© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Leben als Existenzkampf
Die Visage vom Winde verweht? - Eher nicht: Gottfried Benn in nie gezeigten Bildern
Knut Baumann

Reisen bildet: auch so ein Gemeinplatz, der Gottfrieds Benns Lakonie nicht standhält. Denn mehr als "Ich impfte das Zwischendeck" wußte der Schiffsarzt über seine Nordatlantik-Passage nach New York im Frühjahr 1914 nicht zu berichten. Und Reiseandenken, Ansichtskarten, Gruppenfotos - Fehlanzeige.

Ein Desillusionierer seines singulären Kalibers kann eben unmöglich Interesse daran haben, daß man sich ein Bild von ihm mache: "Handschriften, Kranzschleifen, Photographien - alles ist schon zuviel", wie es treffend in seinem "Roman des Phänotyp" heißt. "Die Visage vom Winde verweht und nebensächlich", wimmelte er Pressefotografen in Jahren des Altersruhms ab. 

Trotzdem fanden sich im Marbacher Nachlaß und darüber hinaus so erstaunlich zahlreiche Momentaufnahmen aus Benns Existenz im Gegenglück des Geistes, daß Holger Hof  damit einen opulenten Band bestreiten konnte, in der liebevollen Fixierung des Banalen streckenweise angelsächsische home stories übertreffend. Monumentalen Bild-Denkmälern, wie sie bislang Thomas Mann und den Seinen zugedacht wurden, ist damit eine scharfe Konkurrenz erwachsen. "Ein Zeitalter wird besichtigt" - aber nicht aus der Perspektive Manns. 

Denn im Vergleich mit dem Villenbesitzer und stets "in gewohntem Style" in Grand Hotels logierenden Lübecker Großbürgersproß geht es bei dem 1886 geborenen märkischen Pastorensohn Benn zeitlebens preußisch karg zu. Benn hauste immer in "Wohnungen mäßigen bis mittleren Grades", zwischendurch sogar nur möbliert oder in der Kaserne.

Noch die berühmten Altersfotos aus der Praxis-Wohnung in der Bozener Straße 20, die Hof natürlich auch berücksichtigt, zeigen den vom Krieg kaum genesenen Berliner Altbau von seiner schäbigen Seite: Eine Lupe benötigt man nicht, um die Risse im Putz zu erkennen, zu schweigen von den schmuddelig-schiefen Regalen, die den wie Kraut und Rüben wirkenden Büchervorrat des Doktors bergen, der schwerlich eine "Bibliothek" genannt zu werden verdient.

Ob Hof dies beabsichtigte, oder ob ihm das Material keine andere Wahl ließ: Jedenfalls ist diesem Interieur eine hohe hermeneutische Qualität nicht abzusprechen. Denn selbst der weniger versierte Benn-Leser versteht nun: Wer so wohnt, muß ein "götterloser Spättyp" sein, unbehaust-hausend im "Ewig-Sinnlosen".

"Abendländischer Aufstiegsglaube", Predigten von "Fortschritt und Demokratie", wie sie der von Benn verachtete "Humanist" Thomas Mann herumbot, aber auch "viel gepflegter Schmus", den er in Ernst Jüngers Werk entdeckte, waren die Sache des von Nietzsche geprägten Nihilisten nicht. Um gut wattierte Illusionen, bei "Champagner und Baumkuchen" (Th. Mann), bei subtiler Käferjagd und eifriger Bibellektüre (E. Jünger) zu pflegen, dafür verdiente der geschlechtskranke Kreuzberger "Schmutzfinken" behandelnde Facharzt für Haut- und Harnleiden einfach zu wenig.

Die Realitäten ließen sich für Benn daher nicht aussperren. Chri­stentum, kulturprotestantische Sinnstiftung, das war die Welt des Vaters, das agrarische Ostelbien im 19. Jahrhundert, jeder Gedanke daran mitten im großstädtisch-proletarischen Milieu überflüssig.

Daß diese Herkunftswelt den Keim des Untergangs trug, versucht Hof in seiner Collage aus autobiographischen Zitaten und Familienbildern nahezubringen. Ebenso wie die wilhelminische Gamaschenknopf-Tristesse um 1910, die den jungen Militärarzt Benn zum früh­expressionistischen Leichenbeschauer erzog.

Von da an, bis zum Magenkrebstod im Juli 1956, illustriert Hof Benns Leben als Existenzkampf, ungemein dicht, in Alltäglichkeiten versetzend, die der gewöhnlich als der "größte Lyriker des 20. Jahrhunderts" gehandelte Intellektuelle mit den "Massen" teilte, zwei Weltkriege inklusive. So gesehen war Benn auch ein "Repräsentant", wenn auch keiner jener "deutschen Kultur", die Thomas Mann im Überseekoffer transportierte.   

Bedauerlich nur, daß Holger Hof sich etliche Schnitzer von der Güte, Benn habe an der Berliner "Kaiser-Wilhelm-Universität" studiert, leistet oder daß er wieder einmal von intellektuell-moralischen "Tiefpunkten" fabuliert, auf die Benns Schaffen 1933/34 abgesackt sei. Was freilich den Gesamteindruck einer in den Bann schlagenden Vergegenwärtigung eines ohne Furcht und Hoffnung bestandenen Daseins im Epochenbruch kaum trübt.

Holger Hof: Benn. Sein Leben in Bildern und Texten, Klett-Cotta, Stuttgart 2007, gebunden im Großformat, 280 Seiten, 49,90 Euro

Fotos: Gottfried Benn am 9. März 1954 über den Dächern Münchens im Bundesbahnhotel (Aufnahmen von Felizitas Timpe): Ein götterloser Spättyp im Gegenglück des Geistes; Fotopostkarte von Gottfried an Gustav Benn (1. Oktober 1924): Ein ohne Furcht und Hoffnung bestandenes Dasein im Epochenbruch; Tageskalender Gottfried Benns, Eintrag vom 20. Juli 1944, Tag des Attentats auf Hitler und des Geburtstags von Benns Enkelkindern Tine und Vilhelm


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