© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Nur Innovationen schützen vor Nachahmern
Interview: "Bayern Innovativ"-Chef Josef Nassauer über das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Professor Nassauer, die Gesellschaft "Bayern Innovativ" will die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft verbessern. Mit staatlicher Unterstützung sollen speziell "zukunftsorientierte Technologien" gefördert werden. "Das ist Anmaßung von Wissen", argumentieren wirtschaftsliberale Ökonomen unter Berufung auf den staatsskeptischen Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek. Warum setzt der Freistaat dennoch auf öffentliche Hilfe?

Nassauer: Ich widerspreche da eindeutig Hayek! Aus profunden Netzwerkbeziehungen kann man Wissen zur Verfügung stellen, das einzelnen Unternehmen zum Teil nicht verfügbar ist. Zudem gehen wir nicht in die Firmen wie ein Beratungsunternehmen, sondern wir haben für die Firmen die "Straßen" und Marktplätze als Infrastruktur für eine kooperative Zusammenarbeit geschaffen.

Gibt es anderswo ähnliche Initiativen?

Nassauer: Ähnliche ja, aber diese arbeiten häufig wie ausgelagerte Administrationen einzelner Ministerien. Wir sind dagegen ein interdisziplinäres Team und setzen uns mit der Wirtschaft für neue Ideen zusammen, wobei wir uns jeweils auf ein aktuelles Thema bzw. Innovationsfeld konzentrieren. Aufgrund des internationalen Wettbewerbs pflegen wir dabei Kontakte, die über Bayern hinausgehen. Dieser Ansatz ist anders als zum Beispiel jener der Steinbeis-Gesellschaft in Baden Württemberg, die sich primär auf eine projektorientierte Zusammenarbeit zwischen Fachhochschulen und der Wirtschaft konzentriert.

Die mittelständische Industrie ist sehr heterogen strukturiert. Welche Erfolge und Mißerfolge hatten sie?

Nassauer: Unsere Philosophie war immer die eines Bergsteigers: lieber erst ein kleiner, aber sicherer Schritt, bevor der nächste folgt! Nicht besonders Fuß fassen konnten wir zunächst in der IT-Branche. Inzwischen sind wir aber in all den Bereichen der Informationstechnologie dabei, mit der Systeme und Anlagen betrieben werden, Stichwort "Elektronik und Mechatronik". Anfangs waren wir auch in der Bauwirtschaft aktiv. Wir mußten aber sehr schnell erkennen, daß es sich hier um ein reines Projektgeschäft handelt, das nicht unserem Profil entspricht. Bei uns liegt die Hauptaufgabe im Bereich der produzierenden Industrie mit der kontinuierlichen Verfolgung von Technologie- und Marktentwicklung. Hierfür haben wir zehn Netzwerke aufgebaut, in denen wir mit unterschiedlichen Dienstleistungen über die Grenzen hinweg tätig sind. In fünf dieser Netzwerke haben wir zudem Cluster-Aktivitäten mit stark regionalem Bezug.

Welche Aufgaben haben Sie sich für die nächste Zeit gestellt?

Nassauer: Keine weiteren neuen Geschäftsfelder, in den bestehenden stecken noch enorme Potentiale für Innovationen! Als Beispiel möchte ich den Leichtbau, die Weiterentwicklung der Antriebstechnik im Automobilsektor oder die Nutzung neuen biotechnologischen Wissens für hochspezifische Medikamente nennen.

Wie sehen Sie die Zukunft angesichts der Globalisierung und der Entwicklung in Europa, etwa der EU-Erweiterung? Welche Chancen und Risiken sehen Sie für den deutschen Mittelstand?

Nassauer: Risiken sind immer zugleich Chancen, denn es gibt keine Barriere mehr bezüglich Verfügbarkeit von Wissen! Deshalb gehören beide Seiten zusammen. Ein Beispiel: Ein global tätiger Dichtungsspezialist ist auf dem Weg zu einer neuen Strategie, weil konventionelle Hydrauliksysteme rückläufig sind. Diese neue Strategie, rechtzeitig geplant, eröffnet auch neue Zukunftschancen. Hierfür haben wir unter anderem den Kongreß "Tomorrow+" konzipiert, eine Plattform, um zukünftige Technologien kennenzulernen und abzuschätzen, ob diese für uns wichtig sind oder nicht. Eine große Chance für Unternehmen besteht zudem darin, die produktionsbezogenen Dienstleistungen auszubauen und damit die Kundenbeziehungen nachhaltig zu stärken.

Immer mehr Gesetze und Regelungen kommen aus Brüssel. Ist die Bürokratie der EU-Administration hinderlich?

Nassauer: Unsere Arbeit wurde dadurch nicht erschwert, aber es erschwert vielfach die Arbeit in den Firmen.

Die Märkte Indien und China bieten allein durch ihre Bevölkerungszahl mittel- und langfristig großes Potential. Doch auch Länder wie Rußland und der Iran oder die arabische Welt bieten wirtschaft-liche Chancen. Entwickeln Sie dort - trotz der politischen Probleme - ebenfalls Initiativen?

