© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Ein Stadtteil mit Vorbildwirkung
Energiepolitik: Die "solarCity" im oberösterreichischen Linz als Musterbeispiel nachhaltiger Stadtentwicklung
Michael Howanietz

Anfang der neunziger Jahre sah sich die Linzer Stadtverwaltung mit zwei häufigen urbanen Herausforderungen konfrontiert: Zum einen lag die Zahl der Wohnungssuchenden bei 12.000, zum anderen standen 200.000 Einwohnern knapp 180.000 Arbeitsplätze gegenüber. Ein Gutteil der in Linz Beschäftigten lebte folglich außerhalb der Stadtgrenzen, was zu enormen Umweltbelastungen durch den Berufsverkehr führte.

Es galt Wohnraum zu schaffen, um den ausufernden Pendelverkehr einzudämmen - unter Berücksichtigung des 1991 gefaßten Gemeinderatsbeschlusses, dem internationalen Klimabündnis beizutreten, und der "Linzer Agenda 21", die ein konkretes Handlungsprogramm zur nachhaltigen Stadtentwicklung vorsah. Man entschied sich für die Errichtung eines neuen Stadtteils namens Seenbezirk Pichling. Das großzügige Flächenangebot in Nähe der Traun-auen und zahlreicher Badeseen sollten zukunftsweisend genützt werden.

Auf dem Reißbrett entstand binnen weniger Jahre jene Ergänzung des von  Einfamilienhäusern geprägten Wohnbaugefüges des Stadtteils Ebelsberg, die heute Wohn- und Lebensraum für 4.000 Menschen bietet und als solarCity zum internationalen Vorzeigebeispiel der Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts aufstieg. Ökonomie, Ökologie und sozialer Weitblick fanden in der 1992 angelaufenen Planung wie in der ab 1999 in mehreren Bauetappen erfolgten Umsetzungsphase prioritäre Beachtung. Die Gesamtkosten für die Errichtung von 1.300 Wohnungen beliefen sich auf 190 Millionen Euro, wobei zwei Drittel auf den Wohnbau, ein Drittel auf die Schaffung adäquater Infrastrukturen entfielen.

Basiselement des vom Land Ober-österreich und der EU geförderten Projekts ist die Ausstattung der Hausdächer mit Sonnenkollektoren. 3.500 Quadratmeter an Solaranlagenfläche tragen aktiv zur Warmwassergewinnung bei. Das Vorhaben, 34 Prozent des in den Wohnanlagen genutzten Warmwassers durch Sonnenenergie abzudecken, wurde mit einem aktuellen Deckungsgrad von 50 Prozent deutlich übertroffen.

Die Variationen der Solarenergienutzung sind mannigfach. Von großzügigen Fensterflächen geprägte, ostwestorientierte Baukörper, südorientierte Bauten mit zu Solarfassaden funktionalisierten, sechs Meter hohen Wintergärten und Passivhäuser sind die tragenden Elemente der solaren Architektur. Die gesamte städtebauliche Ausrichtung folgt solaren Kriterien. Ihre Höhe sowie die Abstände der Gebäude zueinander wurden so gewählt, daß die Sonne auch während der Wintermonate direkt in die Wohnräume gelangt.

Zusätzlich tragen Niedrigenergiebauweise und ausgeklügelte Maßnahmen zur Wärmedämmung wie der Vermeidung sommerlicher Überhitzung zur Senkung des Energiehungers bei. Der weitere Wärmebedarf wird durch Kraft-Wärme-Kopplung über Fernwärme abgedeckt. Bei dieser Technik der gleichzeitigen Umwandlung von Strom und Wärme wird auch die bei der Stromerzeugung anfallende Wärme nutzbar.

Im Bereich der Abwasserentsorgung kommt ein bewährtes Trennsystem zur Anwendung. Grauwasser (häusliches Abwasser, geringer Verschmutzungsgrad, fäkalienfrei) wird durch einen bepflanzten Sandbettfilter geleitet und dem nächstgelegenen Bach zugeführt. Schwarzwasser (aus Toiletten) wird nach konventioneller Methode über Freispiegelkanäle der Astener Kläranlage zugeleitet. Die üblicherweise ebenfalls der Kanalisationsentsorgung überantwortete, äußerst nährstoffreiche Flüssigkeit des Gelbwassers (Urin aus Separationstoiletten und Urinalen) wird in Abwasserkanälen gesammelt, um schließlich als Dünger in der Landwirtschaft zum Einsatz zu kommen. Das dezentrale Versickern des Regenwassers vermeidet Stauungen. Fallen größere Regenmengen an, werden sie über eigens hierfür konzipierte Kanäle dem nördlich anliegenden Auengebiet zugeleitet.

Auch bestdurchdachte infrastrukturelle Konzepte tragen zunächst wenig zum gedeihlichen Zusammenleben der Gemeinschaft bei. Um das Mit- und Nebeneinander der künftigen Solarstädter auf tragfähige Beine zu stellen, wurden soziale Aspekte und mannigfache Bedürfnisse des Stadtalltags deshalb von Anfang an berücksichtigt.

Der Ortsplatz mit Kaffeehäusern, Bank und Kaufhaus fungiert als Zentrum des sonnengeweihten Bezirks. Persönliche und zwischenmenschliche Befindlichkeiten finden bei den Mitarbeitern des Stadtteilbüros, aber auch einem gesonderten Begegnungs- und Seelsorgezentrum Gehör. Um den Ansprüchen der Kinder- und Familienfreundlichkeit gerecht zu werden, stehen Kindergarten, Familien- und Schulzentrum zur Verfügung, wobei letzteres Volksschule, zwei Klassen eines Realgymnasiums und einen Hort umfaßt.

Der Naherholungsraum im Norden der solarCity bietet Gelegenheit zur naturnahen Freizeitgestaltung zwischen Aktivität und Beschaulichkeit - von Wassersport bis Vogelbeobachtung. Und auch die Linzer Innenstadt ist seit dem im Herbst 2005 erfolgten Anschluß an das städtische Verkehrsnetz binnen einer halben Stunde zu erreichen. Werden die Solarstädter zu ihrer Lebensqualität befragt, scheint die Realisierung der Planungsprioritäten Ökonomie, Ökologie und Soziales in Linz trefflich gelungen und das Modell der solarCity tatsächlich beispielgebend: Fast niemand denkt über einen Umzug nach.

Foto: Solarstadtteil Seenbezirk Pichling: Die Linzer Innenstadt ist binnen einer halben Stunde zu erreichen


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