© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Türöffner der Angelsachsen
Einer akribisch recherchierten Anklageschrift gegen den "20. Juli" an der Westfront 1944 mangelt es an hieb- und stichfesten Belegen
Rainer Dürkopp

Im siebenten Band der offiziösen Darstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes ("Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", 2001) wird das "Unternehmen Overlord", die angelsächsische Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944, auf dreißig Seiten weniger dargestellt als "abgehakt".

Vielleicht fand Detlef Vogel, der einen Großteil seines Forschungslebens der Freiburger Lokalgeschichte gewidmet hat, keinen Spaß am Thema. Darum scheint die größte Landungsoperation der Kriegsgeschichte aus seiner Perspektive auch störungsfrei verlaufen zu sein. Die westalliierte Streitmacht stieß durch deutsche Linien wie ein heißes Messer durch die Butter, und ehe man sich's versah, zog sie im August 1944 in Paris ein.

Vergleicht man Vogels Kurzgeschichte mit der überbordenden angelsächsischen Militärliteratur zum Thema und mit der auch ganz ansehnlichen, von ihm aber ebensowenig in gebührender Weise berücksichtigten deutschen Spezialhistorie, drängt sich der Verdacht geschichtspolitischer "Glättung" auf. So findet sich bei Vogel die überall sonst beachteten These, der alliierte Erfolg könnte auch etwas mit dem "Verrat" auf deutscher Seite zu tun haben, an keiner Stelle. Nur einen Schlenker leistet er sich in der beiläufigen Notiz, der Befehlshaber der 7. Armee, Generaloberst Friedrich Dollmann, "starb unter nicht ganz geklärten Umständen".

Als eine Art "Anti-Vogel" präsentiert sich daher jetzt Friedrich Georgs Arbeit über die Schlacht in der Normandie, die sich dabei auf das von dem Freiburger Militärhistoriker aus politisch korrektem Kalkül so sträflich vernachlässigte Verratsthema, auf "Eisenhowers deutsche Helfer", konzentriert.

Georg geht in seiner Rekonstruktion - vor allem der Abläufe am Landungstag und der ersten drei Wochen danach - allen Hinweisen auf Verratsakte nach. Dabei laufen viele Fäden bei Rommels Stabchef Hans Speidel zusammen, der als Mitverschwörer des "20. Juli" wieder einmal im Verdacht steht, den Invasoren "die Front geöffnet" zu haben. Als sicher gilt für Georg, daß auch die militärische Aufklärung in der Abteilung "Fremde Heere West" des OKH unter Leitung Alexis von Roennes, ebenfalls ein Sympathisant der "Verschwörer" um Stauffenberg, den Feind entscheidend begünstigte, indem er die Stärke der alliierten Truppen hochrechnete, um Rommel und Hitler die Möglichkeit einer "zweiten Landung" zu suggerieren, für die man Reserven zurückhielt, die in der Normandie womöglich schlachtentscheidend hätten eingreifen können.

Aber das imposante Anklagematerial, das Georg hier häuft, dabei vermeintliche Kleinigkeiten nicht vergessend wie "zufällig" nicht gelieferte ultramoderne Maschinengewehre in den Stellungen des Atlantikwalls oder die "zufällig" termingerechte Bombardierung deutscher Schnellboote, als sie gerade nicht in Le Havres sicheren Bunkern lagen - ja, selbst der außergewöhnliche "Zufall", ausgerechnet Rommel während einer Dienstfahrt mit Jagdbombern zu "erwischen" und fast zu töten -, ist doch bei näherer Betrachtung nicht so hieb- und stichfest, daß es zu einer Verurteilung der "Verräter" ex eventu et post mortem taugt. Zu oft muß Georg auf den Konjunktiv ausweichen, zu oft fehlt ein Beleg aus den Akten, zu oft finden sich Hinweise auf andere Autoren, die wie Hrowe Saunders oder David Irving den "Verrats"-Mythos pflegen. Typisch dafür ist die Episode Dollmann. Anstelle von Vogels Geraune verficht Georg zwar klar die Version vom Selbstmord des Generalobersten, aber einerseits fehlt ein Beleg, andererseits suggeriert er, wiederum ohne Quellenangabe, daß "mehr dahinter" gesteckt haben könnte, daß sich der Oberbefehlshaber Stunden vor einer entscheidenden Offensive gegen den britischen Landungskopf selbst entleibte.

Günstigenfalls ist Georg also zu konzedieren, daß er Anhaltspunkte für weitere Forschungen liefert. Allerdings konterkariert der Autor diesen Ansatz zu "alternativer" Geschichtsschreibung nicht allein durch die zahllosen Hypothesen und Spekulationen, sondern vor allem durch die abenteuerlich kühne These, die Landung habe nicht stattgefunden, um Stalin die "zweite Front" zu bescheren, sondern um die deutsche Hochtechnologie auszuschalten, darunter die "kleine" deutsche Atombombe, die 1943 schon vor Rügen getestet worden sei. 

Friedrich Georg: Verrat in der Normandie. Eisenhowers deutsche Helfer, Grabert Verlag, Tübingen 2007, 381 Seiten, Abbildungen, 19,80 Euro


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