© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Der Atlantiker im Élyséepalast
Frankreich: Unter Präsident Sarkozy vollzieht sich eine fast völlige Neuausrichtung der französischen Außenpolitik / Rückkehr in die Nato?
Alain de Benoist

Vergangenen Donnerstagabend gingen im Zentrum von Paris die Lichter aus. Zunächst an der Spitze des Eiffelturms, dann um 19.55 Uhr lag das Wahrzeichen der französischen Hauptstadt ganz im Dunkeln. Finster wurde es gleichzeitig auch im Élyséepalast und in Tausenden anderen Gebäuden. Nach fünf Minuten war das Schauspiel vorbei. Angeblich soll die Aktion die Energie von zehn Millionen Glühlampen eingespart haben. Anlaß des Spektakels war der erste nationale Umweltgipfel (Grenelle Environnement), bei dessen Abschluß sich Staatspräsident Nicolas Sarkozy - zuvor von landesweiten Streiks und Ehescheidung gebeutelt - als Klimaschützer inszenierte.

Ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel will er sein Land medienwirksam zum Vorreiter beim Kampf gegen die Erderwämung machen. "Frankreich war bisher nicht besonders ehrgeizig auf diesem Gebiet, das soll sich jetzt ändern", erklärte Sarkozy in Anwesenheit von Friedensnobelpreisträger und Ex-US-Vizepräsident Al Gore. "Wir können keine politischen Projekte mehr angehen, ohne dabei die Herausforderung des Klimawandels zu beachten." Bis 2020 solle über ein Fünftel des französischen Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden.

Sarkozy forderte eine Steuer für Produkte aus Ländern, die das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz nicht unterzeichnet haben. Es dürfe auch nicht angehen, "daß ein Produkt, das durch die halbe Welt geschickt wird, billiger ist als ein lokales Produkt". Des weiteren regte Sarkozy ein Handelsverbot für genmanipuliertes Saatgut an. Er versprach eine Verdoppelung des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes (TGV) um 2.000 Kilometer, eine Milliarde Euro für die Forschung, eine Biomahlzeit pro Woche in den öffentlichen Kantinen, die Verbesserung der Energieeffizienz, eine spezielle Lkw-Maut für Nichtautobahnen, Steuererleichterungen für Öko-Autos und die Förderung der Wärmedämmung von Gebäuden. Nur beim Thema Atomkraft setzte Sarkozy keine "grünen" Akzente. Man wolle zwar "keine neuen Kernkraftwerke bauen, aber wir dürfen die Atomenergie auch nicht aufgeben".

Weniger medienwirksam vollzieht sich hingegen ein anderer Kurswechsel in Paris - die fast völlige Neuausrichtung der französischen Außenpolitik. Und die ist seit den Zeiten Charles de Gaulles eindeutig Chefsache. In der französischen Präsidialverfassung bestimmt  der Staatspräsident - ähnlich wie in Washington oder Moskau - weitgehend allein den diplomatischen Kurs der Grande Nation. Schon Anfang August erklärte der Sprecher des Élyséepalastes, mittlerweile gebe es "viele Themen, bei denen zwischen den USA und Frankreich Übereinstimmung herrscht". Tatsächlich ist das noch gelinde ausgedrückt. Angesichts der neuen Ausrichtung, die der 52jährige Sarkozy der französischen Außenpolitik in den ersten fünf Monaten seiner Präsidentschaft verpaßt hat, ist sogar die Frage berechtigt, ob Frankreich nach über vierzig Jahren der Nato-Unabhängigkeit nicht auf dem besten Weg ist, zu einem US-Protektorat zu werden.

Die Rede, die Sarkozy am 27. August - kurz nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er seinen Urlaub eine Autostunde von George W. Bushs Sommerwohnsitz verbracht hatte - vor den in Frankreich amtierenden Botschaftern hielt, konnte diesen Argwohn nur bestärken. In dieser Ansprache, die seine außenpolitischen Ziele umreißen sollte, gab der Präsident zu verstehen, daß "Frankreich sich nicht dagegen widersetzen wird, daß in den kommenden Monaten und Jahren neue Kapitel der Verhandlung zwischen der Europäischen Union und der Türkei aufgeschlagen werden". Überdies kündigte er eine Verstärkung der französischen Truppen in Afghanistan an, betonte die zwingende Notwendigkeit einer totalen Unabhängigkeit des Kosovo, bekundete Israel seine Zuneigung ("Ich stehe im Ruf, ein Freund Israels zu sein, und das stimmt") und der Nato seine Reverenz. Sarkozy verurteilte die "Brutalität" Rußlands und erklärte es schließlich für "nicht akzeptabel", daß der Iran Atommacht werden könnte. Letzteren Standpunkt bekräftigte er erneut bei der Uno-Generalversammlung am 25. September. Emphatischer hätte sein atlantisches Bekenntnis kaum ausfallen können.

Wenige Tage danach reiste der französische Außenminister Bernard Kouchner (JF 22/07) nach Bagdad, wo ihn der irakische Präsident Dschalal Talabani empfing ("ein alter Freund"). Das Vorgehen der US-Truppen, das den Irak ins Chaos gestürzt hat, kam dabei mit keinem Wort zur Sprache.

Der frühere sozialistische Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement sprach unverblümt von einem "festen Schulterschluß Frankreichs mit den USA". Frankreich gewinne nichts dabei, wenn es "die aggressivsten Standpunkte der amerikanischen Außenpolitik folgsam übernehme", so der 68jährige Linksrepublikaner, der schon gegen den ersten Golfkrieg von 1991 protestiert hatte. Doch alles sieht derzeit ganz danach aus, als wolle Sarkozy sich für die Position als Bushs "Pudel" empfehlen, die mit Tony Blairs Rücktritt frei wurde - und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Politik des US-Präsidenten im eigenen Land zunehmend in die Kritik gerät.

