© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Die Netzwerkerin
Feminismus: Die "Emma"-Gründerin Alice Schwarzer eckt längst nicht mehr an, sondern gibt mit ihren Thesen den Takt vor
Ellen Kositza

Kinder verbinden. Die Emma-Lektüre nebenbei auch. Die Zugnachbarin, unterwegs mit ihren Enkeln, teilt mit Alice Schwarzer den Jahrgang 1942 und erinnert sich mit Grauen an "damals", als das so richtig losging mit dem Feminismus: "Aber wie hat die sich gemausert! So biestig wie die damals war, diese übertriebenen Thesen - nein, das war ganz bestimmt nicht meine Welt. Aber die Schwarzer heute: die kommt einfach sympathisch rüber."

Daß Schwarzer gern gesehen wird - schon klar. Wessen Thesen randständig sind, der bringt es kaum zum Dauertalkgast auf allen Kanälen, dessen Buch wird auch nicht im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorabgedruckt (im Gegenzug fungiert die Gattin des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, Rebecca Casati, als Emma-Autorin), dem wird das Bundesverdienstkreuz am Bande (1996) auch nicht zum Verdienstkreuz Erster Klasse (2005) aufgestockt. Die Liste der Ehrungen, die auf Schwarzer niederregnen, ist schier endlos, vom Staatspreis NRW bis zum Ritterschlag der französischen Ehrenlegion: Wir sind Alice Schwarzer! Wohl die Krönung der allseitigen Wertschätzung erfuhr Deutschlands Feministin Nr. 1 zuletzt mit dem Abdruck ihres überlebensgroßen Konterfeis auf den gewaltigen Werbeflächen der Bild-Zeitung - keineswegs ungefragt, wie Gutgläubige mutmaßten, sondern gegen Bares. Schwarzers Welt ist Mainstream.

Die Last der Anpassung lag mitnichten bei ihr - sie ist gesellschaftlich vonstatten gegangen. Ihr Mist, als Dünger genommen, trieb lange schon flächendeckendes Grün hervor (moderne Gartenbücher meiden den Begriff Unkraut), das schillernd blühte und nun Früchte trägt. Wie schmackhaft die sind, steht zur Disposition. Nein, trotz früherer Bild-Schelte (die Nackedeis!) und gelegentlicher Emma-Brandmarkung von Kai Diekmann als "Pascha des Monats": Die Schwarzer, von der alten Bild noch despektierlich ein "Mannweib" gescholten, ist sich schon treu geblieben. Generationsmäßig hat ihr mittlerweise einundreißigjähriges Kind, ebenjene Emma, ihr Spektrum erweitert und auf Interessenlagen sowohl der ganz jungen Frauen als auch der Ruheständlerinnen erweitert. Gepredigt werden gleiche Inhalte bei gemäßigtem Ton. Darunter, und hier haben wir die "Scharnierfunktion" der Emma, hochverdiente und andernorts selten zur Sprache gebrachte wie die grassierende Frühsexualisierung oder die neue Welle der Eßstörungen.

Wozu noch biestig sein? Kein Schweiß und kein Keuchen, diese unschönen Ingredienzen der Anstrengung, sind vonnöten, wenn das Rennen gemacht ist. Schwarzer schreibt vor, was andere über kurz oder lang nachbeten. Große Entwürfe wie Kleinigkeiten: Sei es die Aufnahme von Homofamilien in das gesellschaftliche Leitbild, wie von Bundespräsident Horst Köhler gefordert, oder die Durchsetzung der Forderung, daß das Homosexuellen-Mahnmal in Berlin neben einem Dauervideo knutschender Männer nun wechselweise auch Lesben zeigen soll. Schwarzer sitzt weich, weil die Sessel der Gremien, Podien und Jurys nach eigener Vorgabe gefertigt sind.

Keine Frage, die Frau hat einen langen Atem. Mit 16 absolvierte sie in ihrem Geburtsort Wuppertal eine kaufmännische Lehre. Zuvor hatte sie sich auf eigenen Wunsch taufen und konfirmieren lassen. Daß sie geprägt wurde von der sozialen Randständigkeit ihrer Familie,  "die im restaurativen Deutschland der fünfziger Jahre die Nazis gehaßt hat", ist ihr wichtig genug, es auf ihrer Internetseite zu betonen. 1964 geht Schwarzer nach Paris, hier nimmt sie ein Studium der Psychologie und Soziologie auf.

Ins Licht der Öffentlichkeit rückt sie sich, damals noch mit Riesenbrille und dauergewellt, 1971 mit der Kampagne "Frauen gegen den Paragraphen 218", sie lanciert den berühmten Stern-Titel "Wir haben abgetrieben": 374 prominente Frauen bezichtigten sich darin selbst und ebenso selbstbewußt, abgetrieben zu haben. Die Abtreibungsgegner "wollen nicht, daß wir den Kopf heben. Unsere Bestimmung soll das Wochenbett sein und nicht die Welt. Ewig zittere das Weib." So erläuterte Schwarzer 1990 ihr Ansinnen und erklärte noch später, selbst - genausowenig wie etliche ihrer damaligen Kampfgenossinnen - in Wahrheit nie abgetrieben zu haben. Da war die Devise eines unbedingten Selbstbestimmungsrechts auf Kosten Dritter längst fest verankert.

1975 erscheint ihr Buch "Der Kleine Unterschied und seine großen Folgen", bislang das erfolgreichste der knapp vierzig Bücher, als deren Autorin oder Herausgeberin Schwarzer verantwortlich zeichnet. Was zu diesem Zeitpunkt noch offen war, nämlich die Deutungshoheit der feministischen Differentialistinnen, die das Weibliche im Rahmen einer Anerkennung des grundsätzlichen Unterschiedes stärken wollten, oder der Gleichheitsfeministinnen, die allein den anatomischen Gegensatz nicht wegreden konnten, aber früh schon von kulturell bedingten Gender-Konstrukten sprachen, war ab jetzt entschieden.

Das Politische privat, das Private politisch werden zu lassen: diesen Schlachtruf der Achtundsechziger hat Schwarzer so radikal wie erfolgreich ausgefochten. Daß sie selbst ihr Privatleben dabei sorgsam bedeckt hält, interessiert kaum. Lesbische Mitstreiterinnen, die längst den "Coming Out"-Ermunterungen der Emma gefolgt sind, werfen ihr in der Hinsicht mangelnde Glaubwürdigkeit vor. Ob Abtreibungsfrage, Frauenerwerbstätigkeit, Kinderbetreuung, Gebärverhalten: kein Stein der alten Bundesrepublik erschien Schwarzer gut genug, um als tragfähig zu gelten für die Belange ihrer Klientel. Von "unten" funktionierte das nicht immer. "Emanze" blieb bis in die nahe Gegenwart eine eher unrühmliche Bezeichnung.

Gelegentlich nur durfte Schwarzer Hoffnung auf weibliche Selbstermächtigung schöpfen. Etwa in ihrem Kommentar zur Bluttat der Amerikanerin Lorena Bobbit, die Ende der neunziger Jahre ihren Gatten im Schlaf per Messer entmannte: "Sie hat ihren Mann entwaffnet. (...) Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. Der Damm ist gebrochen, Gewalt ist für Frauen kein Tabu mehr. Es kann zurückgeschlagen werden. Oder gestochen. (...) Da muß ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich." Den Rest hat am Ende Vater Staat - längst nicht mehr Patriarch, sondern Freund im eigenen Bett - besorgt: via Gesetzesnovellen (etwa mit einer Quasi-Legalisierung der Abtreibung, mit einer abstrusen Ausweitung des Vergewaltigungsstraftatbestands in der Ehe, mit immer neuen Unterhaltsregelungen zuungunsten der Männer) und - vielleicht das wichtigste Mittel - per Quote.    

Alice Schwarzer ist eine grandiose Netzwerkerin. Netzwerk: ein Euphemismus, wo der ähnliche, aber belastete Begriff der Seilschaft besser greifen würde. Durch Verbindungen und Mobilisierung ihres Leserkreises schaffte Schwarzer es vor einem Jahr, ihre antifeministische Gegenspielerin Eva Herman von ihrem Posten als Tagesschausprecherin zu lösen. Dergleichen fällt hierzulande weniger unter das böse Wort der Intrige - man darf es als Zivilcourage prämieren. Als 1998 die kritische Schwarzer-Biographie der jetzigen taz-Chefin Bascha Mika, die 1994 den Emma-Journalistinnen-Preis kassiert hatte, bei Rowohlt erscheinen sollte, wurden ebenfalls alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Buch zu verhindern. Wie prominente Schwarzer-Freunde die Drähte zum Verlagsleiter glühen ließen, hat Henryk M. Broder beschrieben.

Das Buch wurde dennoch gedruckt; gleichsam als Auftragsarbeit erschien fast zeitgleich eine panegyrische "Gegen-Biographie" zweier ergebener Anhänger Schwarzers. Frau Mika hatte damals vor allem Schwarzers Egomanie und ihren autoritären Führungsstil ("eine Tyrannin") gerügt. Flankiert wurde dies durch einen Offenen Brief ehemaliger Emma-Mitarbeiterinnen, der ins gleiche Horn stieß. Zugleich versuchte Mika sich psychoanalytisch und sah in Schwarzers Kindheit (unehelich geboren, bei den Großeltern aufgewachsen) ein Trauma zugrunde gelegt, daß sie nie verarbeitet habe.

In ihrem neuen Buch (JF 38/07) versucht sich nun auch Herman an der These des Schwarzerschen Muttermangels. "Das Problematische daran ist, daß sie sich diese Prägung nicht bis in ihr Innerstes bewußt gemacht hat, denn sonst müßte sie sich womöglich eine schmerzhafte Wahrheit eingestehen, die schwer auszuhalten sein könnte. Sie wäre sich vielleicht im klaren darüber geworden, wie groß der Schaden in unserem Land sein muß, der durch ihre fahrlässigen und verächtlichen Äußerungen über Kindeswohl und Mütterlichkeit seit vielen Jahren entstanden ist."

Wer fragt sich noch, wie Frau Herman zu einer Bild-Schlagzeile kommen konnte, die sie als Hitler-Anhängerin entstellte?

Foto: Alice Schwarzer: Eine Frau mit einem langen Atem


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