© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Der Kundschafter und seine Idioten
Schreibtischtäter: Wie der "Spiegel"-Redakteur und Stasi-Agent Dietrich Staritz die RAF unterstützte
Karlheinz Weissmann

Die Historisierung des "roten Jahrzehnts" (Gerd Koenen) zwischen 1967 und 1977 nimmt nur ganz allmählich Form an. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist die Schwierigkeit, den Hintergrund der Ereignisse vollständig zu erhellen, vor allem soweit es um die Einmischung von Geheimdiensten geht. Immerhin zeichnet sich die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) allmählich deutlicher ab. Durch eine neue Veröffentlichung von Jochen Staadt ("Eine deutsche Waffenbrüderschaft", FAZ vom 5. Oktober 2007) wird vor allem Licht in die logistische und ideologische Unterstützung der RAF durch die Stasi gebracht.

Staadt betont, daß es dabei niemals nur um ein Zweckbündnis gegangen sei, sondern um einen Akt der Solidarität mit jenen, die - wenngleich auf anderem Weg - dasselbe Ziel verfolgten: den gewaltsamen Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft und die physische Vernichtung ihrer Träger oder zumindest ihrer Eliten. Durch die besondere Konfliktlage des Kalten Krieges kam außerdem die gemeinsame Frontstellung gegenüber dem westlichen Verteidigungsbündnis, der Nato und ihrer Vormacht USA, hinzu.

Insofern überrascht Staadts Feststellung nicht, daß wesentliche Vorbereitungen für den Anschlag der RAF auf das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt am 11. Mai 1972 von der Stasi erledigt wurden. Für die Ausforschung des Geländes war der Agent Dietrich Staritz zuständig, der im Westen als Redakteur für den Spiegel arbeitete und diese Tarnung bei der Kontaktaufnahme mit den amerikanischen Stellen nutzen konnte. Das mag als Detail erscheinen, das aber gewürdigt sein will, denn der hier etwas lapidar als "DDR-Forscher" präsentierte Staritz nahm eine wichtige Mittlerstellung zwischen DDR-Spionage, Terrorismus und Neuer Linker ein.

Tätigkeit auch für den Verfassungsschutz

Staritz konnte bereits 1994 durch Aktenfunde der Gauck-Behörde als IM "Erich" identifiziert werden. Er hat seine Agententätigkeit wahrscheinlich 1960 oder 1961 begonnen und wurde vom MfS zuerst als "Geheimer", dann als "Inoffizieller Mitarbeiter" geführt. Mielke selbst soll ihn als "wichtige Quelle" eingestuft haben. Staritz lebte damals in West-Berlin und engagierte sich politisch für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), die Keimzelle der studentischen Opposition. Er wurde Gruppenvorsitzender des SDS am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität und arbeitete gleichzeitig für die Stasi als "Tipper", das heißt, er fertigte Einschätzungen über die nachrichtendienstliche Brauchbarkeit seiner Kommilitonen an.

Bernd Rabehl, der die internen Vorgänge der frühen APO aus intimer Kenntnis beurteilen kann, hat darauf hingewiesen, daß der Berliner SDS bereits seit dem Ende der fünfziger Jahre Ziel von Stasi-Operationen war. Zusammen mit Peter Heilmann und Walter Barthel wurde Staritz hier eingeschleust. Das geschah auch, um die "Antiautoritären" zu disziplinieren und auszuforschen, aber die Hauptverwaltung Aufklärung war vor allem an der Stärkung einer DDR-freundlichen Position in den zukünftigen akademischen Eliten, in der linksradikalen und linksliberalen Intelligenz, interessiert.

Staritz, Heilmann und Barthel arbeiteten übrigens zugleich und mit Billigung der Staatssicherheit für den Verfassungsschutz. Alle drei galten als "Perspektivagenten". Ost-Berlin setzte darauf, daß die Studenten später einflußreiche Stellungen einnehmen würden, und diese Erwartung erfüllte sich durch Karrieren in der evangelischen Kirche, der SPD, beim Spiegel und in der DDR-Forschung. Eine Entschuldigung für das Vorgehen seiner ehemaligen Genossen kann Rabehl übrigens nicht erkennen: Die "geheimen Kader" erhielten "Sold, Prämien, Orden, Aufstiegschancen und Sonderleistungen. Sie gingen als 'Kundschafter des Friedens' keinerlei Risiken ein. Bei Abzug aus dem Feindgebiet erwarteten sie Posten und Karrieren in der DDR, und wurden sie im Westen gefaßt, war die Gefängnisstrafe gering." Fazit: "Das waren keine Überzeugungstäter, sondern 'Funktionsträger' eines Macht- und Polizeiapparates, der im Namen der Sowjetunion und der DDR eingesetzt wurde und bestimmte Aufgaben im 'kalten' Bürgerkrieg zu erfüllen hatte."

