© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Machtwechsel an der Weichsel möglich
Polen: Kaczynski unterliegt im Fernsehduell vor der Sejm-Wahl / Oppositionschef Tusk hat drei potentielle Koalitionspartner
Andrzej Madela

Diesmal hat ein anderer dem Premier die Show gestohlen. Im großen Fernsehduell am vorigen Freitag zog Premier Jaros³aw Kaczyñski geschlagen davon, der eindeutige Sieger hieß Donald Tusk, Chef der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO). In einer aggressiven Debatte glänzte der rhetorisch bislang farblose Tusk ausgerechnet mit den Vorteilen, die sonst seinem Kontrahenten eignen: einer gekonnten Mischung von offensiver Argumentation und relativ moderater Wortwahl, einer Kombination mithin, der sich der 58jährige Chef der sozialkonservativen Regierungspartei PiS nicht gewachsen zeigte.

Kaczyñski ließ sich von dem 50jährigen Oppositionsführer mehrfach in die Defensive drängen, etwa in internationalen Fragen, als er krampfhaft bemüht war, die Beziehungen zu Deutschland als "normal" darzustellen ("mit Ausnahme der Vertriebenen- sowie der Raubgutfrage"), und seine Außenministerin Anna Fotyga gegen den beliebten Ex-Außenminister W³adys³aw Bartoszewski in Stellung zu bringen. Auf die ungeschickten Anfänge der Ministerin münzte ihr Vorgänger den Begriff "dyplomato³ki" (Wortschöpfung aus Diplomat und Amateur), den Tusk passend anzubringen wußte. Tusk stellte die polnische Irak-Mission in Frage und erklärte, er schäme sich "für einen Ministerpräsidenten, der erläutern muß, ob Danzig eine polnische Stadt ist". Tusk punktete auch bei sozialen Themen: "Sie haben Wohnungen für drei Millionen versprochen, nun gibt es Wohnungen zu drei Millionen." Zur Abwanderung junger, gut ausgebildeter Facharbeiter (seit 2004 haben zwei Millionen Polen ihr Land in Richtung Westen verlassen) meinte er: "Diese Leute haben die liberale Marktwirtschaft gewählt - leider nicht die Ihrige, Herr Premier."

Das vergeigte Duell schlug sich auch in den PiS-Umfragewerten für den 21. Oktober nieder: Aus 36 bis 38 Prozent und 32 bis 33 Prozent für die PO wurden 39 Prozent für die PO und 29 für die PiS. Auch wenn man dies mit Vorsicht genießen sollte (bei der Präsidentschaftswahl 2005 unterlag der in Umfragen führende Tusk seinem Kontrahenten Lech Kaczyñski mit 46,5 zu 53,5 Prozent), so steht fest: Es gibt ein erhebliches Wählerpotential, das sich bis jetzt noch nicht endgültig festgelegt hat. 2005 kam die PiS letztlich auf 27 Prozent, die PO auf 24,1 Prozent.

Ex-Regierungsparteien vor dem parlamentarischen Aus

Abgeschlagen auf Rang drei liegen die "Linken und Demokraten" (LiD), ein kurioses Wahlbündnis aus gewendeten Postkommunisten (SLD) und linksliberalem Solidarnoœæ-Flügel, eine Fusion aus ehemaligen Tätern und Opfern. Die SLD (2005: 11,3 Prozent, 2001: 41 Prozent) ist durch die Affären der Ära Leszek Miller sowie durch Korruptionsskandale und Abspaltungen geschwächt. Der 33jährige Parteichef Wojciech Olejniczak kämpft ums politische Überleben: Schafft der Ex-Agrarminister nicht die Marke von 17 Prozent (Ergebnis der letzten Kommunalwahlen), dürfte seine Laufbahn einen gewaltigen Knick bekommen. Hinzu kommt, daß er die "alte Garde" seiner Partei kalt abservierte. Am spektakulärsten: Sein Ex-Chef Miller kandidiert nun für die linkspopulistische Samoobrona (bis zum vorzeitigen Platzen der Regierung im Sommer einer der Koalitionspartner der PiS) in £ódŸ.

Im Aufwind scheint hingegen die bäuerliche Volkspartei (PSL, 2005 knapp sieben Prozent), ein potentieller Koalitionspartner der PO. PSL-Chef Waldemar Pawlak war bis 1990 Mitglied der Blockpartei ZSL (Vereinigte Bauernpartei). Von 1993 bis 1995 führte er als Premier eine Koalitionsregierung aus PSL und SLD. Seit dem korruptionsbedingten Abstieg der Samoobrona des entlassenen Agrarministers Andrzej Lepper steigen die Chancen der PSL auf einen Wiedereinzug in den Sejm. Da die PSL inzwischen wie CDU, PO oder ÖVP Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament ist, ist sie für die PiS ebenfalls ein geeigneter Kandidat zum Regieren - die PSL-Führung wird das zu nutzen wissen. Die Partei ist pragmatisch und verfügt im Gegensatz zur Samoobrona über eine geeignete und politisch erfahrene Mannschaft.

Wesentlich schwerer werden es die Ex-Koalitionäre von Kaczyñski haben. Weder die Samoobrona (2005: 11,4 Prozent) noch die nationalkatholische Liga Polnischer Familien (LPR, 2005: acht Prozent) kommen laut Umfragen über die Fünf-Prozent-Hürde. Eine geplante gemeinsame Wahlliste hatten sie - die einen aus Mangel an Personal in der Provinz, die anderen aus Angst vor eventueller Ämterteilung - nicht zustande gebracht. Dies wird sich wahrscheinlich rächen, denn eine Woche vor den Wahlen liegt die LPR bei vier, die Samoobrona nur bei drei Prozent.

Wahrscheinlich ist daher ein Vier-Parteien-Sejm aus PiS, PO, LiD und PSL. Da die LiD als potentieller Partner für die streng antikommunistische PiS ausscheidet, bleibt dieser dann nur eine Kleine Koalition mit der PSL (bei einem exorbitanten PiS-Wahlergebnis) oder die schon 2005 (JF 34/05) angedeutete Große Koalition mit der PO.

Die PO hat hingegen alle drei Möglichkeiten: mit LiD, PSL und PiS. Allerdings wäre eine PO-Regierung mit den Postkommunisten ohne eine gewisse parteiinterne Spannung nicht zu haben, mit der PSL allein dürfte es nicht reichen. Denkbar ist ein Dreierbündnis PO-LiD-PSL, das wäre aber strukturell etatistisch angelegt und keinesfalls reformfreundlich. Auf jeden Fall würde der Premier Tusk heißen.


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