Sarkozy hat somit grünes Licht für eine Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara gegeben, die er während seines Präsidentschaftswahlkampfes noch abgelehnt hatte. Am 14. September verlautbarte sein neuer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, der Sozialist und Linkskatholik Jean-Pierre Jouyet, daß der Staatschef eine Verfassungsänderung prüfe: Der 2005 auf Betreiben von Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac verabschiedete Artikel, der die Regierung nach dem für 2010 geplanten EU-Beitritt Kroatiens verpflichtet, über jede weitere Erweiterung der Union eine Volksabstimmung abzuhalten, soll wieder gestrichen werden. Dieser Schritt zur Billigung des Türkei-Beitritts ist eine eindeutige Geste in Richtung USA, die seit Jahren entsprechenden Druck ausüben.

Dazu paßt das Liebäugeln mit einer Rückkehr in die militärische Organisation der Nato, die Frankreich im März 1966 unter dem damaligen Staatsoberhaupt General Charles de Gaulle verließ. Nur im politischen Teil des Nordatlantikpaktes blieb Paris weiterhin integriert. Verteidigungsminister Hervé Morin verlieh am 11. September in Toulouse dem Wunsch nach einem "politischen Umdenken" bezüglich Frankreichs Beziehung zur Nato Ausdruck. Paris könnte den 2008 geplanten Nato-Gipfel in Bukarest nutzen, so wird bereits spekuliert, um die Rückkehr Frankreichs in diese völlig von Washington kontrollierte Organisation bekanntzugeben.

Man braucht sich über diese Neuausrichtung nicht zu wundern, wenn man weiß, wie sehr die USA "Sarko den Amerikaner" faszinieren - nicht von ungefähr brüstete er sich vor zwei Jahren mit diesem Spitznamen. Dennoch bedeuten sie einen gewaltigen Bruch mit dem bisherigen "gaullistisch-sozialistischen Konsens", wie ihn der ehemalige Außenminister Hubert Védrine definierte - einem "Bismarckschen" Weltbild, das auf der Achtung der Souveränität der Staaten gründete. In Sarkozys außenpolitischen Reden kommen Frankreichs Interessen so gut wie nicht mehr vor. Im Mittelpunkt seiner Bestrebungen steht nun statt dessen immer häufiger die Durchsetzung der "Menschenrechte" (in potentiell US-feindlichen Ländern), die für ihn bislang eher (etwa in Afrika) eine Nebenrolle spielten.

In Sarkozys Regierungspartei UMP üben Altgaullisten nur im kleinen Kreis vorsichtige Kritik. Bislang meldet sich lediglich Ex-Premier Dominique de Villepin offen zu Wort. Als Außenminister hatte er sich 2003 in einer historischen Uno-Rede gegen die zweite Irak-Invasion der USA gewandt und gewarnt: "Vergessen wir nicht, daß nachdem der Krieg gewonnen ist, der Frieden aufgebaut werden muß." Nun wirft de Villepin Sarkozy vor, noch vor den USA "in Richtung Krieg" mit dem Iran zu marschieren. Aber wo kann sich in Frankreich Widerstand gegen diese Wende bilden? Mit Ausnahme "souveränistischer" Kreise bieten sich kaum geeignete Kandidaten an - schon gar nicht aus den Reihen der Sozialisten. Dominique Strauss-Kahn, von 1997 bis 1999 Wirtschaftsminister im Kabinett Lionel Jospins, verabschiedete sich im Oktober nach Washington, um dort den Posten des Generalsekretärs des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu übernehmen. Die unterlegene sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal monierte in Le Monde zwar Fehler und Widersprüche in Sarkozys Außenpolitik - eine radikale Abrechnung sieht allerdings anders aus.

Als eifrigster Verfechter des "Einmischungsrechts" in zwischenstaatlichen Beziehungen agiert nun Royals einstiger Parteifreund, der nunmehrige Außenminister Bernard Kouchner - der einzige französische Politiker, der sich seinerzeit für die US-Intervention im Irak aussprach. Von dem Ex-Sozialisten stammt übrigens auch die Äußerung, Französisch sei "in der heutigen Welt keine unverzichtbare Sprache mehr".

Der zweitwichtigste Mann nach Kouchner ist Sarkozys persönlicher außenpolitischer Berater Jean-David Levitte, der als französischer Botschafter bei der Uno und anschließend in Washington fungierte, wo man ihn sehr schätzt. Sein Vater Georges Levitte repräsentierte dreißig Jahre lang das American Jewish Committee in Frankreich und zählte zu den Gründern des Kolloquiums französischsprachiger jüdischer Intellektueller. Levitte ist für das Amt des Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats im Gespräch, den Sarkozy gründen will.

In dem Schreiben, das Sarkozy Ende August an Kouchner richtete, um dessen Aufgaben zu erläutern, findet sich eine haarsträubende Formulierung, die in der Presseberichterstattung unterschlagen wurde: "Letztlich bitten wir Sie, die Entwicklung unseres diplomatischen Werkzeugs in Richtung eines 'Globalisierungsministeriums' voranzutreiben." Mit diesem einen Satz ist alles gesagt.

 

Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften "Nouvelle École" und "Krisis".

Foto: Sarkozy mit "Freund" Bush: Ende des gaullistisch-sozialistischen Konsenses in der Außenpolitik


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