© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Zierwerk funkelt auf dem Atem ...
Ohne Raritätenprojekte würde ihr langweilig: Cecilia Bartoli bläst Staub von alten Partituren
Andreas Strittmatter

Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst, und Mütter kommen in der Oper nicht immer gut weg. Gaetano Donizetti wuchtete Mamma Agata auf die Bühne. In der heiteren Farce "Le convenienze e le inconvenienze teatrali" vertritt sie den Drachen, der hemmungslos die Karriere der als Seconda donna engagierten Tochter betreibt und nebenbei ein Opernensemble ins Chaos stürzt. Solch Spaßfaktor brachte der Bühnensatire auch den Titel "Viva la mamma!" ein. Keineswegs nur Theater über das Theater wird derweil Evangelina Dimitriadis unterstellt. Die beklagte sich eines Tages - das Verhältnis zum eigenen Sproß war schon länger im Eimer -  ernstlich über die Herzlosigkeit ihrer Tochter, an deren Karriere sie schließlich Anteil gehabt habe und Anteile haben wollte. Die Tochter feierte als Maria Callas Erfolge.

Daß Leben, Heiterkeit, Kunst und Ernst zum Nutzen der Oper und ohne familiären Zwist zusammenkommen können, beweist Silvana Bazzoni. Sie ist Mutter, Mentor, Lehrerin. Und ihre Tochter derzeit die Göttin des Belcanto: Cecilia Bartoli. Die Herzlichkeit, die Mutter und Tochter offenkundig verbindet, ist keineswegs selbstverständlich. Denn der Verdacht liegt nahe, Silvana Bazzoni habe die Karriere ihrer Tochter geplant und, was ziemlich in die Hose gehen kann, generalstabsmäßig vorangetrieben.

1966 in der Taufe unter die Patronage von Santa Cecilia und damit der Schutzheiligen der Musik gestellt, brachte Mamma Silvana, von Haus aus selbst Sopranistin, der kleinen Cecilia nicht nur alsbald das Singen bei, sondern schickte sie auch zu einem Trompeter in die Lehre. Wohl kaum, weil es Silvana Bazzoni darauf abgesehen hatte, Cecilia später Virtuoses von Haydn und Hummel blasen zu lassen. Aber die Atemtechnik, die hierzu vermittelt wird, ist für Sänger interessant, für Koloratursängerinnen zumal. Und ein wenig Muskeltraining rund um Gurgel, Gaumen, Gesichtshöhle und Hals schadet auch nicht - zentrale Angriffsflächen der Gesangspädagogik aus dem Hause Bartoli.

Das Rezept ging auf, wie der Erfolg der eigenen Tochter beweist. Einzig des in den letzten Jahren sich verschärfenden Natur-Tremolos der Stimme wegen und ob der hauchigen Tongebung maulen manche Kritiker. Aber sonst? Viva la mamma! Brava Cecilia!

Zu den Fakten: Mit acht Jahren stand Cecilia Bartoli zwar noch nicht auf der Bühne, aber schon in den Kulissen der römischen Oper und sang die kleine Partie des Schäfers in Puccinis "Tosca". Später studierte sie an der Accademia di Santa Cecilia. Nicht eine Oper, sondern das Fernsehen liefert 1985 den Rahmen für ihren ersten offiziellen Auftritt - in der Talentshow "Fantastico" des italienischen Fernsehstars Pippo Baudo.

Bei Baudo war man klug genug, die Neunzehnjährige nach einer verklemmten Darbietung von Gershwins "Summertime" nicht gleich an die Luft zu setzen, denn in weiteren Runden und mit Rosinas Arie "Una voce poco fa" aus Rossinis "Barbier" machte die Bartoli vokal wie körperlich eine zunehmend bessere Figur. Ihre Konkurrenten konnte sie zwar noch nicht in die Tasche stecken, dafür aber eine Anfrage, ob sie die Rosina an der römischen Oper singen wolle.

Noch im selben Jahr trat sie dort aus den Kulissen heraus. Christopher Raeburn, als Produzent der Decca gerade auf der Suche nach einer Rosina für eine "Barbier"-Einspielung mit einem rein italienischen Ensemble, wurde auf die römische Debütantin aufmerksam und war begeistert. Er stellte den Kontakt zu Jack Mastroianni her, der als Manager einige große Namen des Opernbetriebs betreute. Die Decca brachte 1988 ein Arien-Album mit Rossini auf den Markt, ein Jahr später den ganzen "Barbier" und schickte eine Gesamtaufnahme von "La Cenerentola" gleich hinterher. Mastroianni öffnete der Rossini-Heroine die Türen zu Opernhäusern und Konzertsälen. Und die Mutter trainierte weiterhin ihre Tochter.

