© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Segnen dieses liebe Deutsche Reich
Kreisauer Kreis: Vor hundert Jahren wurde der katholische Widerstandskämpfer Alfred Delp geboren
Manfred Müller

Sie Jämmerling, Sie pfäffisches Würstchen!" So fuhr Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes, am 9. Januar 1945 den Angeklagten Alfred Delp SJ an. Für Freisler war Delp "eine Ratte", die man "zertreten sollte". Das Verfahren endete für den Jesuitenpater mit dem Todesurteil.

Delp wurde am 15. September 1907 in Mannheim geboren. Das katholisch getaufte Kind aus einer konfessionsverschiedenen Ehe besuchte in Lampertheim die evangelische Volksschule. Der junge Delp entschied sich 1921 nach der Konfirmation, sich firmen zu lassen, trat in Dieburg in das bischöfliche Konvikt ein und besuchte das städtische Gymnasium. Wichtig für sein weiteres Leben wurde die Mitgliedschaft im Bund Neudeutschland (ND), jener von der Jugendbewegung geprägten katholischen Schülergemeinschaft, in der sich ein jugendgemäß gelebtes Christentum mit tiefer Heimat- und Vaterlandsliebe verband. Delp wurde ein begeisterter ND-Führer. Sein Lieblingslied war das damals in vielen Bünden gern gesungene "Und wenn wir marschieren", dessen letzte Strophe lautet: "Du Volk aus der Tiefe, du Volk aus der Nacht, vergiß nicht das Feuer, bleib auf der Wacht!"

1926, nach dem Abitur, wurde Delp, der lange den Gedanken erwogen hatte, Berufssoldat zu werden, Novize des Jesuitenordens. Ein Mitnovize schilderte Delp so: "Aus der Jugendbewegung kommend, war er voller Sturm und Drang: bei der Arbeit, beim Studium, beim Wandern, beim Bergsteigen und in der Diskussion, wo er wie der Hecht im Karpfenteich war mit all seiner Intelligenz, seinem Widerspruch und seinem Lachen."

1931 wurde Delp Präfekt am Kolleg Stella Matutina in Feldkirch (Österreich), einem hochberühmten Jesuitengymnasium. Er brachte einen neuen Erziehungsstil ins Kolleg, der auf Inhalte und Formen der deutschen Jugendbewegung zurückgriff. Als die Patres 1934 die reichsdeutschen Schüler des Kollegs nach St. Blasien im Schwarzwald verlagerten, zog Delp mit und war Befürworter einer zu bildenden anstaltseigenen HJ. Er gab sich damals noch der Illusion hin, bewußte junge Katholiken könnten in der NS-Jugendorganisation wie ein Sauerteig wirken. Je heftiger der Weltanschauungskampf im Dritten Reich entbrannte, desto entschiedener wurde Delps Gegnerschaft zum Nationalsozialismus.

Nach Abschluß seiner Studien empfing Delp 1937 die Priesterweihe und wirkte seit 1939 schriftstellerisch sowie in der Männerseelsorge und (ab 1941) als Rektor an St. Georg in München Bogenhausen.

Helmuth James Graf Moltke führte ab August 1940 auf Gut Kreisau in Schlesien Zusammenkünfte von Regimekritikern unterschiedlicher ideologischer Herkunft durch, um für den Fall des Zusammenbruchs des NS-Systems ein Staats- und Regierungskonzept zu erarbeiten. Die geplante Sozialordnung sollte sich stark an der katholischen Soziallehre orientieren. Man wandte sich an die Jesuiten mit der Bitte, einen sozialpolitischen Experten abzustellen. In dieser Funktion referierte Pater Delp in Kreisau, und er vermittelte Kontakte zu Männern der katholischen Arbeiterbewegung. Seine Münchner Wohnung stellte Delp für Besprechungen zur Verfügung. Am 6. Juni 1944 traf sich Delp mit Stauffenberg. Ob dabei über die Attentatsplanung gesprochen wurde, darüber kann man nur Mutmaßungen anstellen.