Nassauer: In China und Indien ja, in Rußland nur in Moskau und St. Petersburg mit der Nähe zu den dortigen wissenschaftlichen Institutionen. Die arabische Welt vergibt aufgrund ihres Energiereichtums meist große Projekte, die nicht unserem Aufgabenprofil entsprechen. Im Iran sind wir nicht tätig.

Angela Merkel hat kürzlich den Dalai Lama im Bundeskanzleramt empfangen. Seither herrscht Eiszeit zwischen Berlin und Peking. Der frühere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat hingegen immer versucht, unabhängig von der politischen Großwetterlage wirtschaftliche Chancen zu ergreifen. Tangieren solche politischen Vorgaben Ihre Arbeit?

Nassauer: Eine politische Eiszeit läuft nicht bis in die bilateralen Beziehungen hinein. Wir stellen fest, daß die einzelnen unternehmerischen Handlungen davon nicht betroffen sind. Unsere Schwester, die Bayern International GmbH, ermöglicht beispielsweise 30 bayerischen Unternehmen, Ende November nach China zu fliegen, um dort gezielt Kontakte zu knüpfen. Das bilaterale Alltagsgeschäft wird bislang nicht tangiert.

Sie helfen bayerischen Mittelständlern, in China Fuß zu fassen. Andererseits werden weltweit 200 Milliarden Euro für Werksspionage ausgegeben. Auch einige bayerische Unternehmen haben sich deshalb aus China zumindest teilweise zurückgezogen. Was raten Sie den Unternehmen?

Nassauer: Jeder Markteintritt in ein anderes Land bedarf einer guten Vorbereitung. Das gilt für China genauso wie für Brasilien oder andere Länder. Zu dieser guten Vorbereitung gehört interkulturelles Verständnis, wozu die Unternehmen einen erfahrenen Berater konsultieren sollten. Entscheidend für den Markteintritt ist eine klare Zielsetzung und fundierte Information über Partner und Rahmenbedingungen. Schutzmaßnahmen gegen Nachahmung werden nur schwer greifen. Das zeigen vielfältige Beispiele kopierter Produkte. Der beste Schutz ist, mit immer wieder neuen Innovationen aufzuwarten. Die "Technologie-Kultur" in China ist noch stärker darauf ausgerichtet, Bestehendes nachzuahmen, um schnell aufzuholen, und weniger darauf ausgerichtet, vollkommen Neues zu schaffen. Zur Innovationskraft westlicher Technologie aufzuschließen, dürfte noch etwas dauern. Im übrigen halte ich Entwicklungen im indischen Markt langfristig für interessanter als im chinesischen.

Nobelpreise gingen in diesem Jahr an die Deutschen Gerhard Ertl für Chemie und an Peter Grünberg für Physik. Beide haben wie Sie das weltweit angesehene deutsche Universitätsdiplom gemacht. Die EU hat hingegen durch den "Bologna-Prozeß" das US-Bildungssystem mit Bachelor und Master adaptiert. Wie sehen Sie diese Problematik?

Nassauer: Im Zuge der Globalisierung ist es positiv zu sehen, Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu haben. Letztlich sind entsprechende Lehrpläne entscheidend, um vergleichbare Qualitätsstandards zu gewährleisten. Die Ausbildung in Ingenieur- und Naturwissenschaften in Deutschland ist international anerkannt. Eine Nivellierung könnte grundsätzlich etwas zu Lasten einer profunden Ausbildung gehen, vor allem im Hinblick auf die Verkürzung von Studienzeiten, die in der Diskussion häufig in den Vordergrund tritt. Entscheidend ist, daß die gleiche Fachkompetenz - aber in kürzerer Zeit - vermittelt wird und die Unternehmen jüngere Absolventen einstellen und angemessene Aufgaben übertragen.

Die Genforschung steht in Deutschland unter den weltweit schärfsten Restriktionen. Was halten Sie als Lebensmittelverfahrenstechniker davon? Sollte Deutschland hier "mehr Freiheit" wagen?

Nassauer: Insgesamt beeinträchtigt die Einstellung zur Gentechnik auch uns in manchen Bereichen. Experten sind sich einig, daß die Pflanzen-Gentechnik unerläßlich ist, um einerseits weltweit eine ausreichende Ernährung sicherzustellen und andererseits auch nachwachsende Rohstoffe für alternative Energie zu erzeugen. Weltweit werden heute schon 100 Millionen Hektar mit gentechnischen Pflanzen bewirtschaftet, vorneweg in den USA und in China. In Deutschland sind es 500 Hektar Versuchsfelder. Die Meinungsbildung hierzu wurde bei uns anderen Leuten überlassen, deshalb ist es schwer, sie auf Fakten zurückzubringen. Bei der Stammzellenforschung müssen allerdings hohe ethische Ansprüche gestellt werden.

 

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