© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Einheit als blühenden Unsinn abgetan
Wolfgang Schuller erinnert an den erlahmten Willen zur Wiedervereinigung in der Bundesrepublik vor 1989
Detlef Kühn

Der Titel des hier anzuzeigenden Buches ist einem Gedicht von Bert Brecht aus dem "Lob der Dialektik" entnommen und lautet im Zusammenhang: "Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht." Gemeint ist das vermeintlich Sichere der SED-Parteiherrschaft in der DDR und die daraus abgeleitete angebliche historische Notwendigkeit der Teilung Deutschlands. Der Autor des Buches, Wolfgang Schuller, hat den Vers bereits 1987 einem Aufsatz unter dem Titel "Wieder Wiedervereinigung?" als Motto vorangestellt und damit eine schwere Sünde wider den damaligen Zeitgeist begangen. Denn nicht nur die SED-Führung schien damals sicher zu sein, daß ihre Herrschaft auf Dauer angelegt war. Auch Politiker und Intellektuelle im Westen waren überwiegend davon überzeugt, die Teilung sei irreparabel, einfach deshalb, weil sie Realität war und jeder Versuch ihrer Überwindung das Inferno des Dritten Weltkriegs auslösen müßte.

Wolfgang Schuller, Jahrgang 1935, hatte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Konstanz einen Lehrstuhl für Alte Geschichte inne. Diese Aufgabe hinderte den Juristen, der er auch war, nicht daran, über Jahrzehnte ein Anliegen zu verfolgen, zu dem er kraft Amtes jedenfalls nicht verpflichtet war. Er begleitete kritisch die Deutschlandpolitik, beobachtete die Entwicklung in der DDR, hielt Kontakt zu den Menschen dort und - das machte ihn den Status-quo-Apologeten verdächtig - nahm den Verfassungsauftrag "Wiedervereinigung Deutschlands" wirklich ernst. Damit hatten er und die wenigen Politiker und Intellektuellen, die wie er dachten, den Wind des Zeitgeistes vor allem in den achtziger Jahren gegen sich. Aus dieser Zeit stammen die über dreißig Aufsätze, die hier, ergänzt durch einige Arbeiten zur Einigungspolitik und DDR-Geschichte aus den Jahren 1991 bis 1993, erneut veröffentlicht werden.

Herausgekommen ist eine Publikation, der man nur eine weite Verbreitung wünschen kann. Vor allem jüngere Leser, die keine eigene Erinnerung an die Zeit vor 25 Jahren haben, finden hier Antworten auf Fragen, die ihnen sonst meist nicht beantwortet werden. Wie kam es, daß der Wille zur Einheit Mitte der siebziger Jahre in der Bundesrepublik plötzlich erlahmte? Warum wurde "Antikommunist" auch im Westen ein Schimpfwort? Welche geistigen Verrenkungen wurden unternommen, um politische und weltanschauliche Gemeinsamkeiten mit den kommunistischen Machthabern zu konstruieren? Wo überall in Wissenschaft und Medien wollte man gar nicht so genau wissen, was im Osten Schreckliches geschah, beziehungsweise schmähte diejenigen, die genauer hinschauten, wie zum Beispiel den Journalisten Gerhard Löwen­thal als "Kalte Krieger"?

Und vor allem, wie konnte es geschehen, daß Historiker und Politikwissenschaftler, die es eigentlich hätten besser wissen müssen, oft davon überzeugt waren, von nun an werde in Mitteleuropa alles so bleiben, wie es ist, obwohl die Entwicklung in Polen und der Sowjetunion spätestens seit Gorbatschow eigentlich entgegengesetzte Einsichten nahelegte. Schullers Aufsatzsammlung gibt in geschliffenem Deutsch und mit einer Fülle von Argumenten und Fakten Antwort auf diese und andere Fragen. Damit ist ein "Reader" entstanden, der in der politischen Bildung, vor allem aber im Schulunterricht, wenn dieser sich ausnahmsweise auch mit Zeitgeschichte befaßt, mit Gewinn eingesetzt werden kann.  

Dem älteren Leser beschert das Buch Erinnerungen an die deutschlandpolitischen Auseinandersetzungen der achtziger Jahre, die nicht immer aufrichtig geführt wurden. Die tonangebenden Kräfte in Politik, Wissenschaft und Medien wollten sich zwar meist mit der Teilung bis zum St.-Nimmerleins-Tag der Einigung Europas vom Atlantik bis zum Pazifik abfinden. Sie trauten sich das aber nicht deutlich zu sagen, weil sie aus Meinungsumfragen wußten, daß die Mehrheit der Deutschen immer noch am Ziel der Einheit festhielt.

Wo konnte man unter diesen Umständen noch öffentlich für die Überwindung des Status quo und eine aktive Wiedervereinigungspolitik eintreten, die zum Beispiel Bundeskanzler Helmut Kohl  im Fall des CDU-Abgeordneten Bernhard Friedmann als "blühenden Unsinn" abqualifizierte? Schullers Beiträge erschienen zumeist in der Heimatzeitung des Bodensee-Bereichs, dem Konstanzer Südkurier, wo es mit Franz Oexle einen Verantwortlichen gab, der so etwas noch zu schätzen wußte. Manchmal wurden sie dann von Bernhard C. Wintzek in seinem Hochglanzmagazin Mut nachgedruckt, der damals noch so mutig war, gegen den Zeitgeist anzurudern. Auch die FAZ bot Schuller vor der "Wende" ab und an ein Forum. Eine große Breitenwirkung war damit natürlich nicht verbunden. Mühsam nährten sich auch damals die "Eichhörnchen".

Immerhin: Es gab damals wie heute Leute, die Mut, Kraft und Argumente finden, einem feindlichen Zeitgeist Widerstand zu leisten. Wolfgang Schuller ist einer von ihnen. Heute, wo die Probleme Deutschlands anders, aber nicht weniger gravierend sind, können all die, die sich jetzt um Deutschlands Zukunft sorgen, aus seinem Beispiel Zuversicht gewinnen.

Wolfgang Schuller: Das Sichere war nicht sicher. Die erwartete Wiedervereinigung. Veröffentlichung des Universitätsarchivs Leipzig, Band 7, Leipzig 2006, broschiert, 262 Seiten, 21 Euro

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen