© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Wo die Neurosen blühen
Freudomarxismus: Vor fünfzig Jahren starb der Psychoanalytiker und Sexualforscher Wilhelm Reich
Werner Olles

Um die Person Wilhelm Reich ranken sich zahlreiche Mythen. Er war ein Schüler Sigmund Freuds, von dem er sich bald aber im Streit abwandte. Sein Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt lag neben der Sexualwissenschaft in der Untersuchung der Energieflüsse im Körper, in dessen Verspannung und Blockierung er die wichtigste Ursache für psychische Störungen sah. Als "Charakterpanzer" bezeichnete Reich daher den in eine Neurose fehlgeleiteten Energiefluß.

In seinem 1933 erschienenen Buch "Charakteranalyse", einem zentralen Werk seiner psychologischen Arbeit, beschrieb er die Haupttypen solcher Panzerungsarten. Doch war seine Schrift innerhalb der Zunft so umstritten, daß der bereits seit Jahren schwelende Konflikt mit Freud und dessen Libidotherapie nun zum Ausschluß aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung führte.

1897 als Sohn des Gutsbesitzers Léon Reich im galizischen Dobzau geboren, wurde der junge Wilhelm zunächst von Privatlehrern unterrichtet. Als er vierzehn war, beging seine Mutter Selbstmord, der Vater erkrankte an einer schweren Depression und starb 1914 an einer Infektion. Wilhelm Reich ging nach seinem Militärdienst bei der k.u.k. Armee nach Wien und studierte Medizin. Noch als Student wurde er in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen und praktizierte mit 22 Jahren, ohne jemals eine Lehranalyse abgeschlossen zu haben, als Analytiker.

1930 siedelte er nach Berlin über und trat der KPD bei. Drei Jahre später wurde er aus der Partei ausgeschlossen, offiziell weil er seinen Hauptarbeitsschwerpunkt in der "Konsumtion" und nicht in der "Produktion" sah, ein für Kommunisten unverzeihlicher "kleinbürgerlicher" Fehler. Tatsächlich war es jedoch Reichs Buch über "Die Massenpsychologie des Faschismus" (1933), das die Parteiführung in Wut versetzte, weil es eine scharfe Kritik an der kommunistischen Propaganda enthielt.

Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte Reich, der zwar jüdischer Abstammung, aber alles andere als ein gläubiger Jude war, zunächst nach Skandinavien und später in die USA.  Hier führte er seine energetische Forschung fort und beeinflußte zahlreiche Therapeuten wie Alexander Lowen, Fritz Perls und Ronald D. Laing. Seine mikrobiologischen und biophysikalischen Forschungen gipfelten schließlich in der Entdeckung der Orgontherapie und der Erfindung des Orgonakkumulators, einer speziellen Energiekammer, deren wissenschaftlicher Status bis heute jedoch höchst umstritten ist und von der Universiätsphysik abgelehnt wird.

Mitte der fünfziger Jahre geriet Reich aufgrund seiner Forschungen auf diesem Gebiet mit der US-Justiz in Konflikt. Da er ein Verbot seiner Orgonakkumulatoren nicht akzeptierte, wurde er 1956 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Sein Labor wurde zerstört und sämtliche seiner Arbeiten verbrannt.  Am Morgen des 3. November 1957 fand man ihn tot an seiner Zelle auf. "Herzversagen" lautete die offizielle Todesursache, doch hatte der Sechzigjährige bis dahin niemals über Herzbeschwerden geklagt. Seiner Frau hatte er kurz zuvor brieflich mitgeteilt, daß er das Gefängnis vermutlich nicht überleben und sehr wahrscheinlich dort umgebracht würde. Bis heute kursieren die verschiedensten Verschwörungstheorien. So soll Reich auch an dem geheimnisvollen Montauk-Projekt und an Raum-Zeit-Experimenten beteiligt gewesen sein und beim angeblichen Ufo-Absturz in Roswell an Ort und Stelle eigene Untersuchungen angestellt haben.

Die Studentenbewegung von 1968 hat Reich auf ihre Weise vereinnahmt. Systematisch ausgeblendet wurden die Schriften über seine energetisch-kosmischen Forschungen, vor allem aber sein ausgeprägter Antikommunismus, der dazu führte, daß er die Arbeiten aus seiner Frühzeit nun völlig ablehnte. In einem Interview mit dem Sigmund Freud-Institut 1954 faßte Reich - resigniert vom barbarischen Umgang mit seiner Forschung - sein Werk folgerichtig so zusammen: "Ich habe in Wirklichkeit nur eine einzige Entdeckung gemacht: die lebendige Plasmazuckung!"


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