© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Hexenjagd in den Medien
Medienanalyse: Was darf man noch sagen? / Auszug aus dem Buch "Der Fall Eva Herman"
Arne Hoffmann

Die NS-Familienpolitik hinterließ ein kulturelles Problem: Die Hausfrauenehe und - noch allgemeiner - die Anerkennung der mütterlichen (Arbeits-) Leistung galt im Nachkriegsdeutschland und vor allem nach 1968 für viele kritische Intellektuelle als ein Produkt der faschistischen Mutterideologie. Das war historisch falsch und theoretisch folgenreich. Denn 'Mütterlichkeit' stand nun unter politischem Verdacht."

Diese Sätze treffen ziemlich exakt den Inhalt der hoch umstrittenen Aussage von Eva Herman - zunächst von ihr grammatikalisch so verschwurbelt ausgedrückt, daß eine von 30 Pressevertretern Herman mißverstand, aber danach mehrfach von ihr selbst präzisiert. Wie David Schah zutreffend schreibt, ist es sogar verblüffend, daß viele Zeitgenossen Probleme damit hatten, den Sinn von Hermans Aussage richtig zu verstehen. Allerdings stammen die oben zitierten beiden Sätze nicht von Eva Herman - sondern aus Michael Opielkas Aufsatz "Familie und Politik. Eine deutsche Geschichte", erschienen in der Reihe "Aus Politik und Zeitgeschichte", herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, einer Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums. Was Eva Herman mit ihren Äußerungen deutlich machen möchte, stimmt also völlig überein mit dem Informationsmaterial, das unsere Bundesregierung herausgibt. Wie konnte es geschehen, daß sich daraus ein enormer Skandal entwickelte, in dessen Folge Eva Herman mehrfach als "geistig verwirrt", wenn nicht "braun" gebrandmarkt wurde, nur weil eine einzelne Journalistin sie mißverstanden hatte? (...)

Starke Auswirkungen auf die höchst einseitige Ausrichtung der journalistischen Bewertungen im Fall Herman dürfte dabei der Umstand haben, daß Journalisten bei weitem keine so heterogene Gruppe darstellen wie der Rest der Bevölkerung. Statt dessen neigen einer repräsentativen Studie zufolge rund 36 Prozent der Journalisten den Grünen zu. Rechnet man diejenigen heraus, die keine Parteienpräferenz haben, käme diese Partei sogar fast auf eine absolute Mehrheit. Das Weltbild der Medien ist also an sich schon in einer Weise ausgerichtet, daß jemand wie Eva Herman so gar nicht dort hineinpassen will.

Insofern genügte nur ein winziger Fehltritt dieser unangepaßten Person, und alle stürzten sich darauf. "Die Medien beißen sich an einem Detail fest", erklärt der Spiegel-Autor Jürgen Leinemann zu der Frage, wie Medienhysterien entstehen, "und lassen den Gesamtplan außer acht. Das bringen sie dann in überspitzter Form an die Öffentlichkeit. Es gibt eine ungesunde und bedenkliche Daueraufregung der Medien."

Für diese Dauerempörung hat der Philosoph Peter Sloterdijk den Begriff "Erregungsgemeinschaft" geprägt. Dabei handele es sich um "keine bewußte, symbolisch verfaßte, diskutierende Gemeinschaft, sondern um eine Menge von Leidenden, Erregten, Infizierten". Sloterdijk: "Was ich da vortrage, ist eine milde Faschismustheorie. Ich beschreibe die Faschismen des Alltags, die sich in flachen Wellen abspielen. Tag für Tag versuchen Journalisten, neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, daß in jeder modernen Nation jeden Tag 20 bis 30 Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert."

