© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Piraten im Stadion
Politische Zeichenlehre XXXVI: Adler, Fasces, großes X
Karlheinz Weissmann

Gewalttätige Fußballfans halten Italien in Atem: Auslöser der schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei ist der Tod eines Fans von Lazio Rom, der am vergangenen Sonntag bei einem Polizeieinsatz an einer Autobahnraststätte in der Toskana von einem Beamten erschossen worden war. Italienische Medien zitieren einen Augenzeugen des Vorfalls, der gesehen haben will, daß der Polizist "die Pistole mit beiden Händen umfaßt, die Arme ausgestreckt und gezielt geschossen" habe. Nun wird gegen den Beamten ermittelt.

Die Härte des staatlichen Vorgehens gegen Fußballfans erklärt sich aus den üblen Erfahrungen mit den italienischen "Ultras", jenen Gewaltbereiten, die seit den achtziger Jahren die italienischen Fan-Szene prägen. Dazu gehören auch Anhänger von Lazio Rom, die sich selbst "Irriducibili" - die Unbeugsamen - nennen, ein Begriff, der außerdem als Hinweis auf ihre politische Gesinnung verstanden werden kann. Denn diese  Fußballverrückten stehen im Ruch, faschistisch zu sein, was wiederum mit der - wirklichen oder vermeintlichen - Ausrichtung von Lazio zusammenhängt.

Lazio Rom gilt traditionell als rechter Fußballverein. Sein früherer Mannschaftskapitän Paolo Di Canio war nicht nur berüchtigt wegen des eintätowierten Wortes Dux (für den Duce Mussolini) am Oberarm, sondern auch, weil er im Stadion mit erhobenem Arm den römischen Gruß entboten hatte. Für die deutschen Beobachter sind sonst allerdings nur Allerweltssymbole wie Runen oder Hakenkreuz, antisemitische oder rassistische oder sonstige Haßparolen (ACAP - All cops are bastards!) interpretierbar.

Was ihnen entgeht, ist die Nutzung eines spezifischen Codes durch die Irriducibili, der sich konkret auf die politischen Embleme der faschistischen Spätzeit bezieht. Die Repubblica Sociale Italiana (RSI) - die Italienische Sozialrepublik - war bekanntermaßen nach dem Sturz Mussolinis als Regierungschef und Parteivorsitzender 1943 und seiner anschließenden Befreiung und Wiedereinsetzung unter deutschem Schutz gegründet worden. Es handelte sich um eine seltsame Mischung aus Operettenstaat und ideologischem Radikalismus. Von allen Rücksichtnahmen befreit, griff Mussolini auf seine revolutionären Anfänge zurück, erklärte die Monarchie für abgeschafft und den Faschismus zum Erben der sozialistischen Tradition.

Symbolisch kam das darin zum Ausdruck, daß er sich vom bisherigen Kompromißcharakter der Staatssymbolik löste und nur noch die Fasces  - das Rutenbündel aus dem faschistischen Parteiemblem - als eine Art Wappen führte. Es wurde auch eine neue Kriegsflagge verwendet, bestehend aus der italienischen Trikolore Grün-Weiß-Rot mit einem Adler, die Fasces in den Fängen, auf dem Mittelfeld; ein Symbol, das als Stangenbekrönung auf vielen faschistischen Fahnen der zwanziger Jahre angebracht gewesen war.

Regelmäßig sieht man diese Kriegsflagge heute über dem Lazio-Block wehen, ähnlich häufig treten nur noch drei andere Symbole auf: Überdimensionale "M" für Mussolini, das Konterfei des Duce in allen möglichen Varianten sowie das große X mit dem Totenkopf. Auch der spielte eine Rolle in der faschistischen Zeichensprache. Denn er war schon von italienischen Eliteeinheiten während des Ersten Weltkriegs - den Arditi -  verwendet und von ihren Veteranen in die Kampfbünde mitgenommen worden. Oft sieht man ihn bei den Fußballfans aber auf Abzeichen oder Schals mit einer Rose zwischen den Zähnen vor einem großen X.

Das Piratenhafte des Emblems ist kein Zufall, denn es handelte sich ursprünglich um das Abzeichen der Decima Flottiglia Mas - der X. Leichten Flottille der königlichen Marine -, deren Kommandant Junio Valerio Fürst Borghese sich geweigert hatte, den italienischen Waffenstillstand mit den Alliierten zu akzeptieren und den Kampf an deutscher Seite fortsetzte. Der Verband, der eigentlich Kampfschwimmer ausbildete, wurde nach 1943 vor allem im Partisanenkrieg eingesetzt. Borghese war nicht nur einer der wichtigsten Militärs der kurzlebigen RSI, sondern auch nach 1945 eine der Schlüsselfiguren des Neofaschismus; auf ihn geht der letzte Versuch eines  kläglich gescheiterten faschistischen Putsches im Jahr 1970 zurück.       

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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