© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Pankraz,
Kaiser Friedrich und der Beutelteufel

Auch Teufel können krank werden, zumindest Beutelteufel. Australische Naturschützer sind in tiefer Sorge um das Schicksal des tasmanischen Beutelteufels (Sarcophilis harrisii), der seit einiger Zeit von einer schrecklichen Krebskrankheit (DFTD) befallen wird, deren Tumore sich vor allem über das Gesicht ausbreiten. Der Krankheitsverlauf ist absolut tödlich und dezimiert den Bestand in immer schnellerem Tempo.

Die Tiere leiden sehr, können keine Nahrung mehr aufnehmen und verhungern schließlich. Ihre Anfälligkeit für DFTD ist offenbar erblich, und da der Beutelteufel eine sogenannte endemische Art ist, sein Vorkommen sich nur noch auf ein einziges, eng umgrenztes Areal beschränkt, gibt es für ihn keinen Genpool, von dem aus resistente Gene eingespeist werden könnten. Der Krebs wird zur Seuche, und es ist absehbar, wann das letzte Exemplar von Sarcophilis harrisii verröchelt sein wird.

Manche Zeitgenossen bleiben dabei freilich höchst gelassen, denn der Beutelteufel trägt seinen Namen nicht zu Unrecht. Erscheinung und Benehmen sind wirklich "teuflich", genau so, wie man sich den Teufel im Volksglauben vorstellt. Das fuchsgroße (aber viel kompaktere) Wesen ist schwarz und struppig von der Schnauze bis zur Schwanzspitze und infolge seiner längeren Vorderbeine hyänenhaft nach vorn aufgetürmt, mit einem stets drohend fletschenden Gebiß und mit Augen, die im Zorn rot aufglühen. Und der Beutelteufel ist faktisch ständig im Zorn.

Jeder ist ihm feind, besonders die eigenen Artgenossen, die er mit wahnsinnigem Gekreische anfällt. Dabei verströmt er einen Gestank, der zum Höllischsten gehört, was auf Erden überhaupt erriechbar ist. Auch der Geschlechtsakt wird ganz im Stil eines finalen Ringkampfs vollzogen. Es gibt kein Familienleben. Das begattete Weibchen wirft zehn bis zwanzig Junge; da ihr Beutel aber nur vier Zitzen hat, frißt sie die überzähligen Sprößlinge sofort auf, bevor sie von anderen gefressen werden können. Nein, es gibt im Grunde keinen Grund, den Beutelteufel irgendwie zu mögen.

Trotzdem kämpfen zur Zeit die australischen und tasmanischen Tierschützer einen verbissenen Kampf um die Erhaltung der Art. Es ist eine richtige nationale Kampagne für den Beutelteufel in Gang gekommen.  "Ich gebe zu, er sieht wie der richtige Teufel aus und benimmt sich auch so, aber er gehört nun einmal zu unserem Leben dazu", erklärte kürzlich ein Biologieprofessor im Sydney Morning Herald. "Unser Leben wäre ärmer ohne ihn."

Pankraz erinnerte dieser Professor an seinen alten Lehrer Ernst Bloch in Leipzig, der zu sagen pflegte: "Auf Gott können die Menschen verzichten, aber auf den Teufel können sie nicht verzichten. Sie brauchen dieses Inbild des Widersachers und des Infragestellers der Schöpfung. Deshalb gibt es zwar einen Atheismus, aber keinen Asatanismus. Der Teufel läßt sich nicht entzaubern, die Hölle läßt sich nicht säkularisieren." Bloch meinte es nicht ganz ernst, jedenfalls kam es Pankraz so vor, aber zum Sich-Umsehen luden seine Worte allemal ein.

Schon am Verhalten des Kleinkinds kann man es ja beobachten: Der Teufel, das Böse, die Kobolde und Necker, erregen die Sinne viel stärker als das Gute. Das Gute ist das Innere und das Selbstverständliche, man selbst ist das Gute (glaubt man), während das Böse draußen ist und einem etwas antun will. Die modernen, "aufgeklärten" Erwachsenen denken kaum anders. Den lieben Gott verabschieden sie, aber den Teufel behalten sie, sie verbildlichen ihn nur anders als früher.

Er erscheint ihnen nicht mehr vorrangig als hinkefüßige Ziegengestalt mit Quastenschwanz, sondern als Mensch. Eine überdimensionale,  meistens aus der Politik stammende, unheilschwangere historische  Figur wird derart radikal aus allen konkreten Lebensbezügen herausgelöst, daß sie gar nicht mehr als real existiert habende Person wahrnehmbar ist, sondern eben nur noch als Großdämon oder der Teufel selbst. Das ist, wie jeder weiß, mit Adolf Hitler passiert, in geringerem Maße auch mit Josef Stalin und Mao Tse-tung.

Einerseits sind diese Gestalten heute durchaus Gegenstand historischer Forschung, es werden Real-Biographien über sie verfaßt, man analysiert sie, mag sein, als besonders deutlich vom Bösen geleitete Menschen, aber immerhin als Menschen. Doch neben diesen wissenschaftlichen und essayistischen Vergegenwärtigungen - und mittlerweile völlig unabhängig davon - existiert ein Volksglaube (oder besser: Zeitgeistglaube), der sie als reine Großdämonen sieht, als "das" Böse schlechthin, über das man nicht mehr sachlich sprechen kann, sondern nur mehr im Gestus des äußersten Entsetzens und der praktizierten Teufelsaustreibung.

Dergleichen ist übrigens auch in früheren Zeiten schon vorgekommen, im Mittelalter etwa, wo es doch in den Köpfen auch noch eine komplette "normale" Höllenausstattung mit altem Natur- und Mythenmaterial gab. Der große Stauferkaiser Friedrich II., der ein Freigeist und Spötter avant la lettre war, ist von den Päpsten seiner Zeit nicht nur exkommuniziert, sondern in Predigten und offiziellen Verlautbarungen auch zum  puren Teufel erklärt worden. So wie der Staufer, zeterte Papst Innozenz IV., genau so sieht der Teufel aus.

Ähnlich wie Friedrich erging es später in der Reformationszeit Papst Leo X., der von den Lutheranern als der leibhaftige Beelzebub verkauft wurde. Tausende von Flugblättern waren damals im Heiligen Römischen Reich unterwegs mit dem Konterfei von Leo X. und einigen Versen, in denen stets nur eine einzige Botschaft transportiert wurde: Das ist der Teufel, Papst Leo X. ist der Teufel.

Angesichts solcher Exzesse nimmt sich die Verteufelung des armen, vom Krebs dezimierten Beutelmarders Sarcophilis harrisii natürlich außerordentlich harmlos aus. Aber es ist bei genauem Hinsehen eben doch auch Moment eines unbedachten, überflüssig-ärgerlichen Tuns. Hier wie dort wäre besser: Asatanismus statt Atheismus! Und: Man rette den Beutelteufel!


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