Daß sich gerade der jüdische Historiker Michael Wolffsohn zu einem Verteidiger Hermans aufschwang, ist kein Zufall. Der hatte nämlich selbst schon seine Erfahrungen mit dieser Erregungsgemeinschaft gemacht, als quer durch alle Zeitungen gemeldet wurde, er sei ein Anhänger der Folter. Kepplinger stellt richtig: "Wolffsohn hatte im Gegensatz zu den Unterstellungen seiner Kritiker keineswegs das Foltern von Terroristen gerechtfertigt, sondern nach mehrfach drängendem Nachfragen einer Fernsehmoderatorin ihre Anwendung unter bestimmten Bedingungen nicht völlig ausgeschlossen. Die Richtigstellungen Wolffsohns verstärkten jedoch die zum Teil höhnischen Angriffe auf ihn oder liefen bestenfalls ins Leere. 'Seine eindeutige Ablehnung der Folter in irakischen Gefängnissen, die dem hundertfach zitierten Satz vorausging, blieb', wie Monika Maron in einem kritischen Essay feststellte, genauso 'unerwähnt wie der gedankliche Kontext, der ihn überhaupt verständlich gemacht hätte'." Wenn bei Wolffsohn die Herman-Debatte ungute Erinnerungen ausgelöst hätte, wäre das keine Überraschung.

Peter Sloterdijk könnte das ähnlich gehen. Journalisten hatten im Jahr 1999 seine Rede "Regeln für den Menschenpark" scharf angegriffen, in der er die Frage stellte, ob man die angestrebte Vervollkommnung des Menschen statt durch Erziehung und Bildung oder bestimmte ethische Modelle besser durch "Selektion", also gezielte Züchtung erreichen könne. Rückblickend berichtet Sloterdijk: "Die Affäre anläßlich der Menschenpark-Rede verlief vor allem in ihrer Anfangsphase wie ein Wettbewerb zur Ermittlung der unfreiesten von allen möglichen Deutungen. Je näher man an den Kern der deutschen Unfreiheit herankommt, desto mehr nehmen die zwanghaften Assoziationen zu - bis zuletzt nur noch das Nazi-Eine übrigbleibt." Auch diese Erkenntnis Sloterdijks läßt sich hervorragend auf die Kontroverse um Eva Herman anwenden. Ihr geht es eigentlich darum, daß Frauen nicht durch gesellschaftlichen oder finanziellen Druck zur Berufstätigkeit gezwungen werden, sondern statt dessen beispielsweise ein Hausfrauengehalt oder höhere Zuschüsse für die Kinderbetreuung erhalten. Dieses Plädoyer für mehr Wahlfreiheit wurde in den Medien immer zwanghafter in Richtung Unfreiheit ausgedeutet. Hieß es anfangs noch, Herman wolle zurück in die fünfziger Jahre und Frauen "an den heimischen Herd zwingen", dauerte es nicht sehr lange, und Nazideutschland war als riesige Projektionsfläche für alle deutschen Ängste erreicht. (...)

Das offensichtliche Ziel der Medienkampagne gegen Herman besteht (...) darin, ihr ein negatives Etikett anzuhängen und sie dadurch ihres politischen Einflusses zu berauben. Hier werden den Empfängern dieser Botschaften sogar gleich mehrere negative Interpretationen angeboten ("Ist Eva Herman braun oder nur doof?"), aus denen er sich eine aussuchen kann, die aber alle gleichermaßen vernichtend wären. Wenn man sich die Entwicklung der Debatte anschaut, wird erkennbar, daß es trotz der anfänglichen Vormachtstellung der Anschuldigung "latent oder offensichtlich rechtsradikales Gedankengut" letzten Endes der Dummheits-Vorwurf ist, dessen Durchsetzung wahrscheinlicher ist. Eva Herman wird in mehreren Artikeln gegen den Vorwurf in Schutz genommen, den Nazis nahezustehen - gegen den Vorwurf, intellektuell minderbemittelt zu sein, geschieht das nicht. Nicht wenige journalistische Verteidiger Hermans räumen ein, diese sei zugegebenermaßen "nicht sehr helle". Fast scheint sich daraus schon ein journalistischer Konsens zu etablieren. Generell kommt man sich bei diesem Streit ein wenig vor wie auf einem Basar: "Also in Ordnung, ein Nazi ist sie nicht, aber laßt uns doch wenigstens darauf einigen, daß es sich bei ihr um ein Dummchen handelt." Letzterer Vorwurf ist allerdings kaum weniger herabsetzend und schädlich für den politischen Gegner.

