© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Ein Dorf unter Verdacht
Schleswig-Holstein: In Rieseby vermuten engagierte Bürger Rechtsextremisten auf dem Vormarsch / Unterstützung von "Antifaschisten"
Hans-Joachim von Leesen

Das beschauliche Dorf Rieseby in Schleswig-Holstein erhält derzeit mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als den Einwohnern lieb ist. Seitdem der Ort im Verdacht steht, ein Hort des Rechtsextremismus zu sein, ist er ein gefragtes Reiseziel für Journalisten geworden. Die Einwohner fragen sich derweil, wie es dazu kommen konnte.

Mittlerweile widmete sogar der Norddeutsche Rundfunk (NDR) dem Ort eine Fernsehreportage, in der die angebliche "braune Gefahr" beschworen wurde. Tagelang vorher hatte das NDR-Fernsehen für die Anfang September ausgestrahlte Reportage "Ein Dorf zeigt Mut - Wie Rieseby gegen Rechtsradikale kämpft" geworben. Der Film war der bisherige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Berichten über Rieseby. Zuvor hatten einige regionale  Zeitungen schon mehrmals eher vage gehaltene Berichte veröffentlicht, denen man entnehmen konnte, daß dem heimeligen Dorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde zwischen Schlei und Eckernförde mit seinen 2.600 Einwohnern schon bald der politische Umsturz droht. Der Vorwurf: Rechtsextremisten unterwandern den Ort.

Nicht nur die Reportage des NDR präsentierte eine eher dürftige Beweislage. Die Kamera folgte einem älteren Herrn mit großem Fotoapparat, der durch das Dorf strich und vor sich hin murmelte, er sammele "Neonazi-Beweise". Und da wurde er schon für den NDR fündig: An einer Hausmauer klebte ein briefmarkengroßes Stückchen Papier, auf das er sogleich mit seinem Objektiv zielte. Die Vergrößerung durch die Fernsehkamera ergab, daß auf dem Fitzelchen die Worte "White Power" zu lesen waren. Bedeutungsschwer erklärte der ältere Herr: "Das heißt: Alle Macht den Weißen!" Aber das war nicht alles, was in den Augen des pensionierten Schulrektors Bernd Jacobsen den aufflammenden Neonazismus beweisen sollte.

Zur Symbolfigur ist inzwischen die Mutter des 15 Jahre alten Dustin Dollase geworden, die sich gern den Kameras und in Interviews den Reportern präsentiert. Sie habe eines Tages auf der Festplatte ihres Sohnes Bilder gefunden, die diesen mit erhobenem rechten Arm zeigen, berichtet sie. Voller Schrecken sei sie zur Polizei gelaufen, um ihren eigenen Sohn anzuzeigen. Die aber winkte ab; das sei eher ein erzieherisches Problem. Dann sei sie zum damals noch amtierenden Schulleiter Jacobsen geeilt. Der wußte noch von anderen Hauptschülern mit verdächtigen Armbewegungen zu berichten. Sogleich durchforschte er seine Schule und fand einen Jungen, der ein T-Shirt trug mit dem Aufdruck der Firmenmarke Consdaple. Wenn man die ersten und die letzten zwei Buchstaben verdecke, dann erfahre man, welche Botschaft transportiert werden soll, belehrte er die Journalisten. Flugs verbot der Rektor das Tragen von Kleidung, die auf eine rechtsextreme Tendenz schließen lasse, in seiner Schule. Und er gründete den Arbeitskreis "Wir gegen Rechtsradikal". Dustins Mutter war natürlich dabei, aber auch eine Mutter, die vor der Fernsehkamera erzählte, ihre beiden Kinder von 14 und 17 Jahren seien drangsaliert worden, "weil sie dunkle Augen und dunkelbraune Haare haben". Außerdem habe eine Gruppe von Jugendlichen sich ihr gegenüber respektlos verhalten. Auch der Pastor hat dunkle Gestalten in Springerstiefeln gesehen. Und im Bürgerpark hätten sich mehrere Personen herumgetrieben, die "augenfällig Neonazis" waren.

Der von seinen Mitschülern zum Schulsprecher gewählte Dustin Dollase druckste, nach seinen politischen Zielen gefragt, vor der Kamera herum. Auf Drängen der Journalistin sagte er schließlich, er möchte gerne, "daß die Gebiete, die jetzt Polen sind, wieder zu Deutschland zurückkommen". Auf die Frage, was er damit meine: "Na, Ostpreußen, Schlesien, Pommern."