Die Karriere kam ins Rollen. So sehr, daß es ihre Plattenfirma in den nun (angesichts der zwischenzeitlich kurzlebigen Gepflogenheit des Marktes bemerkenswerten) zwei Dezennien der Geschäftsverbindung riskieren konnte, mit Bartoli nicht nur Arien von Vivaldi und Mozart, sondern auch Rares von Gluck und sonst unverkäuflich Geglaubtes von Salieri an zu veröffentlichen. Cecilia Bartoli hielt sich dabei keineswegs an die gängige Einordnung ihrer Stimme ins Mezzofach, sondern blies nicht nur Staub von alten Partituren, sie machte sich auch altvordere Einschätzungen zu eigen. Ihre Kunst als Mezzosopranistin definiert sie nicht im Sinne einer Eingrenzung ihres Stimmumfanges, sondern als Charakterisierung ihrer dunklen Stimmfärbung. Cecilia Bartoli, der es ohne Raritätenprojekte im normalen Opernalltag wahrscheinlich rasch langweilig würde, lotet gerne Möglichkeiten und Grenzen aus. Auf diesem Hintergrund eifert sie in ihrem neuen Album "Maria" (siehe nebenstehende Rezension) einem berühmten Vorbild nach: Maria-Felicia Malibran (1808-1836).

"Die Größte war die Colbran", bemerkte Gioachino Rossini über zwei Sängerinnen seiner Epoche, "aber die Malibran war einzig."  Manches verbindet Cecilia Bartoli mit dem spanischen Stimmwunder, aus dessen buntem, teilweise schrill anmutendem Repertoire (etwa Tirolienne-Jodelvariationen von Johann Nepomuk Hummel) sie einen Querschnitt bietet: Bekanntes von Bellini aus "Norma" und "La Sonnambula" trifft hierbei auf mannigfache seltene Preziosen aus Oper und Unterhaltung.

Die Quellen sagen der Malibran fulminante Koloraturen, technische Vollkommenheit, ein dunkles Timbre und großes musikalisches Stilempfinden nach. Also das, was immer wieder auch der Bartoli bescheinigt wird. Es gibt noch weitere Verbindlichkeiten.

"Caesar amat classis romana": Aus dem "Summertime"-Backfisch ist längst die "flotte Römerin" der berüchtigten lateinischen Stilblüte erwachsen. Das italienische Vollweib Bartoli, das in der Freizeit gerne Flamenco tanzt und sogar dazu vokal Verwandtes aus der Schatzkiste der Kollegin hervorholte, vermag ebenso Männerphantasien zu beflügeln, wie dies der Malibran gelungen sein muß. Männer erlagen nicht nur deren Stimme, sondern auch anderen Reizen. Und zuletzt: Beide hatten bereits am Kinderbett Gesangslehrer sitzen. Maria Malibrans Vater war Manuel del Pópulo Vicente García - Tenor, Komponist, Theaterdirektor und nicht zuletzt ein hochrangiger Vokalpädagoge. Noch heute werden nach dessen Methode Sänger ausgebildet, von Sekundärpädagogik mittels Schlägen abgesehen, mit denen Papa García nicht nur Maria, sondern noch eine weitere Tochter, die als Pauline Viardot Karriere machte, auch in den Ruhm traktierte. Ein Erziehungsmittel, auf das Silvana Bazzoni kaum zurückgegriffen haben dürfte - dazu geht Cecilia Bartoli zu begeistert und begeisternd ihrer Profession nach, als daß man sich vorstellen könnte, irgend jemand hätte sie je dazu prügeln müssen.

Austreiben möchte mancher Hörer ihr allenfalls den gelegentlichen Hang zum Überartifizierten. Manchmal verschwindet der Mensch hinter der Fülle delikater Noten. Wenn Cecilia Bartoli beides auf einen Nenner bringt, hat sie ihre größten Momente: Dann funkelt das Zierwerk auf dem Atem. Atemberaubend.

Foto: Sängerin Cecilia Bartoli: In der Freizeit tanzt sie Flamenco


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