Der Mitarbeiter: "Aber nicht jeder hat das Eintrittsgeld dafür." Brecht: "Dann  soll die Partei dafür sorgen, daß jeder Geld fürs Theater in die Tasche bekommt."

Glückliche Zeiten, als der Zugang zur Kultur unter anderem noch vom Geldbeutel abhing. Der einzelne wie das Ganze, der Staat, die Parteien usw., mußten einiges einsetzen, sich abringen, um an die Kulturkanäle  heranzukommen. Mittlerweile gibt es unzählige faktisch kostenlose Kanäle, auch Kulturkanäle, und ganze Kohorten von "Übersetzern" à la Moor sind damit beschäftigt, dem Affen fleißig Zucker zu geben und die Kultur für Otto Normalverbraucher kompatibel und nachvollziehbar zu machen.

Kultur ist billig geworden, man merkt es ihr seit längerem an, und nicht zuletzt die "Übersetzer" sind daran schuld. Kultur braucht vorab keine Übersetzer, sie braucht echte Vermittler, die sich klein machen, die sich nicht als Extra-Medium aufspielen, sondern alles daransetzen, die Sache selbst sprechen oder erklingen zu lassen. Denn diese ist sich selbst Medium genug.

Sicher, ein TV-Kulturmagazin wie "ttt" ist keine Konzert-Direktübertragung, und es kann sich auch nicht damit begnügen, einfach Programmzettel abzulichten und Eröffnungstermine bekanntzugeben. Es versteht sich als kritische Instanz, wo die Ereignisse reflektiert und bewertet werden. Und wenn seine Reflexionen und kritischen Einwände wirklich bedenkenswert sind, dazu witzig, unangepaßt, vom Temperament des Kritikers interessant eingefärbt, wird niemand etwas dagegen haben. Ein treues Stammpublikum ist ihm gewiß, und es kriegt einen guten Ruf.

Stammpublikum und guter Ruf fehlen dem Magazin "ttt" bisher leider. Es ist von allen Kulturmagazinen hierzulande vielleicht das langweiligste: unoriginell, konformistisch, frech ohne Anmut. All das könnte geändert werden. Man darf dabei aber keine Hemmschwellen senken wollen.


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