© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Ein Bundesland blutet aus
Demographie: Forscher sagen Brandenburg einen dramatischen Bevölkerungsrückgang voraus und raten zu drastischen Maßnahmen
Ekehard Schultz

Für große Aufregung im Brandenburger Landtag sorgt das aktuelle "Gutachten zum demographischen Wandel im Land Brandenburg", das die Landesregierung beim Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Auftrag gegeben hatte. Darin schlagen die Wissenschaftler vor, einige Regionen des Landes aufzugeben und die Menschen mit Abwanderungsprämien dazu zu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Auf diesem Wege entleerte Regionen sollten zu einem "Naturerlebnisgebiet" umgewidmet werden. Andernfalls sei das Land bald wirtschaftlich und sozial absolut überfordert.

Brandenburg werde zwischen 2004 und 2030 rund 13 Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Auf einigen Problemfeldern seien daher bereits heute "gar keine Empfehlungen" mehr möglich. Insbesondere die "künftig zum Teil stark steigenden Versorgungslasten für arbeitslose und alte Menschen" stellten ein für das Land unlösbares Problem dar, weil aufgrund der demographischen Entwicklung keine adäquaten Einnahmen gegenüberstünden.

Nach der Schätzung der Wissenschaftler muß im Saldo - ohne Abwanderungsverluste und ohne die Wanderungsgewinne, die der Speckgürtel rund um Berlin auch in Zukunft aufweisen wird - für Brandenburg im Jahr 2030 mit einem Verlust von 470.300 Menschen gegenüber 2004 gerechnet werden. Die peripheren Gegenden werden dabei mit 334.500 Menschen um überdurchschnittlich viele Einwohner schrumpfen. Doch in diese Angabe sei noch nicht einmal die natürliche Abwanderung eingerechnet.

Als Konsequenz dieser Entwicklung ergebe sich zwangsläufig, daß die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr flächendeckend möglich sei: "Durch die gegenseitige Verstärkung von finanziellen und demographischen Problemen werden künftig die Kosten zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur (öffentlicher Nahverkehr, Wasserver- und entsorgung etc.), für Pflege und medizinische Einrichtungen weiter ansteigen, die Einnahmen jedoch sinken."

Die heutige Situation in den Randregionen Brandenburgs sei nur dadurch etwas gemildert, daß es dort noch einen kleinen wirtschaftlichen Puffer gebe. Viele Rentnerhaushalte verfügten "noch über vergleichsweise viel Geld", da im Gegensatz zu Westdeutschland die meisten Frauen ein durchaus nicht zu unterschätzendes Ruhestandseinkommen hätten. Doch sobald dieses in etwa einem Jahrzehnt aufgebraucht sei und diese Generation sterbe, werde es in Brandenburg zu einer massiven Ausweitung der Armut kommen, warnen die Wissenschaftler. Abgesehen von der hohen Arbeitslosenrate verfügten auch viele Arbeitnehmer insbesondere in den peripheren Landesteilen wie etwa in der Prignitz, der Uckermark oder der Unterlausitz nicht einmal mit Vollbeschäftigung über ausreichende finanzielle Mittel, um den Lebensunterhalt ohne Hartz-IV-Zusatzleistungen zu bestreiten.

Angesichts dieser pessimistischen Gesamteinschätzung fallen den Autoren Handlungsvorschläge sehr schwer. Als zentralen Bestandteil sehen sie dabei eine massiv ausgeweitete "Autonomie" an. Eine solche Autonomie beinhalte, die Probleme vor Ort zu lösen, also dort, wo sie erkennbar und behandelbar seien.  Die Regionen und Kommunen müßten zunächst einmal selbst beweisen, was sie können. Gelinge dies nicht, so dürfte auch eine Aufgabe von Regionen und eine gezielte Aussiedelung mit Hilfe von Geldprämien für den Fortzug kein Tabu darstellen. Denn diese Regionen seien dann ohnehin perspektivisch "nur noch als touristische Naherholungsgebiete" verwertbar.

Auf jeden Fall solle in Zukunft erst dann, wenn eine unabhängige Kommission des Landes geprüft habe, "welche Potentiale für Entwicklung, Stabilität und Neuanfang in den Regionen schlummern", eine Entscheidung der Landesregierung darüber gefällt werden, "wie die Fördermittel regional zu verteilen sind", so die Wissenschaftler.


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