© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kontinuität
Karl Heinzen

Die Grünen haben auf ihrem Nürnberger Bundesparteitag kühlen Kopf bewahrt und sich für die Fortsetzung ihres eher moderaten sozialpolitischen Kurses entschieden. Der Antrag, man möge in Zukunft für ein durch den Staat gewährleistetes Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat und Person eintreten, das ohne Bedarfsprüfung entweder ausgezahlt oder mit der Lohnsteuer verrechnet wird, erhielt zwar eine respektable Zustimmung von 40 Prozent der Delegierten. Die Mehrheit folgte jedoch dem Willen der Parteispitze und votierte für ein Modell, das bloß eine Verbesserung der sozialen Grundsicherung von Bedürftigten vorsieht.

Damit wahren die Grünen die Kontinuität mit der Politik, die sie in der Ära Schröder selbst mitinitiiert und -gestaltet haben. Das immer noch unter dem Namen der Skandalnudel Peter Hartz firmierende Reformwerk wird nicht verworfen, es soll lediglich vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen und neuer finanzieller Spielräume des Fiskus nachgebessert werden. An der Maxime, Druck auf Arbeitslose auszuüben, daß sie sich gefälligst auch mit einer Stelle zufriedengeben, die nicht ihrer Qualifikation und schon gar nicht ihren finanziellen Erwartungen entspricht, wird unverändert festgehalten.

Die Angst im Kapitalismus soll jedoch nicht so weit gehen, daß jeder, der um seine berufliche Existenz bangt, sogleich fürchten muß, als Clochard zu enden. Panik ist nämlich nicht nur im privaten Leben eine schlechte Voraussetzung für rationales Verhalten, sondern auch in der politischen Meinungsbildung. Wer Stimmzuwächse der Linkspartei in Grenzen halten will, muß daher Verelendungsängsten in der Bevölkerung durch sozialpolitische Zugeständnisse entgegenwirken - eine Ansicht, die unterdessen auch die Unionsparteien teilen.

Von einem Linksruck der Grünen zu sprechen, ist somit unangebracht, und nicht einmal eine Parteitagsmehrheit für ein "Grundeinkommen" hätte einen solchen bedeutet. "Links" sollte, bei aller Verwässerung, die die Lafontaine-Partei mit diesem Begriff betreibt, eigentlich immer noch bedeuten, daß Widerspruch gegen die Ungleichheit von Eigentum und Einkommen erhoben wird. Die Grünen begnügen sich jedoch damit, radikal für die Freiheitsrechte des Individuums unbeschadet von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion und manch anderem mehr einzutreten, ohne die Frage aufzuwerfen, ob sich dieses Versprechen ohne soziale Gleichheit überhaupt einlösen läßt. Insofern sind und bleiben die Grünen eine Partei, die im liberalen Spektrum den fortschrittlichen Flügel besetzt.


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