Der vom Arbeitskreis "Wir gegen Rechtsradikal" hinzugezogene Vertreter des Kreisjugendamtes bemühte sich, einen politischen Hintergrund zu finden: Die NPD wolle jetzt die Städte von den Dörfern aus erobern, vermutet er eine gezielte Strategie der Partei, die bei der Landtagswahl 2005 in Schleswig-Holstein 1,9 Prozent erreicht hatte.

Einen weiteren Beweis, daß der Neonazismus in dem Dorf angekommen sei, lieferte der NDR mit einer Aufnahme durch ein Erdgeschoßfenster. An der Wand einer Privatwohnung hängt eine schwarz-weiß-rote Flagge, in der Mitte der Reichsadler des kaiserlichen Deutschlands.

Ausländer gibt es in Rieseby kaum. Die Schule besucht auch ein kurdischer Schüler, doch Schulsprecher Dollase, von einer Reporterin darauf angesprochen, wußte zunächst gar nicht, daß es sich um einen Kurden handele, und antwortete, als Schülersprecher stehe er natürlich auch für den kurdischen Schulkameraden ein. Außerdem sei er "überhaupt kein Nazi". Seine Mutter ist derweil überrascht, daß ihr Sohn, den sie bei der Polizei anzeigen wollte, seitdem nicht mehr mit ihr spreche.

War das alles nichts anderes als die für die Bundesrepublik heute typische, von manchen Seiten angeheizte Hysterie im "Aufstand der Anständigen", bekam die Aktion eine andere Qualität, als der Arbeitskreis "Kampf gegen Rechtsradikale" in Kontakt mit sogenannten "Autonomen" traten. Die Linksextremisten organisierten im Handumdrehen mit Politgenossen aus ganz Norddeutschland eine Demonstration, wie sie der kleine Fremdenverkehrsort noch nie erlebt hatte. Etwa 380 schwarzgekleidete und vermummte "Autonome Antifaschisten" zogen mit roten Fahnen und Transparenten mit blutrünstigen Parolen, stampften mit Springerstiefeln unter dem Gebrüll "Nazis raus aus Rieseby!" durch das Dorf. Ein Journalist, der den Zug fotografieren wollte, wurde bedroht und mußte ebenso Polizeischutz in Anspruch nehmen wie ein NDR-Kameramann. Einige Bürger hatten sich dem Zug angeschlossen. Von NDR-Reportern befragt, erklärten sie, so wie in Rieseby habe es 1933 in Deutschland auch angefangen. Ein älterer Mann brach in Tränen aus. Aber die meisten Riesebyer beteiligten sich nicht an der Demonstration, was denn auch von einigen Zeitungen sogleich streng kritisiert wurde. Viele Dorfbewohner standen staunend in ihren Gärten.

Der ehrenamtliche Bürgermeister von Rieseby, Hannes Kempe (CDU), wird deutlich: "De hebbt all 'n Vogel. Dat sünd nich wi ut Rieseby!" sagt er auf Plattdeutsch und gibt damit zu erkennen, daß er von den angereisten Demonstranten nicht viel hält. Was von der Presse und auch vom NDR sogleich als Verniedlichung der Gefahr gedeutet wurde und als fehlende Zivilcourage.

Der Pastor jedenfalls will jetzt seine Konfirmanden verpflichten, mit ihm einmal im Jahr ins ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen zu fahren. Rektor a. D. Jacobsen sammelt weiter briefmarkengroße Aufkleber. Und der Innenminister des Landes, Ralf Stegner (SPD), hat den selbsternannten antifaschistischen Aktivisten bereits 3.000 Euro Zuschüsse für ihren Kampf gegen Rechts mit der Begründung zugesagt, die Rechtsextremisten würden immer dreister. Man müsse gegen sie vorgehen und die Nazi-Unterstützer brandmarken.

Die "Autonomen" haben in ganz Schleswig-Holstein aufwendige Plakate geklebt, auf denen sie eine Aufklärungsveranstaltung mit dem Mitarbeiter der taz, Andreas Speit, der seit Jahren auf den "Kampf gegen Rechts" spezialisiert ist, in der Feuerwache in Rieseby ankündigten, wovon allerdings die Feuerwehr nichts wußte. Außerdem wurde zu einem Punk- und Rockfestival auf dem alten Sportplatz eingeladen. Beide Veranstaltungen wurden vom Bürgermeister verboten.

Zunächst einmal haben die Autonomen das Ortsschild von Rieseby überschmiert: "Nazikaff". Die nächsten Angriffsziele sind auf den Plakaten bereits angekündigt: Die beiden Dörfer Kosel und Hummelfeld, die noch kleiner sind als Rieseby, stehen ganz oben auf der Liste der "Autonomen". Die Aufmerksamkeit der Medien ist ihnen gewiß.


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