Was Eva Herman angeht, scheint sich dieser Vorwurf zumindest in Teilen der Bevölkerung durchzusetzen. Als ich testhalber Bekannten von mir das Stichwort "Eva Herman" als Thema meines aktuellen Buches genannt habe, reagierte etwa die Hälfte von ihnen mit der Meinung, Herman sei wohl keine große Leuchte. (Die andere Hälfte reagierte mit wilden sexuellen Fantasien, die hier nicht weiter erörtert werden sollen.) Objektiv betrachtet liegt der Vorwurf, Eva Herman sei herausragend dämlich, allerdings keineswegs so auf der Hand, wie viele momentan tun oder glauben. Herman mag nicht die bedeutendste Philosophin der Zeitgeschichte sein, aber vom intellektuellen Anspruch her bewegen sich ihre Texte keineswegs unterhalb des Niveaus derer von vielen ihrer Kollegen, die keineswegs verunglimpft werden, darunter nicht wenige Herman-Kritiker. Es überrascht auch, daß eine Frau als geistig minderbemittelt gelten soll, der es gelungen ist, eine so breite und so leidenschaftlich geführte geschlechterpolitische Debatte anzustoßen wie beispielsweise Alice Schwarzer seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Hier ist es den Wortführern der Kampagne gegen Eva Herman gelungen, die von ihnen angestrebte Etikettierung mindestens teilweise durchzusetzen. Es ist interessant, sich einmal über die Gründe für diesen Erfolg klar zu werden.

Ein erster Grund liegt auf der Hand, nämlich, daß es sich um einen Selbstläufer handelte. Viele Menschen sind schnell dabei, Menschen, die andere Auffassungen vertreten, als "dumm" abzustempeln. Die meisten Journalisten aber bewegen sich (siehe oben) eher im politisch linken als im konservativen Lager. Es lag nahe, daß immer mehr von ihnen Herman ein "krauses Denken" vorwarfen und andere dabei einstiegen, da dies ja eine ungefährliche Mehrheitsmeinung darzustellen schien. "Kraus" ist Hermans Denken objektiv betrachtet jedoch keineswegs: Es ist völlig klar, logisch in sich geschlossen und stimmt mit den Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung ebenso überein wie mit der christlichen Lehre. "Kraus" wird Hermans Denken nur dann, wenn man es in den Rahmen des Weltbildes ihrer Kritiker einpassen will. Wenn ich von der Grundannahme ausgehe, daß Frauen in der klassischen Rollenverteilung der Geschlechter unterdrückt waren (wofür es starke Gegenargumente gibt, wenn man etwa an Martin van Crevelds "Das bevorzugte Geschlecht" denkt), dann muß eine Frau, die freiwillig in diese Unterdrückung zurück möchte, natürlich "wirr im Kopf" sein. Tatsächlich aber hat Eva Herman nur eine andere Wahrnehmung als ihre Kritiker.

Ein zweiter Grund, so albern es klingt, besteht zweifellos in Hermans Haarfarbe. Wir wissen von Karikaturen, den besten wie den schlimmsten (etwa denen des Stürmers), daß man Menschen am besten ausgrenzen oder verächtlich machen kann, wenn es gelingt, deren Verunglimpfung an ihrem Aussehen festzumachen. Das funktioniert noch heute, wenn man etwa Kohl als "Birne" oder Scharping als "Ziege" bezeichnet. Besonders beleibte Menschen bieten sich für Herabsetzungen ("Fettsack" etc.) ebenso an wie besonders schlanke (so wurde Martin Hohmann von Bild als "der hagere Hetzer" beleidigt). Eva Herman als überaus attraktive Frau mit einer ansprechenden Figur stellte hier ein gewisses Problem dar. Das einzige, was ihren Gegnern hier übrigblieb, war offenbar, sie aufgrund ihrer Haarfarbe zu denunzieren und zu behaupten, daß sie die leibhaftige Verkörperung jener Blondinenwitze sei, die in den neunziger Jahren so beliebt waren.

