© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

CD: Pop
Sinnsprüche
Georg Ginster

Jens Friebe macht Musik für die gebildeten Stände und erntet damit Elogen im Feuilleton qualitätsbewußter Medien, während er den Geschmack des Massenpublikums zielsicher verfehlt. In seiner Wirkungsgeschichte manifestiert sich in geradezu schon alarmierender Weise, wie wenig sich das Lob der Meinungsführer unter den Perlensuchern auszahlt. Würden ihre Empfehlungen als Werbebotschaften beachtet, müßten seine Konzerte die großen Hallen der Republik füllen.

Tatsächlich ereignen sich seine Auftritte jedoch in den wenig heimeligen Lokalitäten, die ansonsten den von der kommunalen Kulturförderung bedachten Gymnasiasten-Karaokebands als Bühne für ihre Teilhabe am Weltmusikgeschehen zur Verfügung stehen. Sie locken eine nicht ganz stilsichere Zuhörerschaft an, die ihre Rolle als intellektuelles Prekariat in der Tradition der klassischen, durch die Aki-Kaurismäki-Brille gesehenen Bohème interpretiert und - über das Gefühl hinaus, einem bedeutenden Act beigewohnt zu haben - seinen Darbietungen zumeist nichts weiteres abzugewinnen weiß. Eine traurige Situation für einen Künstler, die er aber mit ironischen Durchhalteappellen an sich selbst und das Publikum zu meistern versteht.

Auch mit seiner dritten CD, "Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache Dir ist nichts passiert" (ZickZack), hinterläßt er ratlose Faszination. Geschult an Foyer des Arts, greift er Stereotypen aus dem banalen Alltagsleben auf, ohne sich in Kleinkunstmanier in Schauspielerei zu verlieren. Wo er auf die Rolle des unbedarften, narzißtischen Trash-Gigolos, die smarte und ganz und gar nicht glitzernde Variante eines Rocko Schamoni, festgelegt zu scheint, durchbricht er diese sogleich durch Sinnsprüche voll sarkastischer Heiterkeit, den freimütigen Wechsel zwischen disparaten Stilebenen sowie assoziative Verknüpfungen bar jeder Berechenbarkeit, in komprimierter Form unterhalb der Drei-Minuten-Grenze besonders gut nachzuvollziehen in dem Lied "Frau Baron" als einem verballhornenden Nachhall längst versunkener Rudolf-Borchardt-Welten.

Ernst waren, ernst sind und ernst bleiben hingegen die Einstürzenden Neubauten, die im begründeten Bewußtsein, längst Musikgeschichte geschrieben zu haben, in den vergangenen Jahren die Innovation eher auf dem Gebiet der Vermarktung im Internet und des unmittelbaren Dialogs mit der Zuhörergemeinde alias "Supporter" suchten und weniger auf jenem der Klangerzeugung.

Als Lebenszeichen für die Massen hat sich die Band nun auch wieder einmal in die Niederungen der klassischen Vertriebswege herabbegeben und eine im Handel erhältliche CD vorgelegt, deren Titel "Alles wieder offen" vom Anspruch kündet, auch nach 27 Jahren des gemeinsamen Musizierens noch für Überraschungen gut zu sein. Eingelöst wird er nur insofern, als die Herren um Blixa Bargeld beweisen, daß sie ihr Niveau zu halten und ihre Selbstinszenierung als epochales Kulturereignis punktuell zu zügeln vermögen - und daß sie tatsächlich ohne nennenswerte Verschiebung der stilistischen Parameter noch in der Lage sind, neue Stücke zu bieten, die unverbraucht klingen.

Um sie goutieren zu können, muß man sich jedoch nicht nur auf die exaltierte Stimme Bargelds einlassen, sondern auch auf seinen pompösen Habitus. Dies ist kein ganz so leichtes Unterfangen, da sein vollmundiges Jonglieren mit Bildungsbrocken aus weit auseinander liegenden Wissensgebieten nicht immer gelingt und sich die Aura des Erhabenen stets aufs neue durch irritierende Einbrüche unfreiwilliger Komik verflüchtigt. Über das überspannte Pathos eines expressionistischen Epigonentums ist die Zeit ein Jahrzehnt nach dem Tod von Heiner Müller als Wahlverwandtem der Neubauten hinweggegangen.


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