© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Ein Titan tritt ab
Machtwechsel: Auf ihrem Parteitag in München will die CSU an diesem Wochenende die Nachfolge von Edmund Stoiber regeln
Paul Rosen

Zuletzt will man sie nur noch loswerden. Es ist das Schicksal großer Männer und Frauen nicht nur in der Politik, daß sie nach Jahrzehnten im Dienst fürs Vaterland nicht rechtzeitig den Absprung finden oder über eine vermeintliche Kleinigkeit stolpern, was ihnen einen unverdienten Abgang beschert. Edmund Stoiber ist so ein Fall. Seit 1974 Abgeordneter und später aufgestiegen bis zum Kanzlerkandidaten der Union, räumt Stoiber an diesem Wochenende auf dem Parteitag den Vorsitz der CSU und kurz danach auch den Posten des Ministerpräsidenten. "Ich hätte mir den Übergang anders vorgestellt", sagte er auf einer Veranstaltung in Berlin. Für die bisher erfolgreichste Volkspartei Europas wird eine Phase des Übergangs folgen.

Stoiber, der 14 Jahre lang den Freistaat Bayern regierte und dem nur einige tausend Stimmen fehlten, um 2002 als erster CSU-Politiker Bundeskanzler zu werden, darf zu den Titanen seiner Partei gerechnet werden. Er steht auf einer Stufe mit dem legendären Franz Josef Strauß, der 1988 verstarb. "Die Bayern sind vom letzten Tabellenplatz auf den ersten Platz erhoben worden", unterstrich Stoiber in Berlin auch seine Verdienste um den weiß-blauen Freistaat. Auch wenn es nicht von der Natur gegeben ist, wie er selbst sagt, besteht die Erfolgsgeschichte der CSU auch darin, daß sie in allen Lebensbereichen mit Bayern verknüpft wird. Ob Kunst, Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft: Es ist in Bayern für alle Altersstufen schick, in der CSU zu sein. Identitätsprobleme wie die CDU, vor der ganze Wählerschichten auf der Flucht sind, kennt die Partei nicht.

Aber wird dies so bleiben? Seit Ende vergangenen Jahres hat sich die CSU in beispielloser Weise selbst demontiert. Ihr noch amtierender Vorsitzender hat dabei kräftig mitgeholfen. Er war - Hybris läßt grüßen - nicht in der Lage, sich bei der Fürther Landrätin Gabriele Pauli kurz vor Weihnachten zu entschuldigen, die von einem Stoiber-Mitarbeiter ausgespäht worden sein soll. Der Unmut wuchs, und zu Beginn des Jahres kam es zu dem in einer Partei wie der CSU nicht erwarteten Putsch in Kreuth gegen Stoiber. Der Chef hatte einen klassischen Fehler gemacht: "In Kreuth", so rät ein erfahrener CSU-Mann, "mußt du immer bis zum Schluß bleiben. Sonst geht es gegen dich." Stoiber jedoch war früh zu seiner Ehefrau Karin ins heimische Wolfratshausen gefahren, so daß Innenminister Günther Beckstein und Wirtschaftsminister Erwin Huber ihren Putsch planen konnten.

Natürlich war die frühe Heimfahrt nicht der entscheidende Grund für den Absturz des Mannes, dem die Bayern glanzvolle Jahre mit hohem Wirtschaftswachstum und unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit zu verdanken haben. Die tiefere Ursache liegt in einem Fehlverhalten Stoibers nach der Bundestagswahl 2005, als er erst als Wirtschaftsminister in die großkoalitionäre Regierung von Angela Merkel eintreten wollte, aber kurz vor Erhalt der Ernennungsurkunde es vorzog, nach München zurückzuflüchten. Das hat ihm die Partei nie verziehen, waren doch viele Karriereplanungen in München längst auf die Zeit nach Stoiber eingestellt. Von dieser Aktion hat sich der CSU-Chef, das steht im Rückblick fest, nie erholt.

Doch erholt sich die Partei? Die CSU erlebt jetzt, für sie völlig neu, erstmals eine Kampfkandidatur zwischen Horst Seehofer und Erwin Huber um den Vorsitz. Die Entscheidung für den Ministerpräsidenten ist für den bisherigen Innenminister Günther Beckstein gelaufen. Seine Nominierung auf dem Parteitag im Münchner Messezentrum hat nur noch den Charakter einer notariellen Beglaubigung durch die 1.000 Delegierten. Daß das Kreuther Tandem Huber/Beckstein hält und daß der bayerische Wirtschaftsminister Huber gegen Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer die Parteiführung erobern wird, hielt zuletzt die überwiegende Mehrheit der Beobachter für sicher. Der dritten Kandidatin Gabriele Pauli wird nicht einmal mehr eine Außenseiterchance eingeräumt. Durch ihr Postulat nach einer "Ehe auf Zeit" dürfte sie sich auch die letzten Sympathien verdorben haben.