Ein weiterer Angriffspunkt für Hermans Kritiker scheint darin zu bestehen, daß Herman sehr gläubig ist, und zwar nicht nur "privat", wie viele andere, sondern sehr offensiv. Viele andere, die sich "aufgeklärt" dünken, setzen Gläubigkeit allerdings nicht erst seit Richard Dawkins' "Gotteswahn" rhetorisch gerne mal mit der geistigen Verfassung von Kindern gleich, die an den Weihnachtsmann glauben. Auch hier also bot sich die Möglichkeit einer Herabsetzung an.

Zuletzt schließlich warb Eva Herman dafür, die Rolle der Hausfrau und Mutter auszufüllen. Allerdings schilderte schon 1999 Dr. Karin Jäckel in ihrem Buch "Die Frau an seiner Seite", wie im Lauf der Jahrzehnte nicht-berufstätige Frauen immer mehr herabgewürdigt wurden. Das begann schon in den sechziger Jahren, wie Jäckel ausführt: "Frauen, die ihre Kinder selbst erziehen und versorgen möchten, anstatt nach der Babypause in den Beruf zurückzukehren, werden als 'Klammer-Mütter' verschrien, die unfähig seien, ihr Kind loszulassen. Spöttisch als 'das Mutti' zum unerotischen Neutrum erklärt, stehen sie ganz unten auf der Wertskala weiblicher Qualitäten." (...)

Wenn man sich das alles vor Augen führt wird deutlich, daß die Etikettierung der "Dummheit" vor allem als Zuschreibung durch Leute entsteht, die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben: Frauen wurden als reine Hausfrauen immer nur unterdrückt und sind berufstätigen Frauen unterlegen, die Inhalte des christlichen Glaubens sind selbstverständlich Unsinn und so weiter. Dabei kommen die wenigsten dieser Urteile durch eine ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung mit diesen Themen zustande, sondern überwiegend dadurch, daß man einfach die Ansichten nachplappert, die in der Gesellschaft gerade sehr beliebt sind und die man deshalb als Binsenweisheiten erachtet.

Letzten Endes trifft das auch auf eine weitere Negativ-Etikettierung Hermans zu, nämlich den Vorwurf, ihre Haltung sei rückschrittlich und reaktionär, Herman sei eine "Ewiggestrige". Dieser Vorwurf macht nur dann Sinn, wenn ich bewußt oder unbewußt ein historisches Verständnis anlege, das einem Geschichtspfeil gleicht: aus der Vergangenheit (klassische Rollenverteilung) hin in die Zukunft (Männer wie Frauen sind gleichermaßen in Beruf und Familie zu Hause). Das ist dasselbe Denken, das vermutlich die Befürworter des Sozialismus vertraten, wenn sie auf den Kapitalismus zurücksahen: ein scheinbar überwundenes, reaktionäres, rückschrittliches System. Tatsächlich hat sich aber, zumindest aus heutiger Sicht, der Sozialismus nur als kurzes Zwischenspiel herausgestellt, als jahrzehntelanges Experiment, das nicht funktionierte. Mit der Emanzipation und dem Feminismus sieht es in den Augen von Eva Herman und ihren Anhängern nicht anders aus.

Bei dem Text handelt es sich um einen mit freundlicher Genehmigung gedruckten Auszug aus dem soeben erschienenen Buch "Der Fall Eva Herman. Hexenjagd in den Medien" von Arne Hoffmann, Verlag Lichtschlag Medien und Werbung, Grevenbroich 2007, kartoniert, 192 Seiten, 18,90 Euro


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