© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

CD: Klassik
Schwester Braut
Jens Knorr

Die Myrte, immergrüner Strauch aus der Familie der Myrtengewächse, war in Rom der Göttin Venus geheiligt und wird für Brautschmuck verwendet. "Myrten. Liederzyklus in vier Heften", prachtvoll eingebunden, überreichte der Komponist und romantische Pianist Robert Schumann (1810-1856) seiner Braut Clara am schmerzvoll erkämpften, gegen den Willen ihres Vaters Friedrich Wieck gerichtlich durchgesetzten Hochzeitstag. Myrten stehen für Jungfräulichkeit, Keuschheit, künstlerische und eheliche Fruchtbarkeit, aber auch für Friede, den Ehefrieden zumal. Die 26 von Januar bis April 1840 komponierten Lieder nach deutschen und englischen Dichtern stecken voller erotischer und sexueller Ambivalenzen, verdeckter und angetragener Erwartungen an Herzensclara, Clärchen, Braut, Schwester, Kind, Bruderherz, wie er sie von seinen Dichtern nennen läßt oder sie in seinen Briefen nennt. Diesen lag "mitunter so ein Blättchen", eines der fertigen Lieder, bei.

Die Edition "Robert und Clara Schumann. Lieder und Briefe" bei Telos Music Records (TLS 1006), deren Konzept der argentinische Bariton Iván Paley verantwortet, bringt nicht nur jene paar Lieder, die zum ehernen Repertoirebestand eines jeden Liedsängers gehören, "Der Nußbaum" nach Julius Mosen oder die Lieder nach Heine, sondern den Liedzyklus op. 25 vollständig, ergänzt und unterbrochen durch Briefe der Brautleute Clara Wieck und Robert Schumann aus den kritischen Monaten, ausgewählt von Martina Döcker und auch im Weltnetz aufzurufen (www.schumann-myrten.com).

Diana Damrau und Iván Paley teilen sich in die Lieder, dabei - zum Glück! - bestrebt, nicht nur auf das biographische Moment, sondern von diesem abzuheben. Damrau kann ihre feinsilbrige Sopranstimme vollkommen in die Klavierstimme zurücksinken lassen ("Der Nußbaum", Schluß), sie kann sie weit öffnen, manchmal zu weit ("Lied der Braut" 1), sie kann sie risikofreudig bis an Grenzen ihrer Möglichkeiten führen, das Brustregister zu dramatischer Verstärkung einsetzend ("Die Hochländer-Witwe") - immer überzeugen Ökonomie und Sicherheit des Einsatzes ihrer Mittel. Paley kann überwältigen, wenn er die samtkernige Stimme vom Atem tragen läßt und den Ausdruck von der Stimme ("Aus den hebräischen Gesängen", "Was will die einsame Träne", "Aus den Östlichen Rosen" und "Zum Schluß"), wenn er die Voce mista mit Verstand bildet ("Du bist wie eine Blume"). Auch wenn er ab und an die Liquide rrrollt, und sich zu jungheldischem ("Freisinn") oder buffoneskem ("Lieder aus dem Schenkenbuch", zweites "Venezianisches Lied") Tremolieren versteigt - Paley wagt spontanen Ausdruck, manchmal mehr, als er stimmlich einzulösen vermag, und geht einen eigenen Weg, schwer vorauszusagen, wohin der ihn noch führen wird.

Martina Gedeck und Sebastian Koch, als observiertes Künstlerpaar aufeinander eingespielt, sprechen die Briefe mit angestrengter Natürlichkeit, die vergessen machen soll, daß es Schauspieler sind, die sie sprechen. Doch wäre die Sorge, daß ein anderes Sprechen sich zwischen die Lieder drängen könnte und deren dramaturgischen Zusammenhang zerreißen, gänzlich unbegründet. Der Pianist Stephan Matthias Lademann erfaßt die Grammatik des Zyklus so sicher wie die der einzelnen Lieder, er hält die dramaturgischen Fäden kunstvoll zusammen, und seiner Begleitung ist es zu danken, daß sich Wort und Musik, Sänger und Sprecher wechselseitig ineinander zu spiegeln vermögen.

Dem alten Wieck jedoch, der verzweifelt mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln die Heirat zu verhindern suchte, bleibt das Wort verweigert. So boshaft er sie auch vorgebracht: ganz von der Hand zu weisen waren die Einwände gegen den Mann ja nicht, der sich seine geliebte Tochter ausgesucht hatte und die sich ihn.


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