Stoiber nannte Paulis Vorstellungen eine "abstruse Hippiemeinung von irgendeiner Persönlichkeit, die sich wohl nicht mehr unter Kontrolle hat". Pauli werde auch "absolut hochkant aus dem Vorstand rausfliegen", dem sie seit 18 Jahren unauffällig angehörte. Es wird also ein Zweikampf zwischen Huber und Seehofer. Beide stehen nicht für einen Generationswechsel. Der Niederbayer Huber ist 61 Jahre alt, Seehofer (58) war schon zu Kohls Zeiten Minister. Sein Name wird nicht mit einem Neuanfang irgendeiner Art verbunden. Doch die Generation der 40- bis 50jährigen, die jetzt Führungsaufgaben in der CSU hätten übernehmen können, ist klein. Es gibt den Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Joachim Herrmann, und den Generalsekretär Markus Söder. Besonders Söder hat sich für höhere Aufgaben qualifiziert. Aber für den Platz an der Partei- oder Regierungsspitze kam Stoibers Abgang zu früh.

Stark geschadet haben dürfte Seehofer eine Affäre mit einer Mitarbeiterin eines CDU-Bundestagsabgeordneten, die überdies ein Kind von ihm bekam. Der Minister konnte sich monatelang - unter lebhafter Anteilnahme der Bild-Zeitung - nicht zwischen seiner Familie in Ingolstadt und der Geliebten in Berlin entscheiden. Spät erhielt die Familie den Zuschlag. Der Politik-Experte Wulf Schönbohm wies darauf hin, daß jemand, der seine Familie jahrelang belüge, bei den Wählern das Gefühl erzeuge, daß sie ebenfalls belogen werden. Daß der Landwirtschaftsminister für den sozialen Flügel der CSU steht, spielte in den letzten Wochen praktisch keine Rolle mehr, obwohl die Sozialpolitik inzwischen eine Renaissance erlebt.

Huber steht für den Apparat. Und wenn es stimmt, daß ein Putsch wie der gegen Stoiber nur mit Hilfe des Parteiapparates ausgeführt werden konnte, dann ist die Sache für den Niederbayern so gut wie gelaufen. Seehofer hatte darüber hinaus mit Enthüllungen über Affären von Parteifreunden gedroht, und das dürften ihm besonders die den Sinnesfreuden aufgeschlossen gegenüberstehenden Parteifreunde bis an das Ende ihrer Tage übelnehmen. Huber hat sich in Jahrzehnten als starke Figur neben mächtigen Männern wie Strauß, Theo Waigel und zum Schluß Stoiber einen Namen gemacht. Er war immer loyal, sein Ruf ist in Ordnung. Von Huber würde man einen Gebrauchtwagen kaufen. Bisher galt der Wirtschaftsminister eher als eine Art Wirtschaftsliberaler. An dieser Position wird er arbeiten müssen, sonst gerät die CSU unter seiner Führung auch auf den Talweg der großen Schwester nach deren Leipziger Parteitag und sackt unter 50 Prozent ab.

Wenn man die These vertritt, daß das Tandem Huber/Beckstein künftig die Geschicke der Politik im Freistaat leiten wird, dann geht eine Phase des Interregnums zu Ende. Stoibers Wort galt seit seiner Rückzugsankündigung nicht mehr viel, seine Durchsetzungskraft in der Berliner Koalition war nur noch gering. Kanzlerin Angela Merkel nutzte das brutal aus, indem sie wichtige CSU-Vorstellungen wie das Betreuungsgeld auf die lange Bank bis 2013 schob. Merkel wird sich mit dem Tandem an andere Zeiten gewöhnen müssen. Beide sind zähe Verhandler und lassen sich keineswegs unterbuttern.

Stoiber hatte der CSU bereits in den vergangenen Monaten eine programmatische Kurswende verordnet, die Söder brav umsetzte. Den inhaltlichen Niedergang der Christdemokraten vor Augen, versuchte Stoiber aus seiner Partei eine konservativ-ökologische Bewegung zu machen, um weiter die Mehrheit der bayerischen Wähler an die CSU zu binden, weil nur äußere Symbole wie weiß-blaue Fähnchen oder Schlagwörter wie "Laptop und Lederhose" auf Dauer nicht reichen werden. Auch das Parteiprogramm, das in München verabschiedet werden wird, gibt den neuen Ton wieder. Söder versuchte, die konservativen Ideen auch in die CDU zu tragen, indem er sich dem nach einem Berliner Café genannten "Einstein-Pakt" von CDU-Politikern anschloß (JF 38/07). Der Erfolg des Unterfangens ist jedoch fraglich. Das konservative Element der großen Schwesterpartei ist verbrannt. Stoiber nahm inzwischen auch den besonders im Internet nachzulesenden massiven Protest von Bürgern gegen den Bau großer Moscheen zum Anlaß, sich dieser Bewegung anzuschließen: "Also: Bei aller Toleranz - Kathedralen müssen größer sein als Moscheen."

Der Parteitag könnte also einen geordneten Wechsel von Stoiber zu Beckstein/Huber bringen und die CSU als letzte große Volkspartei in Deutschland erhalten. Aller Delegierten und Gäste in der Münchener Messehalle wissen: Der eigentliche Wechsel steht noch bevor.

Foto: Edmund Stoiber (M.) und seine voraussichtlichen Nachfolger Erwin Huber (l.) und Günther Beckstein: "Ich hätte mir den Übergang anders vorgestellt"


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