© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Theaterbühne Berlin-Mitte
Die Journalistin Tissy Bruns über die Wichtigtuer in Politik und Medien
Paul Rosen

Der Volksmund weiß schon lange, wie es bei Hofe zugeht. Hans Christian Andersen hat diese Eindrücke in dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider" zusammengefaßt. Dort entlarven Kinder die höfischen Heuchler, indem sie rufen: Der Kaiser ist nackt. Es paßt gut, einen Auszug aus dem Andersen-Märchen als Vorwort für ein Buch mit dem Titel "Republik der Wichtigtuer" zu nehmen, das im Untertitel "Ein Bericht aus Berlin" heißt.

Die Journalistin Tissy Bruns, die mehrere Jahre Vorsitzende der Bundespressekonferenz und damit nicht irgendwer in Berlin war, hat zur Feder gegriffen und ihre Eindrücke zusammengefaßt. Die Journalistin, die von Tageszeitung über Welt bis zuletzt Tagesspiegel einen lebhaften Berufsweg hinter sich gebracht hat, zeichnet die Verhältnisse im Berliner Regierungsviertel mit erfreulicher Klarheit auf. Zu tief schürft sie aber nicht.

Welche Hoffnungen hatte man in den Umzug von Regierung und Parlament 1999 nach Berlin gesetzt! Die einen versprachen sich wenigstens etwas mehr Kontakt zum Volk, das in der Hauptstadt millionenfach wohnt. Die anderen, etwas mutigeren Zeitgenossen erwarteten einen Wandel zur "Berliner Republik" mit mehr Preußen und weniger Rheinland. Bruns ist zuzustimmen, wenn sie schreibt, von den Hoffnungen und Befürchtungen sei "nur die beunruhigende Gewißheit von einer neuen Berliner Medienrepublik übriggeblieben". Wenn Bonn ein Raumschiff war, dann ist Berlin eine Theaterbühne, auf der Nackte tanzen und die Kritiker deren Kleidung bewundern.

Diesen Punkt, die Jagd der journalistischen Meute nach Nachrichten, arbeitet Bruns ausgezeichnet heraus. Ausgestattet mit Bonner und Berliner Erfahrungen kann die Journalistin vergleichen und kommt zum Ergebnis aller erfahrenen Beobachter: Das Niveau der Berichterstattung befindet sich im freien Fall. Ausführlich beschreibt sie, wie TV-Shows wichtiger werden als Debatten im Deutschen Bundestag, wie Aktivität nur noch vorgegaukelt wird, während der gesamte Betrieb an einer totalen Lähmung leidet. Und wer das Zeitungswesen kennt, wird der These nicht widersprechen können, daß aus den Medien von ihren Eigentümern nur noch höhere Gewinne herausgezogen werden sollen und die journalistische Qualität inzwischen egal ist. Richtig ist auch die These, daß die Zeitungen nicht von neuen Medien zum Beispiel im Internet verdrängt werden. Zwar sind die Zeitungsauflagen gesunken, aber noch nie hat ein neues Medium ein altes verdrängt. Wie oft war schon das Radio totgesagt worden!

Es gibt natürlich Zeitungen und Zeitschriften, die noch um Qualität und wirklich exklusive Nachrichten bemüht sind und auch den Leitartikel pflegen, der dem Leser Orientierung gibt. Die Frankfurter Allgemeine hat sich wenig verändert, die Süddeutsche Zeitung, bei der die Heuschrecken-Investoren bereits vor der Tür stehen, schon etwas stärker. Der Spiegel ist nach wie vor für eine Enthüllungsgeschichte gut, auch wenn diese Art Stories seltener geworden sind. Aber elektronische und gedruckte Medien gehen heute überwiegend nur noch der Jagd nach verwertbaren Zitaten von Politikern nach. Je stärker ein Abgeordneter der Meinung seiner Parteispitze widerspricht, um so besser. Das Aufzeigen langfristiger Entwicklungen in der Politik, die Enthüllung von Planungen in Ministerien und Parteien ist bereits weitgehend in Vergessenheit geraten. Der normale Korrespondent schaut morgens in die Nachrichtenagenturen, prüft die Themen und überlegt, wo er sich reinhängen soll. Der Ehrgeiz, selbst Agenturgeschichten zu setzen, besteht bestenfalls noch bei Bild und Spiegel.

Bruns hätte hier mehr in die Tiefe gehen sollen. Warum schreibt sie nicht über ihre ehemalige Zeitung Die Welt, bei der sie die Berliner Parlamentsredaktion geleitet hat? In diesem Büro wurden die bundespolitischen Berichte erstellt. Wie schon zuvor das Parlamentsbüro der Welt am Sonntag ereilte Anfang des Jahres das Welt-Büro dasselbe Schicksal. Das Büro wurde aufgelöst, die Journalisten mußten in der Zentrale im Berliner Springer-Hochhaus Produktionsaufgaben und Schichtdienst übernehmen und werden seitdem selten auf Terminen und bei Hintergrundgesprächen gesehen. Auch die Welt am Sonntag kann qualitativ schon lange nicht mehr mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mithalten. Nachrichten- und Substanz­armut der Springer-Blätter dürften sich bald in drastisch sinkenden Auflagen bemerkbar machen.

Für die Branche ist Springer symptomatisch. Leitartikler und Rechercheure werden nicht mehr benötigt. Man schafft neue Produktionsformen wie einen "Newsroom" (Neuigkeitenraum), in dem sich die Journalisten gegenseitig bei der Arbeit stören. Die größte Nachrichtenredaktion Deutschlands (Springer-Werbung) hat keine Nachrichten mehr. Von einer Insiderin wären hier mehr Details zu erwarten gewesen. Statt dessen verliert sich Bruns im zweiten Teil des Buches in Betrachtungen über die Wahlkampfführung von Stoiber, Merkel und Schröder. Oder stimmt etwa der alte Satz, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt und der Titel des Buches auf die Autorin zurückfällt?

Tissy Bruns: Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Berlin. Herder Verlag, Freiburg 2007, gebunden, 224 Seiten, 19,90 Euro

Detailansicht der Fassade der römisch-katholischen Basilika Sagrada Familia


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen