© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Aus der sicheren Deckung heraus
Programmdebatte: Die Reaktionen auf das konservative Positionspapier jüngerer Unions-Politiker sind verhalten / Frage der Wirkung
Paul Rosen

Der Union drückt der Schuh, und vier schmerzempfindliche Politiker haben auf die Ursache hingewiesen: Es gibt zu wenig Konservatives in der CDU und wohl auch in der bayerischen Schwesterpartei CSU. "Moderner bürgerlicher Konservativismus. Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muß", heißt eine 16seitige Schrift. Autoren sind der baden-württembergische Fraktionsvorsitzende Stefan Mappus, der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst, der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, und von der CSU deren Generalsekretär Markus Söder (siehe auch den Artikel auf Seite 2). Die Forderungen des Quartetts machten die CSU-Spitze nervös, doch ob das konservative Bekennerschreiben langfristige Wirkungen entfalten wird, ist höchst unwahrscheinlich.

Das Quartett hält die Rolle der Union in der Großen Koalition für zu schwach, das neue Programm der CDU für zu schwammig. Am Programm vermißt es "deutsche Tugenden" wie Ehrlichkeit, Verläßlichkeit, Disziplin, Fleiß, Treue und Anstand. "Gerade weil Deutschland anscheinend nach links rückt, muß eine bürgerliche Alternative erkennbar sein", fordert das Quartett, das sich vor Monaten im Berliner Café Einstein erstmals öffentlichkeitswirksam zusammengesetzt hatte.

Seitdem ist vom "Einstein-Pakt" die Rede. Das ist eine Anlehnung an den "Anden-Pakt", zu dem sich vor knapp drei Jahrzehnten junge CDU-Politiker zusammengefunden hatten, um ein karriereförderndes Netzwerk zu gründen. Angehörige des Anden-Pakts wie Christian Wulff, Roland Koch und Ole von Beust sind heute Ministerpräsidenten beziehungsweise Bürgermeister.

Der Unterschied zwischen Anden- und Einstein-Pakt liegt nun darin, daß die "Einsteiner" auf der Karriereleiter schon ein ganzes Stück nach oben geklettert sind. Selbst der Jüngste im Bunde, Mißfelder, hat bereits ein komfortables Bundestagsmandat. Verschwörungstheorien, hier wollten einige den CDU-Laden im Handstreich übernehmen, um Karriere zu machen, sind falsch am Platze. Man kann dem Quartett unterstellen, wirklich Sorgen um das Profil der Union zu haben, vor der die beklagte "Erosion bürgerlicher Werte" nicht haltgemacht hat.

Daher wollen die Einsteiner eine "deutsche Leitkultur" auf Grundlage "christlich-abendländischer Werte". Bei der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe und sexueller Orientierungen rudern die vier hinter die Parteilinie zurück: "Nicht jedes Lebens- oder Gesellschaftsmodell verdient es, im Zeichen der Pluralität gleichermaßen gefördert zu werden."

Abtreibung und Sterbehilfe werden ebenfalls abgelehnt. Eine scharfe Warnung ergeht gegen die Einwanderung, die die CDU längst akzeptiert hat. "Die Integrationsfähigkeit unseres Landes hat Grenzen. Keine Gesellschaft kann Menschen anderer kultureller Prägung in beliebiger Zahl aufnehmen." Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme wird abgelehnt.  Beklagt wird, daß die Anerkennung der Hausarbeit zurückgehe: "Bürgerlich-konservative Familienpolitik muß diesem Trend entgegentreten."

Das Konzept wird deshalb in der CDU nicht auf fruchtbaren Boden fallen, weil es diesen Boden nicht mehr gibt. Der durchschnittliche CDU-Funktionär hat längst begriffen, wie gefährlich es sein kann, sich konservativ zu geben. Der Fall Martin Hohmann läßt grüßen. Der hessische CDU-Abgeordnete war nach einer mißverständlichen Rede von der Parteiführung fallengelassen worden wie eine heiße Kartoffel und wurde schließlich sogar rausgeworfen. Dagegen kann sich der Bürgermeister von Mügeln, der gesagt hatte, er sei stolz, Deutscher zu sein, in der FDP gut aufgehoben fühlen. Aus der CDU, die keinen konservativen Flügel mehr hat, wäre er ausgeschlossen worden.

Das Einstein-Quartett hat deshalb so gut reden, weil alle vier Politiker aus gesicherten Positionen heraus agieren können und wirklich strittige Thesen wie die des Publizisten Ralph Giordano gegen den Moscheebau ausgelassen haben. Der Kampf der Kulturen, den der Papst in seiner Regensburger Rede mit einem Zitat eines mittelalterlichen byzantinischen Kaisers so deutlich gemacht hat, geht im konservativ getönten Soziologen-Kauderwelsch unter. Das Papier ist nicht streitlustig, sondern moderat.

Daß die CDU-Spitze trotzdem nervös regiert, zeigt: Es wurde ein Nerv getroffen. Ausgerechnet Generalsekretär Ronald Pofalla, der Hauptverantwortliche für Niveau- und Konturlosigkeit der Partei, fordert jetzt Kruzifixe in allen deutschen Klassenzimmern. Als ob das noch was ändern würde. Und Kanzlerin Angela Merkel reagierte auf einem CDU-Kongreß in Hanau mit der Bemerkung, Tugenden wie Fleiß und Ehrlichkeit seien nicht altmodisch. "Wir besinnen uns auf unsere Kultur, wir bekennen uns zu unserem Vaterland", rief Merkel. Nur man glaubt ihr nicht. Und deshalb wird sich das von der CDU hinterlassene rechtsdemokratische Vakuum mit etwas anderem füllen.

Foto: Unions-Politiker Markus Söder, Stefan Mappus, Hendrik Wüst, Philipp Mißfelfder (v.l.n.r.): Gegen Einwanderung, Abtreibung und Sterbehilfe


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