© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Die Säkularisierung als Herausforderung
Religion: Der Trierer Bischof Reinhard Marx über Chancen und Gefahren für die katholische Kirche in Deutschland / Vortrag in Berlin
Fabian Schmidt-Ahmad

Auch für das gegenwärtige Europa bleibt das Verhältnis zur Säkularisierung problematisch. Denn mit beinahe jeder Deutung von Säkularisierung ergibt sich notwendig eine moralische Wertung, die früher zu schärfsten Auseinandersetzungen führte.

Entweder man macht sich den Standpunkt der Aufklärung zu eigen, die einst unter dem Banner von Vernunft und Wissenschaft gegen die christliche Religion zu Felde zog. Dann muß man aber auch dieser Religion prinzipiell, wo sie sich noch außerhalb des Privaten zu zeigen wagt, mit der Geste eines unerwünschten Wiedergängers begegnen. Oder aber  man behält sich vor, weiterhin die Welt unter dem umfassenden Gesichtspunkt einer göttlichen Ordnung zu betrachten. Dann wird man aber nicht umhinkönnen, die Kirche in einem zähen Rückzugsgefecht zu begreifen wider eine Vorstellung, in der das Kultische im Öffentlichen keinen Platz mehr haben soll.

Jenseits dieser beiden antagonistischen Sichtweisen kann man auch "die Herausforderungen des Säkularismus als Chancen für die Kirche" begreifen. Genauso lautete auch der Titel einer Rede, die Bischof Reinhard Marx vergangene Woche im Atrium der Deutschen Bank in Berlin hielt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom "Opus Dei"-nahen Bildungszentrum "Feldmark". Mit Marx sprach nicht nur derjenige, der als Bischof von Trier der ältesten deutschen Diozöse vorsteht, sondern auch jemand, der dem Publikum "Möglichkeiten und Grenzen einer soziologischen Betrachtungsweise" - so der Untertitel seiner Dissertation - aufzuzeigen vermochte: jener wissenschaftlichen Disziplin also, die in den siebziger Jahren den endgültigen Tod des Religiösen durch Säkularisierung prophezeite.

Keine sehr gelungene Prophezeiung, wie Marx in seinen Ausführungen darlegte und dabei als jüngeres Beispiel den überraschenden Versuch anführte, den Gottesbezug in die EU-Verfassung einzubringen: "Die alte, klassische Säkularisierungsthese, mit der wir eigentlich in Deutschland groß geworden sind in den Wissenschaften, hat sich erledigt. Die Frage ist, welche Religion wird eine Rolle spielen, wie wird sie Religion definieren und ordnen?" Daß es kein Zurück mehr geben kann, sah Marx als gegeben: "Wenn uns jemand anbieten würde, zu sagen, wir machen die katholische Kirche in Deutschland zur Staatsreligion, dann würde ich sagen: 'Weiche, Satan'." Statt dessen zeigte Marx auf, daß nicht nur im Christentum, sondern bereits im Judentum des Alten Testamentes starke Schübe zur Säkularisierung herrschten.

Etwas im Ungefähren blieb jedoch der Gegenwartsbezug. Zwar betonte Marx, ein Experte der katholischen Soziallehre, wie hier mit der Freiheit und Würde der Person ein neues Element aufgetreten ist, konnte dieses aber nicht in eine für das Publikum anschauliche Form bringen. In der anschließenden Diskussion kritisierte entsprechend ein Teilnehmer den historischen Überblick Marx', in welchem die Gestalt Jesus Christus - bis auf die Erwähnung als Lehrer - praktisch keine Rolle spielte. Seines Erachtens ist jedoch der Prozeß der Säkularisierung nur vom Mysterium von Golgatha aus zu verstehen, und zwar dann, wenn man sich vergegenwärtigt, daß als Gegenbegriff zur Säkularisierung die Spiritualisierung steht. Die vorchristliche spirituelle Weltauffassung mußte zugrunde gehen, damit eine neue Vergeistigung der Welt einsetzen könne. Eine Forderung an die Kirche, welche aber Marx - der als Gegenbegriff den der Sakralisierung bevorzugte - ablehnte.

Sowohl der anregende Vortrag als auch die engagierte Diskussion im Anschluß verdeutlichten jedoch eins: Der Versuch, Säkularisierung unabhängig vom Wesen des Christentums deuten zu wollen, wie es zuletzt in vielleicht am stärksten sublimierter Form Hans Blumenberg unternahm, ist unmöglich. Denn nur aus dieser Religion selbst heraus ist ein Verständnis davon zu gewinnen, wieso Säkularisierung als notwendige Metamorphose erscheint. Ein Anstoß hierzu wurde an diesem Abend gegeben.


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