© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Göttliche Tigerin
Die Inkarnation des Gesangs: Vor dreißig Jahren starb die Operndiva Maria Callas
Christoph Krüger

Am 22. Juli 1959, um 14 Uhr,  hangelt sich Winston Churchill die Gangway zu der vor Monte Carlo liegenden Luxusyacht "Christina" hoch. Ein Matrose trägt ihm seinen Papagei Toby nach, erst dann folgen Familie und Entourage des britischen Kriegspremiers. Eine Stunde später huscht Maria Callas mit Ehemann Giovanni Meneghini an Bord, um mit Sir Winston, Fiat-Chef Umberto Agnelli und Aristoteles Onassis, dem Eigner des Schiffes, zu einer dreiwöchigen Kreuzfahrt durch die Ägäis in See zu stechen.

In der jährlich anwachsenden Callas-Literatur figuriert diese mediterrane Lustpartie entlang der Küsten Italiens und Griechenlands als Wendepunkt im Leben der größten Sängerin des 20. Jahrhunderts. Denn nach ihrer Rückkehr trennt sich die Diva von Meneghini, dem Mit-Architekten ihrer Karriere, um mit ihrem Gastgeber, dem Tankerkönig und "modernen Odysseus", eine Liaison einzugehen. Von ihren weitergehenden Absichten, Onassis zu heiraten, gar Hausfrau und Mutter zu werden und der Bühne zu entsagen, erfüllte sich nur der letzte Wunsch: Nach dem Ende der Kreuzfahrt begann der Abgesang der Primadonna. Zwischen 1960 bis 1965 wurden ihre Auftritte rar. Danach gab es nur noch müde Versuche, Alternativen zu finden, als Lehrerin, Regisseurin, Schauspielerin. Am 16. September 1977 starb Maria Callas in Paris, erst 53 Jahre alt.

Chronologisch mag es stimmen, daß die Seereise im Sommer 1959 den Übergang von der Licht- zur Schattenseite der Callas-Biographie einleitete. Doch "The Cruise '59", im Vorfeld des 30. Todestages von Ricci Tajani als eine Art Bordtagebuch rekonstruiert und üppig bebildert auf den Markt geworfen, macht tatsächlich nur eine Zäsur sichtbar, die zwei Jahre vor ihrem Ausflug in die Jetset- und Glitterati-Szene des milliardenschweren griechischen Landsmanns anzusetzen ist.

Mit einer triumphalen Aufführung von Verdis "Maskenball" in der Mailänder Scala endete im Herbst 1957 ihre Regentschaft als Königin der Oper. 1958 mehrten sich bereits die Kritiken, die stimmliche Schwankungen und Schwächen, "Höhenprobleme", registrierten. Manche Aufführungen glichen mehr "Triumphen der Willenskraft" (Jürgen Kesting) und gemahnten an das Erlöschen der Stimme, das dann ab 1959 offenbar wurde.

Läßt man ihren "Durchbruch" mit den italienischen Verdi-Aufführungen und dem ersten mexikanischen Gastspiel 1950 beginnen, durfte sich das internationale Opern- und Konzertpublikum also nur kümmerliche sieben Jahre an der herausragenden Vokalkunst einer Maria Callas berauschen. Im Vergleich mit einer durchschnittlichen Bühnenpräsenz von 25 Jahren, wie sie die Karrieren ihre Vorgängerinnen und Konkurrentinnen ausweisen, ist das eine wahrhaft kurze Kometenbahn.

Und überdies keineswegs eine so strahlende, wie sie in manch verklärender Rückschau erscheint. Die erst nach ihrem Tod mystifizierte Kunstpriesterin war zwar von 1952 bis 1957 die "Königin der Scala", aber auch in der leidlich skandalfreien Zeit bis 1954 herrschte sie nicht unumstritten. Neben üblichen Theaterrankünen gab es im Publikum und unter Kritikern stets eine kräftige Anti-Callas-Fronde. Und der unliebenswürdigen "Tigerin", leidenschaftlich zu Freund/Feind-Bestimmungen neigend, war an Deeskalation kaum gelegen.

Dabei zielten ihre Gegner weniger auf den Charakter der Callas als auf ihren Rang als Künstlerin. Die von ihr inaugurierte Renaissance des Belcanto-Gesangs klang um 1950 hart und metallisch in davon seit langem entwöhnten Ohren. Aufdringlich und beängstigend wirkten anfangs ihre "Trapezakte in der vokalen Stratosphäre" (Kesting). Ihrer Domäne, dem italienischen Opernrepertoire der Bellini, Donizetti, Rossini und Verdi, haftete von deutscher Warte ohnehin der Geruch überdrehter Effekthascherei an, typisch für das Land der Singvogelmörder und Taschendiebe.

Ihre Paraderollen, Donizettis Lucia di Lammermoor, Bellinis La Sonnambula und seine Norma, finden sich in argen Schauerstücken, kompositorisch kalkuliert und mit ihren aberwitzigen Schwierigkeitsgraden zugeschnitten auf extreme Primadonnenvirtuosität. Diese Frauencharaktere wandeln allesamt am Rand des Pathologischen, überschreiten ihn wie die wahnsinnige Lucia.

Darstellerisch war Maria Callas diesen Seelenzuständen gewachsen, ihr dramatisches Genie stand der Intensität und Agilität ihrer todessehnsüchtigen, für die "Schönheit des Schreckens" disponierten Gesangskunst in nichts nach und trug nicht wenig zu den Ovationsor-gien ihrer mitunter delirierenden Verehrerschaft bei. Nach ihr wurde auf der Bühne nichts dergleichen mehr geboten, aber es ist zweifelhaft, ob die pathetische Intensität des Psychopathologischen als Nachklang des 19. Jahrhunderts nicht an die Rezeptionsbedingungen der 1950er Jahre gebunden war.

Jedoch allen zeitgebundenen Einwänden gegen "die einzige Künstlerin, die je rechtmäßig die Bühne betreten hat" (Kesting) zum Trotz, setzt sich seit ihrem Tod in abermillionenfacher Reproduktion das Naturwunder ihrer Stimme durch. Deren magnetische Wirkung ist, ungeachtet aller gesangstechnischen Interpretationsakrobatik des auf diesem Feld unerreichten Jürgen Kesting, schlicht unerklärlich, reiner, tiefster Zauber.

Anlage und Übung führten bei Maria Callas in die nie wieder erreichte Nähe der Vollkommenheit, was nicht erst an den "großen" Arien, sondern an kleinsten Glanzstücken wie der lautmalerischen Glöckchenarie aus Delibes' "Lakmé" auch für den musikalischen Laien zu überprüfen ist. Jenseits der technischen Perfektion einer Sopranstimme, der kein Ton der Opernliteratur des 19. Jahrhunderts Probleme bereitete, die mühelos drei Oktaven umspannt, beginnt La Divinas eigentlich magisch-mystische Kunst, die Wirklichkeit von Zeit und Raum aufzuheben.

Foto: Maria Callas (1923-1977) mit dem Film-, Theater- und Opernregisseur Luchino Visconti: Eine wahrhaft kurze Kometenbahn

Ricci Tajani: Maria Callas. The Cruise  '59. Biographie einer Reise, Schott Music, Mainz 2006, gebunden, 175 Seiten, 200 Abbildungen, 39,95 Euro.

Jürgen Kesting: Maria Callas. Ullstein, Berlin 2002, Taschenbuch, 432 Seiten, Abbildungen, 8,95 Euro


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