© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Warnung vor dem verführerischen Mythos
Integration: Auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin diskutieren Wissenschaftler und Politiker über Urbanität und Zuwanderung
Fabian Schmidt-Ahmad

Lemberg - seit jeher galt die heute im Westen der Ukraine liegende Stadt als Schmelztiegel der Kulturen. Hier konzentrierte sich auf engstem Raum die Völkervielfalt Osteuropas. Neben den slawischen Völkern lebten hier Armenier, Deutsche und bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem Juden in einer Gemeinschaft. So ist es nicht verwunderlich, wenn vergangene Woche anläßlich der Jüdischen Kulturtage in Berlin mit Bezug auf den "Multikulturalismus" Lembergs zum Gesprächsforum "Urbanintät und Zuwanderung - Kulturelle Integration in Geschichte und Gegenwart" geladen wurde. Eingeführt wurde das Plenum von Andreas Kleine-Kraneburg, stellvertretender Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, die neben dem Centrum Judaicum und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die Veranstaltung organisierte.

Um die Aktualität des Themas zu verdeutlichen, schloß Kleine-Kraneburg von der kulturellen Zerstörung Lembergs unmittelbar auf das Messerattentat auf einen jüdischen Geistlichen vor wenigen Tagen in Frankfurt: Dies zeige deutlich, "in welcher Problematik wir auch nach wie vor leider, leider noch stecken". Vor allem zeigte dies aber auch das Niveau der Debatte. Denn offensichtlich war Kleine-Kraneburg entgangen, daß deutsche Neonazis eher selten ihre Opfer mit arabischen Flüchen belegen. So mußte sich der verwirrte Zuhörer fragen, weswegen er nach Maßgabe Kleine-Kraneburgs Betroffenheit empfinden sollte - in diesem Fall doch eigentlich nur wegen einer möglicherweise mißratenen Einwanderungspolitik. Doch gerade diese wurde vom Plenum einhellig begrüßt, was wiederum das problematische Verhältnis aufzeigte, welches der "Mulitkulturalismus" gegenüber der Realität einnimmt.

Volker Hassemer, der für die CDU als ehemaliger Senator in Berlin für Stadtentwicklung und Umweltschutz sowie für Kulturelle Angelegenheiten  zuständig war, zeigte sich von der Idee des Multikulturalismus begeistert, auch wenn er mögliche Schwierigkeiten einräumte: "Das, was wir hier positiv sehen, kann in der Regel sehr anstrengend sein. (...) Denn Leute unter sich, die sich gegenseitig sehr gut kennen, sich gegenseitig nicht mehr überraschen, auch nicht herausfordern, das mag eine weniger anstrengende Gesellschaft sein als die, die sich (...) immer wieder mit neuen Attitüden, mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen muß." Aber gerade dies sei als "produktive Anstrengung" zu begrüßen.

Ob zu diesen gegenseitigen Überraschungen auch ein Messerattentat gehört, ließ allerdings Hassemer ungeklärt. Auch die Frage, ob abgeschottete, muslimische Gemeinden nicht genau dem Bild einer unproduktiven Gemeinschaft entsprächen, wie er sie skizzierte, blieb offen.

Aber solche Parallelgesellschaften gibt es gar nicht, glaubt man Armin Laschet (CDU), der in seiner Funktion als nordrhein-westfälischer Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration am Gespräch teilnahm. Denn was hieße eigentlich Parallelgesellschaft, so fragte Laschet: "Das würde bedeuten, es gibt eine Welt, in der man eine Sprache spricht, aus der man sich nicht herausbewegt und aus der heraus man keinen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft hat. Und die im schlimmsten Fall sogar ein eigenes Rechtssystem hat, wo der Staat nicht mehr eingreift." Eine solche Parallelgesellschaft könne aber er, Laschet, nicht in Deutschland erkennen. Vielleicht hat es ja direkt einen tieferen Sinn, wenn Hassemer seinem Parteifreund halb scherzhaft vorschlägt, sich nicht mehr "Integrationsminister" zu nennen - was aus Sicht des Multikulturalismus irgendwie problematisch klinge -, sondern lieber "Minister für innere Kreativität".

Einen einigermaßen realistischen Blick auf die Kulturen hat sich dagegen Karl Schlögel bewahrt. So sprach sich der Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gegen den verführerischen "Mythos von Lemberg" aus. Denn keineswegs sei der Zusammenprall der verschiedenen Völkerschaften auf engstem Raum so konfliktfrei gewesen. Auch habe es kein "Mulitikulti" gegeben, sondern sehr "distinkte Lebensformen", die in ihrer Beschreibung den Zuhörer eher an ein Nebeneinander von Parallelgesellschaften erinnerten - wohlgemerkt ein hierarchisch gegliedertes Nebeneinander. Denn Schlögel verdeutlichte etwas, was Verfechtern des Multikulturalismus eigentlich unangenehm aufstoßen müßte: daß nämlich Lemberg  als Typus eines Schmelztiegels nur vor dem Hintergrund einer starken imperialen Macht begriffen werden kann - in diesem Falle hauptsächlich des Habsburger Reichs.

Statt dessen verstieg sich das Plenum in bizarre Ansichten über die Gegenwart. Auf die Frage eines anwesenden Ägypters, ob es denn nicht bedenklich sei, wenn in Deutschland Bau und Unterhalt der verschiedenen Moscheen durch Gruppen aus Saudi-Arabien, der Türkei oder dem Iran finanziert werden, die sich ausdrücklich der Bekämpfung und Unterwerfung des Christentums verschrieben haben, gab Laschet die denkwürdige Antwort: "Wir haben in Aachen eine Kirche, die quasi aus Schmugglergeldern finanziert wurde, wo die Schmuggler aus schlechtem Gewissen das Geld für die Kirche gespendet haben." Ferner möchte er lieber nicht wissen, aus welchen Mitteln so manche Kirche in Italien erbaut sei.

Scheinbar gibt es ziemlich viel, was der "Minister für innere Kreativität" lieber nicht wissen möchte.


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