© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Angst und Schrecken in der Provinz
Meister der Milieuzeichnungen: Zum hundertsten Geburtstag des französischen Filmregisseurs Henri-Georges Clouzot
Werner Olles

Das Ende des Zweiten Weltkriegs begann für Henri-George Clouzot nicht gerade verheißungsvoll. Wegen seiner angeblich zu engen Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzungsbehörden erhielt er ein vorläufiges Berufsverbot als Regisseur. Tatsächlich hatte er jedoch in dieser Zeit lediglich deutsche Filme in französischen Fassungen redigiert und seine ersten eigenen Filme inszeniert. Glücklicherweise wurde das Berufsverbot bereits nach zwei Jahren wieder aufgehoben und Clouzot von dem Vorwurf der Kollaboration freigesprochen. So konnte er 1947 "Quai des Orfèvres" (Unter falschem Verdacht) drehen, einen düsteren, aber dennoch glänzenden  Kriminalfilm um einen Polizeiinspektor, der den Mord an einem alten, reichen Man aufklären soll.

 Die Filmkarriere des am 20. November 1907 in Niort geborenen Clouzot begann nach seinem Studium der Journalistik. Nachdem er in diesem Beruf nicht recht Fuß fassen konnte, nahm er eine Stellung als Sekretär eines kleinen Filmstudios an und schrieb nebenbei zunächst Drehbücher für Theaterstücke und Filme anderer Regisseure. Mit "L'Assassin Habite Au 21" (Der Mörder wohnt in Nr. 21) feierte er 1942 sein Debüt als Regisseur. Der Film um einen Kriminalkommissar, der eine Mordserie in Montmartre aufzuklären hat und in der Verkleidung eines Priesters schließlich auf die verblüffende Lösung stößt, war zugleich der Start der berühmten Schwarzen Serie französischer Gangster- und Polizeifilme.

Bereits mit seiner nächsten Inszenierung erreichte er jene künstlerische Prägnanz, die fortan für sein Schaffen als Regisseur charakteristisch war. "Le Corbeau" (Der Rabe, 1943) orientierte sich an einem authentischen Fall, der sich während der deutschen Besatzung ereignete: In einer französischen Kleinstadt zirkulieren anonyme Briefe mit der Unterschrift "Der Rabe". Hinter dem Absender vermutet man einen betrogenen Ehemann, der auf diese Weise die Einwohner gegen den ortsfremden Arzt Dr. Germain aufhetzen will, da dieser verdächtigt wird, ein Verhältnis mit der Frau des Kollegen Dr. Vorzet zu haben. Schließlich stellt sich heraus, daß der Absender kein anderer als Dr. Vorzet selbst war.

Nur wenigen Regisseuren ist es geglückt, die französische Provinzatmosphäre klarer und schärfer einzufangen als Clouzot. Zwar ist der Film recht destruktiv, da er schonungslos menschliche Schwächen aufdeckt, doch er besticht bis zum Schluß durch seine präzise Figuren- und Milieuzeichnung, viele kriminalistische Schnörkel, eine dramatische Steigerung der Spannungselemente und ein hervorragendes Schauspielerensemble.

Als Meister nervenerregender Andeutung erwies sich Clouzot dann mit "La Salaire de la Peur" (Lohn der Angst, 1953). Zwar hatte er schon in seinen früheren Filmen seine illusionslose Einstellung zu erkennen gegeben, aber seine Schilderung einer erbarmungslos und übermächtig herannahenden Psychose, einer Furcht ohne Gnade, wuchs sich in "Lohn der Angst" zu einem Triumph ohnegleichen aus.

Die Geschichte von vier entgleisten Europäern, die in Las Piedras, einem gottvergessenen Kaff in Venezuela, vor sich hin vegetieren, bis ihnen endlich der Zufall durch einige in Brand geratene Ölquellen zu Hilfe kommt, avancierte zu einem Klassiker des anspruchsvollen Spannungskinos.

Clouzot zeigte in seinem schockierenden Drama menschlicher Angst und Erniedrigung, daß der Mensch, mag er noch so verkommen sein, in dem Augenblick, da er sich gegen sein Schicksal aufbäumt, sich eine Größe verdient, die ihm bis dahin nicht vergönnt war. Und er zeigte, wie seine Helden, sentimentale Zyniker und weichherzige Rüpel - von Yves Montand, Charles Vanel, Peter van Eyck und Folco Lulli mit einer seltenen Intensität dargestellt - diesen Kampf um ihre verlorene Würde aufnehmen, auch wenn ihre Chancen gleich null sind. Clouzot gewann auf der Berlinale 1953 für "Lohn der Angst" den Goldenen Bären und auf den Filmfestspielen von Cannes ebenfalls den Hauptpreis.

In seinem damals heftig umstrittenen Film "Les Diaboliques" (Die Teuflischen, 1954) schien Clouzot sich hingegen selbst übertreffen zu wollen. Auch hier malte er Angst und Schrecken aus, bis dem Publikum schier der Atem verging. Psychologisch hervorragend durchdacht war die Schilderung, wie zwei Frauen - ursprünglich einander feindlich gesonnen - durch den Haß zu einem Mann Mitverschworene werden und wie die betrogene Ehefrau (Vera Clouzot) und die attraktive Lehrerin (Simone Signoret), die Geliebte, den sadistischen Quälgeist eines tristen Landschulheims aus dem Weg räumen.

Was man auch über den schaurigen Inhalt und dessen schockierende Schlußpointe - die auf besonderes Ersuchen von der Kritik seinerzeit nicht verraten werden durfte - sagen mag, so erwies sich der Regisseur der "Teuflischen" als unübertroffener Meister des hintergründigen und beklemmenden Thrillers, der gerade aus seiner Gemächlichkeit und Detailfreudigkeit seine Hochspannung bezieht.

Seine letzten Filme drehte Clouzot Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren. Darunter das Agentendrama "Les Espions" (Spione am Werk, 1957) mit Curd Jürgens, O. E. Hasse und Peter Ustinov in den Hauptrollen und "La Verité" (Die Wahrheit, (1960), die Geschichte eines Mordprozesses mit Brigitte Bardot und Charles Vanel. An die Qualität von "Lohn der Angst" und "Die Teuflischen" - deren Hollywood-Remakes übrigens nie die Bedeutung und Genialität der Originale erreichen konnten - reichten seine letzten Inszenierungen zwar nicht mehr heran, beim Publikum fanden sie dennoch besonderen Anklang.

Henri-Georges Clouzot verstarb am 12. Januar 1977 im Alter von 69 Jahren in Paris. Er wurde auf dem Cimetière de Montmartre beigesetzt, wo auch seine erste Ehefrau Vera Clouzot, die in einigen seiner Filme mitspielte, aber bereits mit 47 Jahren verstorben war, ihre letzte Ruhe gefunden hatte.


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