© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Den Mythos schon jetzt brechen
In acht Jahren werden die Autorenrechte an Hitlers "Mein Kampf" frei / IfZ-Direktor Horst Möller möchte daher jetzt schon mit einer Edition vorgreifen
Hans-Ulrich Pieper

Horst Möller ist Direktor des Münchner "Instituts für Zeitgeschichte" und insofern einer der einflußreichen Geschichtspolitiker dieser Republik. Seit langem fordert er, Adolf Hitlers "Mein Kampf" zu edieren. Auch wenn er  mit "edieren" mehr "kommentieren" zu meinen scheint, gibt sein engagiertes Interesse doch Rätsel auf.

Als vor einigen Monaten in Salzburg Manuskript-Seiten auftauchten, bei denen es sich angeblich um "Konzept-Papiere" zu Hitlers "Mein Kampf' handeln soll, meldete sich Horst Möller in der FAZ sogleich wieder zu Wort: Eine "wissenschaftliche Edition" des 1925 und 1927 erstmalig veröffentlichten Buches, liege immer noch nicht vor - und nannte auch die hierfür Verantwortlichen: "Ich habe immer wieder Vorschläge zur Edition eingebracht. Doch hat der Freistaat Bayern nach 1945 die Rechte des Parteiverlages der NSDAP, des Eher Verlages, beansprucht. Er untersagte eine vollständige Veröffentlichung des Buches, um die Verbreitung nationalsozialistischer Schriften, ein Wiederaufleben rechtsextremer Strömungen in Deutschland (...) zu verhindern."

Darüber hinaus habe das Auswärtige Amt "immer wieder von einem Editionsprojekt abgeraten", weil man eine angeblich negative Wirkung auf das Deutschland-bild im Ausland befürchte. Für Möller ist dieser Einwand nicht überzeugend, weil sich "Mein Kampf" in jeder wissenschaftlichen Bibliothek finden läßt und im Ausland fortlaufend publiziert werde. Auch wenn der Freistaat Bayern - wie jetzt bekannt wurde - die Publikationen des Hitler-Werkes im Ausland mühsam zu verhindern sucht. Oft gelingt das nicht. Ein schwedischer Verleger pochte auf Meinungsfreiheit, und in Israel sei die Veröffentlichung schon gar nicht zu verhindern. Überdies könne jedermann in außerdeutschen Internetpräsentationen das Buch herunterladen und mit Volltextrecherche durchsuchen.

Vor diesem Hintergrund hält der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte ein weiteres Verbot der Edierung von Hitlers "Mein Kampf" in Deutschland für "kaum noch begründbar". Er verweist überdies auf die Herausgabe der 29 Bände der Goebbels-Tagebücher, die vierbändige Dokumentation zum Hitter-Prozeß und die dreizehn Bände mit Hitlers Reden, Schriften und Anordnungen (1925-1933), die das Münchner Institut Ende der neunziger Jahre herausgegeben hat. Möllers eigentliches Motiv seines ungewöhnlichen Drängens in der Öffentlichkeit ist allerdings perspektivischer: In weniger als acht Jahren, ab dem 1. Mai 2015, kann jeder "Mein Kampf" nachdrucken, da die Autorenrechte - auch die der Erben - siebzig Jahre nach dem Tod des Verfassers erlöschen. Dann "wird es genug Verlage geben, die das Buch mit entsprechender Sensationsmache verkaufen wollen", ist sich der Zeitgeschichtler sicher. Also gilt es, einer "bloß kommerziellen Nutzung das Wasser abzugraben." Die wissenschaftliche und politische Vernunft gebiete das.

Möller rechnet damit, daß ein Experte allein etwa fünf Jahre braucht, "Mein Kampf" zu edieren - und gibt auch gleich die inhaltliche Zielsetzung vor. Es gelte eine "aufwendige historisch-kritische Ausgabe (zu) besorgen", die zeigt, "welche unterschiedlichen Textvarianten es gibt und woher die Gedanken und Ausführungen Hitlers" ursprünglich stammen. Man solle klären, ob das alles Hitlers eigene Ideologeme seien oder Vulgarisierungen anderer Texte, Lesefrüchte, durchdachte Argumente oder rasche Übernahmen aus persönlichen Unterhaltungen.

Für Möller, der gern Auftraggeber der Edition wäre, steht allerdings das Urteil schon fest: Hitlers "Mein Kampf" ist "schlecht geschrieben", aus allerlei fremden Versatzstücken und Haßtiraden zusammengesetzt. Es gäbe "kaum wirklich originelle Gedanken". Dennoch sei das Buch "ein Schlüsseltext für das nationalsozialistische Regime". Ob das eine aufwendige, sicher Hunderttausende Euro verschlingende Edition rechtfertigt? Die Antwort des Zeithistorikers ist eindeutig: "Meine wissenschaftliche Edition könnte den merkwürdigen Mythos um mein 'Mein Kampf' brechen." Ein wahrhaft wissenschaftlicher Anspruch.


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