© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Stasi-Spione erforschen sich selbst
Geschichtspolitik: Tagung zur Auslandsspionage der DDR-Staatssicherheit an der Universität Odense/Dänemark
Wolfgang Mayer

Auf den ersten Blick will das Thema der Tagung nicht recht zum Veranstaltungsort passen. "Hauptverwaltung A - Geschichten, Aufgaben, Einsichten", lautete der Titel der Veranstaltung, die vor knapp zwei Wochen im Hörsaal 45 der Süddänischen Universität in Odense auf Fünen stattfand. Ursprünglich sollte die Veranstaltung zur Auslandsspionage (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR unter Beteiligung hochrangiger ehemaliger Stasi-Offiziere bereits am 17. Juni in Berlin über die Bühne gehen. Doch daraus wurde nach heftigen Protesten der SED-Opferverbände nichts. Und so traf man sich nun in Dänemark.

Über achtzig ehemalige Stasi-Angehörige, davon reichlich fünfzig hauptamtliche Mitarbeiter, waren mit zwei komfortablen Reisebussen - Tarnfarbe: Blau - aus dem Osten Berlins gekommen. Begleitet von ihren Ehefrauen, Verwandten oder Bekannten, bildete der Stasi-Block ein gutes Drittel der Zuhörer. Trotzdem: Von einem "Betriebsausflug" zu sprechen, wie es dänische Journalisten taten und deutsche Medien übernahmen, trifft gewiß nicht den Kern der Sache.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde vom Generalmajor a.D. Horst Vogel (76) eine Erklärung des wegen Erkrankung fehlenden letzten HVA-Chefs Werner Großmann (78) verlesen. Die Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung habe bis zu ihrer Auflösung 1989/1990 "ihren Auftrag erfüllt, den Frieden zu erhalten ... und nicht wie andere Geheimdienste Staatsstreiche, Ermordungen oder Entführungen durchgeführt. Wir achten und ehren deshalb unsere Kundschafter für den Frieden ...nach wie vor", las der Chef der Stasi-Industriespionage vor, nicht ohne sich für die "gute Atmosphäre"  beim Empfang durch den stellvertretenden Bürgermeister Odenses, Alex Ahrendsen, von der rechtsnationalen Dansk Folkeparti, zu bedanken.

Ohne Zweifel: Die Tagung erhob wissenschaftlichen Anspruch. Dafür sorgten neben dem 32 Jahre alten Organisator Thomas Wegner-Friis etliche renommierte Politikwissenschaftler.

Vor allem die rhetorisch geschliffenen Beiträge der Experten, die sich zur Geschichte der Geheimdienste im Kalten Krieg ausließen, wie etwa Nigel West  (Washington) und Robert G. Livingston (Universität Aberystwyth, Wales) taten diesem Anspruch Genüge. Beeindruckt war man vom sehr belebenden Beitrag von Kristie Macrakis von der Universität Michigan, die über die Rosenholz-Dateien dozierte und Fragen nach deren Bedeutung im Zusammenhang mit der "wissenschaftlich-technischen Aufklärung" stellte. Wer waren die IMs? Wo genau waren diese tätig? Welche Verbindungen unterhielten sie zur HVA? Welche Motive hatten sie für die nachrichtendienstliche Arbeit? Und plötzlich zogen die achtzig alten Herren und Damen ihre Köpfe ein, um ein ganz klein wenig an gewöhnliche Landschildkröten zu erinnern. Dennoch Applaus auch von ihnen.

Die Wissenschaftler trugen ihre Texte weitgehend frei vor - im Gegensatz zu den Stasi-Generälen und -Obristen, denen bereits beim biederen Verlesen ihrer Texte Schönfärberei, Verschleierung, propagandistische Selbstverklärung und politische Rechtfertigung zu attestieren waren.

Ganz zu schweigen von deren Antworten während der Diskussionsrunden. "Das ist doch pure Ideologie!" mußte der Moderator den Stasi-Oberst Gotthold Schramm unterbrechen, um ihn schroff aufzufordern, zum eigentlichen Thema zu sprechen. Schramm hatte von einem "Geheimhaltungsfetischismus" des Bundesnachrichtendienstes (BND), über das "Deutungsmonopol der Sieger" gesprochen und die Freigabe sämtlicher BND-Akten gefordert.

Nicht anders Horst Behnke, der seinen erkrankten ehemaligen Chef, den HVA-Abteilungsleiter Horst Gailant (80), vertrat und prompt für seine "sehr propagandistischen Äußerungen" gerügt werden mußte. "Es gibt wie schon zu DDR-Zeiten eine gezüchtete Stasi-Hysterie durch Leute, die die Wahrheit nicht hören wollen", hatte frech der Ex-Obrist von sich gegeben.

Auch sämtliche anderen  ehemaligen Stasi-Offiziere auf dem Podium schilderten die Arbeit der HVA als "friedenssichernd, erfolgreich und frei von jeder Unterdrückung anderer". Man habe "nicht anders gearbeitet als die Geheimdienste anderer Staaten auch", sagte der 67 Jahre alte ehemalige Oberst Ralf-Peter Devaux. "Wir haben unsere Quellen nie für Zwecke mißbraucht, die humanistischen Zielen widersprachen." Dabei blickte er in die Runde wie ein Rehkitz auf der Autobahn, das von einem Lastkraftwagen angeblendet wird. Ob er denn heute etwas anders machen würde? "Grundsätzlich nein", so seine resolute Antwort. Dennoch seien auch ihm in den letzten Jahren gewisse Zweifel gekommen: "Das Risiko der Informationsbeschaffung und die politische Nutzung dieser Informationen geriet immer mehr aus dem Gleichgewicht."