Am 28. Juli 1944 wurde Delp von der Gestapo verhaftet und im August nach Berlin gebracht. Bei "verschärften" Verhören wurde er am 14./15. August gefoltert. In der Neujahrsnacht 1944/45 schrieb er in tiefer Sorge um die Zukunft des Abendlandes und Deutschlands: "Eines ist sicher: ein Europa ohne Deutschland, und zwar ohne mitführendes Deutschland gibt es nicht. Und ein Deutschland, in dem die abendländischen Urströme: Christentum, Germanentum (nicht Teutonentum) und Antike nicht mehr quellrein fließen, ist nicht Deutschland und ist kein Segen für das Abendland." Schon früher hatte er den neuheidnischen Tendenzen der NS-Bewegung sein Bekenntnis entgegengestellt: "Kirchliche Menschen müssen aufstehen, die völkische Menschen sind, und völkische Menschen müssen aufwachen, zu dem Bewußtsein, daß all das Gute, das sie wollen, nur dadurch verwirklicht werden kann, daß unsere Kraft sich ausweitet aus unserer Enge und Schwäche heraus zur Fülle der Kraft des Christusmenschen." Das Volk war ihm eine geschichtliche "Ordnungswirklichkeit", die Menschheit, so Delp, existiere nur in Völkern, d. h. in "blutsverwandten und blutsverträglichen Gruppen". Heutigen Zeitgenossen scheinen dies kaum hinnehmbare Vorstellungen.

Die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof sollte nach Freislers Willen den Pater als einen ehrlosen Volksverräter abstempeln. Freisler war ein ausgesprochener Pfaffen-  und Jesuitenfresser. ("Kein Deutscher kann doch einen Jesuiten auch nur mit der Kneifzange anfassen.") Den protestantischen Theologen Eugen Gerstenmaier, den späteren Bundestagspräsidenten, der stärker als Delp in den 20. Juli verstrickt war, ließ Freisler mit einer Zuchthausstrafe davonkommen, den Jesuitenpater aber verurteilte er (und seine Mitrichter folgten ihm willig) zur Hinrichtung durch den Strang.

Delp erkannte, daß er ein Opfer im Weltanschauungskrieg wurde. Er notierte: "Unser eigentliches Vergehen ist unsere Ketzerei gegen das Dogma: NSDAP - Drittes Reich - Deutsches Volk leben gleich lang. Wer es wagt, diese NS-Dreifaltigkeit ... anzuzweifeln, ist ein Ketzer, und die früheren Ketzergerichte sind Spielereien gegen die Raffinesse und tödliche Akribie dieser jetzigen."

Den Tod vor Augen, schrieb Delp nieder, was ihm ein Herzensanliegen war: "Mein Verbrechen ist, daß ich an Deutschland glaubte auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus ... Und so will ich zum Schluß tun, was ich so oft tat mit meinen gefesselten Händen ... Segnen Land und Volk, segnen dieses liebe Deutsche Reich in seiner Not und inneren Qual ..." Noch in seinem letzten Brief an seine Mitbrüder wollte Delp jene Grundthese nicht akzeptieren, die Freisler in seiner Verhandlungsführung immer wieder variiert hatte: "Ein Jesuit ist a priori der Feind und Widersacher des Reiches."

Trotzdem hoffte Delp bis zuletzt auf Rettung, versprach sich sogar etwas von einem Gnadengesuch an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler. Vergebens. Am 2. Februar 1945, dem Fest Mariä Lichtmeß, endete Delps irdisches Leben in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee am Galgen.

Im Dezember vorigen Jahres erinnerte Altbundeskanzler Helmut Kohl an den "großen Sohn Mannheims" und an dessen Beitrag zu den sozialpolitischen Seiten des Entwurfs der deutschen Nachkriegsordnung. Sieht man genauer hin, muß man feststellen, daß weder Delps Vorstellungen von der historischen Lebenswirklichkeit des Volkes noch seine Konzeption eines "personalen Sozialismus" in die gesellschaftliche und politische Gestaltung der deutschen Dinge eingebracht wurden. Sollte in Zukunft noch einmal über einen "Dritten Weg" für Deutschland nachgedacht werden, wird man die Überlegungen des Sozialethikers Delp berücksichtigen müssen.

Foto: Pater Alfred Delp 1944 vor dem Volksgerichtshof in Berlin: Ein Opfer im Weltanschauungskrieg


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