Zu den "bestimmten Aufgaben" gehörte vor allem die Schaffung eines für die politischen Bestrebungen der DDR günstigen Meinungsklimas in der Bundesrepublik. Als Staritz nach Abschluß seines Studiums in die Redaktion des Spiegels eintrat und dort die Berichterstattung aus dem Ostblock koordinierte, konnte er erstmals in dem von seinen Auftraggebern gewünschten Sinn tätig werden. Aber das war noch nicht das Ende der Entwicklungsmöglichkeiten. 1972 kehrte Staritz an die FU zurück und nahm seine wissenschaftliche Laufbahn wieder auf, die ihm nicht nur rasch einen Lehrstuhl eintrug, sondern auch die geschäftsführende Leitung des Arbeitsbereichs DDR-Forschung am Zentrum für Europäische Sozialforschung in Mannheim.

Dieser Arbeitsbereich zählte aus Sicht der Staatssicherheit zu den "Hauptobjekten" im universitären Sektor, da hier wichtige Entscheidungen über die Darstellung der DDR im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereich getroffen wurden. Staritz fügte sich gut in den schon bestehenden Rahmen der DDR-Forschung, die seit Beginn der siebziger Jahre immer stärker an den Vorgaben der "kritisch-immanenten Analyse" (Peter C. Ludz) ausgerichtet worden war. Das hieß, man lehnte alle "Vorurteile" gegenüber den Ostblock-Staaten ab, nutzte das von diesen veröffentlichte "Material" - etwa Statistiken, offizielle Berichte - und wies jede grundsätzliche Infragestellung der kommunistischen Systeme zurück. Während die SBZ-Forschung früherer Jahre die angebotenen Daten und Aussagen prinzipiell unter Verdacht stellte, wurde hier ebenso prinzipiell Wohlwollen geübt.

Die "kritisch-immanente Analyse" war sozusagen das politologische und historiographische Pendant zur Entspannungspolitik der sozial-liberalen Ära. Sie bot Staritz die Möglichkeit, als "Sprachrohr der DDR" (Hubertus Knabe) aufzutreten, ohne Verdacht zu erregen, und mit jener Schar von "nützlichen Idioten" (Lenin) zusammenzuwirken, die als Professoren und Dozenten ganze Generationen von Studenten in der Perspektive des "Systemvergleichs" erzogen, dessen Ergebnis immer schon feststand: die prinzipielle Berechtigung der deutschen Zweistaatlichkeit, die Legitimität der DDR, deren "Errungenschaften" (umfassende Versorgung durch den Staat, keine Arbeitslosigkeit, keine Armut, keine Drogen, keine Kriminalität, freie Abtreibungsmöglichkeit, geförderte Berufstätigkeit der Frau, Horte für die Kleinen) gekonnt gegen die "Konsummöglichkeiten" des Westens ausgespielt wurden.

Staritz erarbeitete sich in Hochschule und Wissenschaft eine feste Stellung. Er galt als angesehener Fachmann, verfaßte den Band zur Geschichte der DDR in der verbreiteten Neuen Historischen Bibliothek des Suhrkamp-Verlags (Herausgeber: Hans-Ulrich Wehler) und gehörte zu den bevorzugten Referenten der Bundeszentrale für politische Bildung. Die "Wende" von 1989 änderte daran wenig. Staritz erhielt von der Volkswagen-Stiftung umgehend den Auftrag, eine mehrbändige Darstellung zur Entwicklung der DDR abzufassen, und trat immer wieder als Experte bei Symposien auf (auch bei der Gauck-Behörde). Erst die Entdeckung seiner Spitzeltätigkeit Mitte der neunziger Jahre schob dem einen Riegel vor. Seitdem ist sein Tätigkeitsbereich auf das SED/PDS-Umfeld (Jahrbuch für historische Kommunismusforschung, Rosa-Luxemburg-Stiftung) beschränkt, wo man seine Vergangenheit offenbar nicht als Makel empfindet, und Suhrkamp hält ungerührt die achte Auflage der Geschichte der DDR im Programm.

Es ist also glimpflich abgegangen für Dietrich Staritz, allzu glimpflich, möchte man meinen. Unter den geschätzten 20.000 Bundesbürgern, die für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet haben, gehörte er zwar nur zu den Schreibtischtätern. Aber Desinformation und Zersetzung waren eben nicht alles. Folgt man Staadts Darstellung, dann trägt Staritz auch Mitverantwortung für Morde der RAF.

Foto: Bombenanschlag der RAF auf das US-Hauptquartier in Frankfurt/Main (1972): Mitverantwortung


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