Als sich mit Jürgen Strahl ein Ex-Stasi-Hauptmann im Hörsaal zu Wort meldete, um die Hinrichtung von ehemaligen "Verrätern" zu rechtfertigen, schien die Stimmung im Auditorium einen Höhepunkt erreicht zu haben. "Haben Sie den Stauffenberg-Film nicht gesehen? Wer Verräter ist, erschießt sich selbst oder wird erschossen. So einfach ist das!" In der folgenden Kaffeepause lobten ihn seine einst höherrangigen Genossen für diesen makabren, zudem politisch unkorrekten Vergleich. Strahl betreibt zusammen mit Frank Osterloh, einem weiteren tschekistischen Hardliner der vergangenen Zeit, im Zentrum von Berlin ein Rechtsanwaltsbüro.

Mit Spannung wurde schließlich der DDR Top-Spion "Topas" erwartet. "Ausgehend von dem Ziel, den 'Sozialismus zu stärken, den Frieden zu sichern' werden meine objektiven und subjektiven Möglichkeiten zur nachrichtendienstlichen Aufklärung der Nato ... beschrieben", hatte Rainer Rupp angekündigt, der jahrelang Nato-Geheimnisse an den Warschauer Pakt verraten hatte. Was hernach kam, war nichts Neues. Nur, daß auch er "einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens" geleistet habe, welcher ihm zwölf Jahre Haft bescherte, von denen er sechs Jahre absitzen mußte.

Der zweite zu Wort gekommene Spion hieß Gabriele Gast und hielt ein Referat über die "Infiltration des BND". Zunächst antwortete sie knapp, aber nicht erschöpfend auf die kritischen Fragen, die  Bernd Lippmann am Vortag aufgeworfen hatte. Lippmann, heute Lehrer in Berlin und Leiter des Stasi-Museums Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße, wurde 1975 nach dreijähriger politischer Haft von der Bundesrepublik freigekauft. Als einzigem SED-Opfer war ihm von vornherein ein zwanzigminütiges Rederecht eingeräumt worden.

Interesse weckten die Ausführungen der ehemaligen BND-Regierungsdirektorin zu den Umständen, wie sie sich 1968 von der DDR-Auslandsspionage hat verpflichten lassen. Die "Kundschafterin für den Frieden" und Expertin für die Sowjetunion wurde 1991 zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sie verbrachte drei Jahre und viereinhalb Monate im Gefängnis. Heute ist sie als Vizepräsidentin des Stasi-Netzwerkes "Initiativgruppe 'Kundschafter des Friedens' fordern Recht (IKF) e.V." tätig und sieht sich nach wie vor als "Objekt einer schonungslosen Strafverfolgung". Bitterkeit erfüllt die ehemalige Doppelagentin, wenn sie von "eklatantem Rechtsbruch" und "Isolationsfolter" spricht.

Nach mehreren Kurzvorträgen wie dem des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom wußte man am Ende der Tagung nicht mehr, was - außer "Frieden" und "Humanität" - die Stasi-Generalität eigentlich an Substantiellem von sich gegeben hatte.

Daß sich ausgerechnet die Forschungsabteilung der Birthler-Behörde dieser Tagung verschlossen hat, ist bedauerlich. Vorzuwerfen ist ihr, nicht bloß aus Prinzip, sondern auch aus Feigheit vor dem "Feind" gekniffen zu haben. Als Beleg hierfür dürfte die Tatsache gelten, daß der erkrankte Stasi-Experte Helmut Müller-Enbergs seinen Beitrag lediglich "als Privatperson" verlesen ließ, nachdem ihm das Auftreten als Mitarbeiter der Behörde untersagt worden war. Die Behörde kündigte mittlerweile dennoch Konsequenzen an: Müller-Enberg droht nun ein Disziplinarverfahren.

Man muß sich keinen Illusionen hingeben: Die Stasi-Bosse sind weit davon entfernt, ihre Verbrechen gegen die elementarsten Menschenrechte einzugestehen. Wer sich jedoch seit Jahrzehnten mit der Materie befaßt und mit sensiblem Ohr genau zugehört hat, dem dürfte nicht entgangen sein, daß diesen linksradikalen Hardlinern ein gewisses Quantum an Bissigkeit verlustig gegangen ist.

Wie auch immer, man konnte seine Meinung korrigieren und sich nunmehr zur Minderheit derjenigen hingezogen fühlen, die sich - im Sinne der Wissenschaft - für die Fortsetzung solcher Konferenzen ausspricht. Dann aber nicht in Dänemark, sondern im vereinten Deutschland. Eine Fortsetzung der Tagung in Odense wird es sowieso nicht geben: Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge betrachten die Veranstalter das "Experiment" mittlerweile als gescheitert und haben den Auftritt der Stasi-Offiziere scharf kritisiert. "Die geistige Verfassung der alten Stasi-Elite hat sich nicht verändert. Diese Personen haben sich mit ihren propagandistischen Äußerungen öffentlich blamiert", zitiert das Blatt eine Stellungnahme der Universität.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen