© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Tödliche Hetzjagd
McCarthyismus: Zum Tod des Dirigenten Rolf Reuter
Jens Knorr

Es geht wohl anders, als man meint. Am 6. September meldet dpa, daß der Dirigent Rolf Reuter das Bundesverdienstkreuz behalten dürfe. Die Voraussetzungen für ein Verfahren zum Entzug des Ordens seien nicht gegeben, hatte der Sprecher des Bundespräsidialamtes mitgeteilt. In der Nacht zum 11. September erliegt Rolf Reuter seinem Krebsleiden. Solidarität hat Rolf Reuter mehr aus dem Ausland, weniger aus Deutschland selbst erfahren dürfen; die begründete Angst vor den Folgen freier Meinungsäußerung sitzt tief: Verfassungswirklichkeit im Jahr 2007.

Wenigstens scheint die Berliner Opernstiftung der Zwickmühle entronnen, über Rolf Reuters Ehrenmitgliedschaft der Komischen Oper befinden zu müssen, ohne einerseits die Institution weiter zu beschädigen oder ohne andererseits die Stichwortgeber des Verfahrens zu verprellen. Hatte doch einer der Stichwortgeber, Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz), bereits angemahnt, daß "hohe formale Hürden", die vor Aberkennung der einen Auszeichnung stehen, für die Aberkennung der anderen "keinen Ausschlag geben" dürften. Wenn sich Abgeordneter Tom Schreiber, der Initiator, die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Transmissionsriemen der Kampagne, sowie Klaus Wowereit, Vorsitzender des Stiftungsrates,  hinter der Entscheidung des Bundespräsidialamts abduckten, bliebe für immer unentschieden, ob Reuters Tod ihnen die Blamage erspart oder die Show gestohlen hat.

Der Tod kommt ihnen ungelegen. Will man einen bestrafen, um hundert zu erziehen, so halte man das Demonstrationsobjekt möglichst am Leben, damit sich die Angst der zu Erziehenden nicht etwa in Empörung und Widerstand gegen den großen Erzieher wandle. Angesichts der Vernichtung der physischen könnte die Vernichtung der bürgerlichen Existenz ihren Schrecken verlieren. Peinlich vermeiden fast alle Pressenachrufe, den Zusammenhang von Kampagne und beschleunigtem Krebstod her- und die Vorwürfe selbst zur Diskussion zu stellen. Reuter hat vor "Rechtsextremisten" gesprochen, er hat mit ihnen gesungen, er wird einigen der Unberührbaren sogar die Hand gegeben haben. Er hat politische Hygienebestimmungen, die antifaschistische McCarthyisten der Gesellschaft aufzwingen wollen, nicht eingehalten, ihre Vorgaben nicht hingenommen. Sie haben den alten Mann gezwungen, sich mit öffentlicher Selbstkritik zu demütigen.

Denunzianten denunzieren nie um der Befriedigung niederer Bedürfnisse, sondern immer um einer höheren Sendung willen. Der Kampf erfordert Opfer, sie bringen sie zur Strecke. Sie erdichten Hetzjagden, um ihre eigene zu rechtfertigen. Und sie werden weiterjagen, so lange ihr als  "Kampf gegen Rechts" getarnter Kampf gegen das Recht finanziert wird und so lange sie nicht befürchten müssen, für ihr Tun zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Rolf Reuters Tod verpflichtet dazu, verbotenes Gespräch nicht mehr abreißen zu lassen, das ein deutscher Kapellmeister dort gesucht und geführt hat, wo er es für notwendig und richtig hielt, über sein Lebensthema, das ihn in seinem künstlerischen Wollen und Schaffen angetrieben hat: Was ist deutsch?

Am Tag der deutschen Einheit wird Ingo Metzmacher, ein Sachwalter der Moderne und aller Rechtslastigkeit - bisher! - unverdächtig, seinen Einstand als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters mit Hans Pfitzners Eichendorff-Kantate "Von deutscher Seele" geben, vier Tage vor Rolf Reuters 81. Geburtstag. So bekommt Reuter doch noch die Gedenkfeier, welche die Komische Oper ihrem Ehrenmitglied nicht ausgerichtet hat.


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