© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Wider die Zersetzung der christlichen Werteordnung
Der SPD-Politiker und konservative Protestant Hans Apel beklagt den schwindenden Einfluß der Kirche auf die Politik in Deutschland und Europa
Klaus Motschmann

Wenn man aus dem angezeigten Buch nur einen einzigen Satz zitieren dürfte, mit dem gewissermaßen der Grundakkord angeschlagen wird, dann müßte es wohl dieser sein: "Die kommunistische Herrschaft in der DDR hat nur eines ihrer Ziele erreicht: das Land atheistisch zu machen". Man darf im Sinne des Verfassers sicher hinzufügen: und damit eines der wesentlichen Ziele sozialistisch-kommunistischer Politik. Die Kritik der Religion und ihre Verdrängung aus dem öffentlichen Leben gehört nun einmal zu den Grunddogmen kommunistischer Ideologie und Politik.

Hans Apel, einer der markantesten SPD-Politiker der letzten Jahrzehnte, erinnert damit an eine entscheidende Dimension des Politischen: an die identitätstiftende Funktion der Religion. Aus dem Verlust dieser Dimension erklärten sich unter anderem (!) die Zusammenbrüche der kommunistischen Herrschaftssysteme im vorigen Jahrhundert. Auch namhafte Marxisten, zum Beispiel Jürgen Kuczynski in der DDR und Max Horkheimer haben auf die voraussehbaren Konsequenzen rechtzeitig hingewiesen, wenn auch ohne Erfolg. So bemerkte Kuczynski, daß das offiziöse "Philosophische Wörterbuch" der DDR keinen Artikel über das Stichwort "Glauben" aufgenommen habe, sondern nur über "Religiösen Glauben". "Meiner Ansicht nach ein erstaunlicher Fehler" (Studien 5,70).

Man sollte meinen, daß die maßgebenden Ideologen der früheren DDR, vor allem aber ihre intellektuellen Sympathisanten in der alten Bundesrepublik, aus diesem "Fehler" gelernt und aus den sonst vielbeschworenen Erfahrungen der Vergangenheit erkennbare Konsequenzen für die Gegenwart und Zukunft gezogen hätten. Das ist aber nicht der Fall. Der Glaube an den Mythos Sozialismus ist weithin ungebrochen und bestimmte in entscheidendem Maße die Neuordnung Deutschlands nach der Vereinigung - und damit teils direkt, teils indirekt die Entwicklung Europas.

Maßgebenden Anteil an dieser Entwicklung haben die beiden großen Kirchen in Deutschland, vor allem aber die evangelische Kirche. Sie hat, so der bekennende Protestant Hans Apel, längst auf einen spezifisch protestantischen, eigenständigen Einfluß auf den Prozeß der Neuordnung Deutschlands und Europas verzichtet. "Ihre Leitung - die Synode und der Rat der EKD - sind nicht mehr als die Moderatoren ihres theologischen Verfallsprozesses". Wenn von einer radikalen Entchristlichung durch massiven politischen Druck wie in der DDR auch (noch) nicht die Rede sein kann, so doch von einer nicht minder bedrohlichen Entkirchlichung, die letztlich auf dasselbe Ziel hinausläuft: zum Verlust der christlich-abendländischen Tradition und zum Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Seit der sogenannten Wende von 1989 haben zirka 2,5 Millionen Protestanten ihre Kirche verlassen. Von einer wirklichen Wende des öffentlichen Meinungsklimas hinsichtlich der Bedeutung des Christentums kann also keine Rede sein.

Die Zersetzung der christlichen Werteordnung in der katholischen Kirche verläuft dank des kirchlichen Lehramtes weniger dramatisch. Sie ist aber im Gange und hat ebenfalls zu einem erheblichen Autoritätsverlust geführt. Christliche Werte und Traditionen werden zwar noch relativ offen verteidigt, es fehlt aber zunehmend das Vermögen, sie auch gegen die Übermacht säkular-sozialistischer und liberalistischer Machtansprüche bei der Gestaltung Europas durchzusetzen. Deutliche Zeichen wurden zum Beispiel im Zuge der Auseinandersetzungen um den Gottesbezug im Entwurf der Europäischen Verfassung und um die Kandidatur des christdemokratischen italienischen Ministers Rocco Buttiglione (Interview JF 49-05) für das Amt eines EU-Kommissars gesetzt. Sie scheiterte daran, daß sich der überzeugte Katholik öffentlich zu den Grundwerten des christlichen Glaubens bekannte.

Derart feindselige Herausforderungen der christlichen Kirchen bewirken allerdings auch einen Prozeß der Rückbesinnung auf die christlichen Werte, die zum Verständnis der europäischen Geschichte unerläßlich sind. Die Zeichen mehren sich, daß Christen im Sinne einer wahrhaften Ökumene diese Zusammenhänge mehr als bisher beachten, indem sie wesentliche Gemeinsamkeiten von unwesentlichem Trennendem unterscheiden lernen. Hans Apel hat für diesen Lernprozeß mit seinen Diagnosen einen entscheidenden Beitrag geleistet.

Hans Apel: Europa ohne Seele. Brunnen Verlag, Gießen 2007, gebunden, 256 Seiten, 14,95 Euro


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