© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Geschichtsklitterung
Kino: "Salvador - Kampf um die Freiheit" mit Daniel Brühl
Ellen Kositza

Oh ja, Spanien bewegt sich. Über einige Jahrzehnte nach Francos Tod erschien diese Bewegung als eine maßvolle Modernisierung. Seit dem Regierungsantritt des progressiven Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero 2004 wurde sowohl dem General als auch gesellschaftlichen Relikten seines Systems noch dutzendemal nachträglich der Garaus gemacht: Spanien erlebte in den vergangenen Jahren eine Bilderstürmerei mit Anzeichen der Hysterie, daneben eine umfängliche Rehabilitierung von Franco-Opfern, zudem wird die Reform des katalanischen Autonomiestatus im Eiltempo vorangetrieben. 

Hätte die spanische Nationalflagge ein symbolistisches Leck, wie gerne würde man darauf dieses populäre Instrument plazieren: die gute alte Faschismuskeule. Unter Verweis auf den totalitären Franquismo geht heute in Spanien eigentlich jede noch so verrückte Idee durch, und da die Wirtschaft - dank stetig wachsender Betonburgen und Gewächshäuser auch im kürzlich noch armen Süden - brummt wie nie, wird diese Entwicklung auch von konservativen Kräften weitgehend unterstützt.

Dazu paßt, daß Manuel Huergas Freiheitskämpfer-Epos "Salvador Puig Antich" im vergangenen Jahr nicht nur zum Kassenschlager wurde, sondern dessen Erfolg auch von bürgerlichen Medien mitgetragen und teils gar kofinanziert wurde. Daß der junge Salvador (zu deutsch praktischerweise: "Erlöser") 1974 zum Opfer des letzten unter Franco vollzogenen Todesurteils wurde, macht aus einem kleinen Licht eine Legende mit Strahlkraft.

Der 20jährige Katalane (dargestellt und auch im Original gesprochen von dem in Barcelona aufgewachsenen Daniel Brühl) ist eigentlich kein politischer Kopf. Unter den Moden, die seit 1968 auf den gesamten Kontinent ausstrahlen, zählt allenfalls die "Theorie und Funktion des Orgasmus" zu seinem Interessengebiet, und da solches seine große - leider stockbürgerliche - Liebe Cuca (Leonor Watling) nicht tangieren will, wendet er sich einer Gruppe langhaariger, bärtiger Rebellen zu. Da ist wenigstens etwas los!

Salvador engagiert sich zunächst in gewerkschaftlichen Zusammenhängen und tritt dann der Movimiento Ibérico de Liberación (MIL) bei, einer sich anarchistisch nennenden, aber eigentlich linksradikalen französisch-spanischen Gruppe. Stützpunkt der Gruppe ist Toulouse, Aktionsraum Katalonien. Die Männer überfallen Banken, um das Geld in den Aufbau ihrer Organisation und die Arbeiterbewegung zu investieren. Jahrelang können sie erfolgreich und beinahe unangetastet ihr wildes Leben zelebrieren, bis bei einer Schießerei 1973 ein junger Polizist getötet wird.

Salvador, der mutmaßliche Täter, kommt schwerverletzt ins Krankenhaus und wartet anschließend im Gefängnis sein Verfahren vor dem Militärgericht ab. Ein Anwalt aus dem linken Milieu, Salvadors Schwestern und Freundinnen versuchen alles, um das drohende Todesurteil abzuwenden. Der Film will, daß es der Mordanschlag auf Admiral Carrero Blanco, den Präsidenten der Franco-Regierung, ist, der die Hinrichtung Salvadors - durch qualvolle Erdrosselung mit der Garrotte - als staatspolitisches Exempel letztlich unausweichlich macht.         

Der Zuschauer erfährt nur vage von den Zielen der militanten Gruppe um Salvador, schon gar nicht, worauf deren Anarchismus eigentlich hinaus will. Nicht einmal, wogegen sich ihr Aufbegehren richtet, wird deutlich. Klar: Jung, wild und dynamisch schauen uns die Regimegegner an; dickfleischig und breitnasig dagegen die Büttel und Vollstrecker: das verkörperte Antlitz des Unrechtsstaates. So funktioniert der Propagandafilm seit eh und je. Als übermütige Welpen, schlimmstenfalls tollkühne Pistoleros, die gelegentlich über das Ziel (welches eigentlich?) hinausschießen,  stellen sich die Bandenmitglieder dem Zuschauer dar: keine Rede von der fanatischen Religionsfeindlichkeit ihrer folternden und mordenden Idole des Spanischen Bürgerkriegs, in deren Tradition sie sich wähnen.

Dabei ist es nicht nur solche Geschichtsklitterung, die den Streifen mißlungen erscheinen läßt. Regisseur Manuel Huerga (der 2004 mit der Oper "Gaudí" reüssierte) schafft es spätestens nach der ersten halben Stunde nicht, einen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten - anstrengend für einen Film mit Überlänge. Womöglich war beabsichtigt, mit dem Epos die durch Salvadors Schwestern für 2007 angestrebte Revision des Todesurteils zu beeinflussen. Jüngst nun wurde ebendieser Antrag abgewiesen. Vielleicht gebietet es der Respekt vor einem Todesstrafen-Opfer, daraus ausgerechnet zu folgern, der Franquismo sei längst nicht tot ...

Foto: Salvador (Daniel Brühl) auf dem Weg zur Hinrichtung


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