© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Die Schraube überdreht / Mehr Freiheit wagen
Hans-Olaf Henkel warnt vor Wohlfahrtsdiktatur und einer verdrucksten Diskurskultur
Detlef Kühn

Hans-Olaf Henkel ist nicht irgendwer. Der gelernte Speditionskaufmann und Absolvent der Hamburger Akademie für Gemeinwirtschaft hat eine erfolgreiche Karriere bei IBM hinter sich, die ihn bis zur Position des Chefs der IBM Deutschland führte. Danach war er sechs Jahre lang Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), dann Präsident der Leibniz-Gesellschaft, Honorar-Professor am Lehrstuhl für Internationales Management der Universität Mannheim und in weiteren Funktionen bezahlt oder ehrenamtlich tätig, zum Beispiel in Aufsichtsräten oder für Amnesty International. Er konnte also umfangreiche Erfahrungen sammeln und kennt viele Akteure in Wirtschaft und Politik persönlich. Diese Erlebnisse und seine Schlußfolgerungen daraus vermittelt er nun dem Publikum in Vorträgen, Fernsehauftritten, Zeitungsartikeln und erfolgreichen Buchpublikationen. In dieser Tradition steht auch sein jüngstes Buch.

Henkel macht sich Sorgen um Deutschland, seine Gesellschaft und insbesondere seinen Mittelstand, den er als Garant wirtschaftlicher Erfolge betrachtet, die er durch die Entwicklungen in den letzten vierzig Jahren als hochgradig gefährdet erachtet. Er bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards, die er vor weiterer staatlicher Bevormundung bewahren will. Diese Haltung nennt er "neoliberal", was für ihn kein Schimpfwort ist. Die Globalisierung der Wirtschaft akzeptiert er und fordert seine Leser auf, die darin liegenden Chancen für die Ausbreitung der "Grundprinzipien Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft" zu erkennen und zu nutzen. Seine Ideale sind "Freiheit, Eigentum, Sicherheit" (Lafayette), nicht "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", die im Laufe der Französischen Revolution an ihre Stelle getreten sind und unter anderem zu den Fehlentwicklungen des Marxismus in all seinen Spielarten geführt hätten.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu und für sich allein nicht unbedingt ein Grund, dieses Buch sehr zu empfehlen. Lesenswert ist es vor allem deswegen, weil Henkel auch die Political Correctness gründlich verabscheut und dies in einer deutlichen Sprache ausdrückt, die sich erfrischend von den sonst in Deutschland üblichen verdrucksten "Diskursen" unterscheidet. Henkel redet Klartext. So relativiert er die Behauptung, Deutschland profitiere als "Exportweltmeister" am meisten von der Globalisierung, selbst durch den Hinweis, derzeit seien bereits "unglaubliche 42 Prozent" der angeblich deutschen Exporte schon aus dem Ausland eingeführt worden. Damit basiert unsere Weltmeisterposition auf "künstlich aufgeblähten" Zahlen. Ähnlich steht es mit der galoppierenden staatlichen Verschuldung Deutschlands, die allenfalls verlangsamt, nicht aber zurückgeführt wird. Der Staat sei "süchtig" nach Schulden und halte seine Bürger ebenfalls abhängig von dieser Droge. Henkel befürchtet, daß ein Trauma unserer Geschichte wiederkehrt: "Eine Inflation würde die gesamten Ersparnisse der Bürger schlagartig vernichten. Die sind übrigens mit etwa 1,3 Billionen Euro fast so hoch wie der staatliche Schuldenberg. Das könnte manche Politiker auf Gedanken bringen ..."

Wenn Henkel allerdings für die Stärkung von "Ehe, Familie und Nation" als Grundlage aller Gesellschaftsformen plädiert, ist derzeit nicht zu erwarten, daß viele Politiker auf gute Ideen kommen. Der Zeitgeist weht hier schon seit langem in die andere Richtung. "In einem Teil des Bundestages wie der Öffentlichkeit hat sich mittlerweile eine Auffassung von Demokratie durchgesetzt, bei der nicht die nationale Eintracht oder ein gemeinsames Ziel im Mittelpunkt steht, ja nicht einmal ein grundsätzliches Einverständnis über Vaterland und gemeinsame Werte, sondern grundsätzlich Zwietracht über alles," sagt Henkel. Statt dessen werden Ablenkungsmanöver gefahren, zu denen Henkel den "hehre(n) Schutz der Daten", aber auch die Gefahr des Rechtsradikalismus zählt: "Nie zuvor wurde diese (in Wahrheit inexistente) Gefahr so bedrohlich an die Wand gemalt, obwohl es nie zuvor eine solche Vielzahl von Gesetzen gab, die jedes rechtsradikale Augenzwinkern unter Strafe stellen." Ähnlich ablehnend ist sein Urteil gegenüber der Unzulässigkeit des Vergleichs nationalsozialistischer Verbrechen mit anderen Verbrechen, die er auf Jürgen Habermas' "Dogma" von der "Einzigartigkeit der NS-Verbrechen" zurückführt.

Man darf gespannt sein, wie lange sich das bundesdeutsche Establishment, das Hans-Olaf Henkel bislang trotz allem für einen der Seinen hielt, diese und andere Tabubrüche gefallen läßt. Seine deutliche Sprache nicht nur gegenüber linken und linksextremen Wortführern, sondern auch gegenüber angeblich bürgerlichen Kräften wie der CDU/CSU, die er im Kern für eine weitere sozialdemokratische Partei hält, wird wohl in diesen Kreisen die Zahl seiner Freunde reduzieren. Wir dürfen auf weitere Bücher Hans-Olaf Henkels gespannt sein, in denen er vielleicht auch die Themen "demographische Katastrophe", unkontrollierte Einwanderung oder schleichende Islamisierung Europas aufgreift.

Hans-Olaf Henkel: Der Kampf um die Mitte. Mein Bekenntnis zum Bürgertum. Droemer Verlag, München 2007, gebunden, 400 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro


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