© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Wechselstimmung in Kopenhagen
Dänemark: Mehrheit für Mitte-Rechts-Regierung von Premier Rasmussen unsicher / Volkssozialisten und Neue Allianz im Aufwind
Hans-Joachim von Leesen

Seit dem Sommer lagen vorgezogene Parlamentswahlen in der Luft, aber erst Ende Oktober ist es passiert: Der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen, Chef der rechtsliberalen Partei Venstre, hat für den 13. November - anderthalb Jahre vor Ende der regulären Legislaturperiode - Wahlen zum Folketing angesetzt. Flugs haben die zahlreichen Parteien ihre seit langem fertigen Wahlpakete herausgeholt.

Der bisherige linke Oppositionsblock aus Linksliberalen (Radikale Venstre), Sozialdemokraten (SD) und Sozialistischer Volkspartei (SF) hofft, Rasmussens Mitte-Rechts-Kabinett (das nur regieren kann, weil es durch die rechtspopulistische Dänische Volkspartei/DF toleriert wird) ablösen zu können. Rasmussen hingegen rechnet mit einer günstigen Stimmung für seine Regierung, Der 54jährige meint sich sogar berechtigte Hoffnung machen zu können, nach dieser Wahl ohne die ungeliebte DF der energischen Pia Kjærsgaard auszukommen - dafür müßten seine Venstre und die Konservative Volkspartei (KF) gemeinsam die 90 Mandate erringen, die zur absoluten Mehrheit notwendig sind.

Die positiven Ergebnisse der schon seit sechs Jahren amtierenden Minderheitsregierung müßten die dänischen Wähler eigentlich veranlassen, ihr erneut die Stimme zu geben. Die Wirtschaft brummt, mit nur 3,3 Prozent Arbeitslosen hat Dänemark de facto Vollbeschäftigung. Im letzten Jahr erwirtschaftete die Regierung einen Haushaltsüberschuß. Die unter den linksliberalen Vorgängerregierungen wild wuchernde Einwanderung mit der großzügigen Aufnahme von Asylbewerbern ist gestoppt und ins Gegenteil verkehrt worden. Die Regierung läßt Einwanderung im Prinzip nur noch zu, wenn sie Dänemark nützt (JF 31/07).

Die Wählerbefragungen sagen dennoch einen Mitte-Links-Rutsch und schwierige Mehrheitsverhältnisse voraus: Die bisherigen Regierungsparteien werden ebenso wie SD und RV Stimmen verlieren. Sie alle werden voraussichtlich Stimmen an die grün-linke SF unter Villy Søvndal und die wirtschaftsliberale Neue Allianz (Ny Alliance/NA) unter dem Vorsitz von Naser Khader abgeben müssen. Khader, ein 1963 in Damaskus geborener "Neu-Däne", saß seit 2001 für die RV im Folketing. Seit Mai dieses Jahres repräsentiert er die NA im Parlament.

Zunächst kündigte die NA an, Rasmussen in seiner "strammen" Einwanderungspolitik zu unterstützen. Inzwischen will man aber auch eine "menschliche" Ausländerpolitik anstreben. Außer daß sie - wie die Regierungsparteien - für eine Senkung des Höchststeuersatzes auf 40 Prozent (bisheriger Höchstsatz 63 Prozent) eintritt, hat die NA kein eindeutiges Profil. So umwerben sowohl der Links- als auch der Rechtsblock die neue Partei. Die SD hat Khader sogar schon einen Ministerposten angeboten.

Ansonsten versprechen - angesichts der vollen Staatskassen - fast alle Parteien den Wählern "mehr Wohlfahrt". Und man kann davon ausgehen, daß vielen Dänen ein umfassender Sozialstaat wichtiger ist als eine Senkung ihrer Steuerlast; darin sind sie ihren skandinavischen Nachbarn ähnlich.

So ist denn auch offen, wie sich versprochene Steuersenkungen aufs Wählerverhalten auswirken. Die Gewerkschaften verlangen, daß für die Arbeitnehmer generell  eine siebte Urlaubswoche durchgesetzt wird. Die Rechtsliberalen versprechen sogar unter dem Schlagwort "Wähle Venstre und lebe drei Jahre länger!", die Lebenserwartungen der Dänen durch eine verbesserte Gesundheitspolitik zu verlängern.

Die im politischen Diskurs rechtsaußen stehende DF (im EU-Parlament sitzt man mit der italienischen Lega Nord und der sozialkonservativen PiS des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński in der UEN-Fraktion) führt ihren Wahlkampf erneut vor allem für "dänische Werte" - sprich: eine weiterhin "stramme" Einwanderungspolitik.

Als Rasmussen kürzlich nicht anerkannte irakische Asylbewerberfamilien, die zusammen mit ihren Kindern in Asylheimen untergebracht waren, erlaubte, bis zur Abschiebung Unterkunft in ländlichen Gegenden zu suchen, traf er auf scharfen Widerspruch der DF. Die DF befürchtet, daß die Regierung mit kleinen Schritten wieder zur großzügigen Einwanderungspolitik zurückkehren könnte. Allerdings hat sich selbst die SD zur "strammen" Einwanderungspolitik bekannt. Doch trauen ihr viele Dänen in dieser Beziehung nicht, wenn sie erst einmal mit den "Einwanderungsparteien" SF und RV in der Regierung sitzt.

Wenn es zwischen Rechts und Links zu einem Patt kommen sollte, dann bleibt nur ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten übrig, was die Dänen aber nicht als ungewöhnlich empfinden würden. Es könnte aber auch die NA das Zünglein an der Waage werden.

Daß die beiden bisherigen Regierungsparteien gemeinsam eine absolute Mehrheit erringen, scheint angesichts der Umfragewerte ausgeschlossen. Die Mehrzahl der Meinungsforscher sieht sogar die bisherige Abstimmungsmehrheit aus Venstre, KF und DF wackeln. Daß Kjærsgaards teilweise auch sozialpopulistische DF ein "Wirtschaftskabinett" aus Venstre, KF und NA toleriert, ist unwahrscheinlich. Den Christdemokraten und der postkommunistischen Einheitsliste werden nur geringe Chancen auf Mandate eingeräumt. Eine reine Linksregierung könnte hingegen am Gegensatz zwischen SF und "neoliberaler" NA scheitern. Denn die Volkssozialisten wollen den "Neoliberalismus" und die "Beherrschung der Welt durch das Kapital" bekämpfen.

Auf die deutsche Volksgruppe im südlichen Jütland (dem ehemals preußischen Nordschleswig) dürfte der Wahlausgang keine gravierenden Folgen haben. Sie ist inzwischen so integriert, daß - bis auf gelegentlich skurrile Äußerungen aus den Reihen der DF - alle Parteien das harmonische Verhältnis zu den Deutschen betonen.

Am 7. November haben sich die nordschleswigschen Kandidaten aller Parteien auf einer Veranstaltung des Bundes deutscher Nordschleswiger vorgestellt. Da die Partei der deutschen Minderheit, die Schleswigsche Partei, zum Folketing nicht kandidiert (sie hat keine Aussicht, die Zwei-Prozent-Sperrklausel zu überwinden), sind die etwa 20.000 Stimmen der Deutschen bei den dänischen Parteien heiß begehrt.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen