© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Wirrer Romantizismus
Terrorismus I: Gemeinsamkeiten und Trennendes zwischen RAF und al-Qaida
Fabian Schmidt-Ahmad

Eine seltsame Überlappung herrschte dieses Jahr. Während in den öffentlichen Medien einerseits des Terrors des "deutschen Herbstes" gedacht wurde, erinnerten auch die Schlagzeilen auf eigentümliche Art an die Zeit vor dreißig Jahren. Tatsächlich ist der Terrorismus wieder zurückgekehrt, und es liegt nur nahe, nun den Vergleich zu ziehen.

In einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung sprach der Terrorismus-Experte Wolfgang J. Stützer entsprechend über "RAF und al-Qaida - Kontinuitäten und Brüche terroristischer Bedrohung". Zunächst scheinen die beiden Organisationen wenig gemein zu haben außer dem Umstand, daß sie Terroristen hervorbringen. Weltbild, Zielsetzung, Personal und so weiter - hier erscheinen sie als Antipoden. Aber nicht auf der abstrakt-intellektualistischen Ebene, sondern sowohl im Selbstverständnis als auch in der öffentlichen Wahrnehmung zeigte Stützer frappierende Gemeinsamkeiten auf.

Er  widersprach der noch immer weitverbreiteten Vorstellung der RAF-Terroristen als "Kämpfer für die Sache" im Sinne der Leninschen Revolutionstheorie. Kenne diese eine klare Zweck-Zielsetzung innerhalb des marxistischen Systems, so machte Stützer anhand der Biographien von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof deutlich, daß diese eigentlich jenseits jeglicher Zweck-Zielsetzung operierten. Die "Befreiung der Arbeiterklasse" oder ähnlich rational begründbare Ziele strebten diese in Wirklichkeit nie an. Statt dessen erhielt nach Stützer die RAF ihre innere Motivation aus einem archaischen Muster: dem Prinzip des Selbstopfers. Aus diesem Prinzip, welches Stützer parallel zu Jüngers Beschreibung des Frontkämpfers liest, entwickelte die RAF eine ungeheure Wirkung: "Menschen, die bereit sind, für ein Ziel, wenn es auch noch so vage ist, das höchste Gut, das eigene Leben, einzusetzen, üben eine Faszination aus auf Menschen, die mit dem einen oder anderen Punkt der Kritik der Terroristen übereinstimmen, aber nicht mit den Methoden."

Nur so kann sich Stützer die phasenweise hohe Zustimmung eines Teils der deutschen Bevölkerung zu den Zielen, nicht aber den Methoden der RAF erklären. Keine Nebensächlichkeit, denn nach Stützer ist von diesem sympathisierenden Teil nie eine Art Bekenntnis ausgegangen, daß man sich geirrt habe: "Und ich nehme jemandem nicht ab, daß Schweigen Eingeständnis ist" - eine These mit Brisanz. Denn ebenjener Teil der Bevölkerung betrachte heute den muslimischen Märtyrer mit einer geheimen Bewunderung und rücke sich ebenso wie damals seine romantischen Träume zurecht. Dann habe der Terrorismus "irgendwie" etwas mit Kampf gegen die Unterdrückung zu tun. So wie damals brennende Kaufhäuser in Deutschland "irgendwie" mit dem Vietnamkrieg zusammenhingen, hätten heute Kofferbomben in deutschen Zügen "irgendwie" etwas mit dem Krieg in Afghanistan zu tun.

Doch einen deutlichen Unterschied macht Stützer zwischen der RAF und al-Qaida: Begegneten mit ersteren die heimlichen Sympathisanten Menschen, die ebenso wirr einem Romantizismus nachgingen wie sie selbst, und war deren Auflösung daher so sicher abzusehen wie das Ende eines Rausches, so treffen sie heute mit al-Qaida nicht gleichfalls auf einen Traumgänger. Denn bei aller Fabulierkunst haben diese ein Ziel, sie haben eine konkrete Vorstellung von der Zukunft, die sie erreichen wollen, und versuchen diese ihrer zu revolutionierenden "Klasse" - den Muslimen in der Welt - auch zu begründen. Entsprechendes weist Stützer in den Reden Osama bin Ladens nach. Ihnen entgegen steht jetzt diejenige Generation, die damals jenes "Schweinesystem" bekämpfte oder zumindest den Kampf mit stiller Sympathie betrachtete, heute aber qua Amt ebendieses System verteidigen und jetzt im Alter die Erkenntnis nachholen muß, die sie in ihrer Jugend versäumte.

Zu dieser Erkenntnis wird ganz wesentlich gehören, daß die "Befreiung" des Menschen nicht durch Verantwortungslosigkeit erzielt wird. Denn was hier "Befreiung" heißt, ist dasjenige, was Fichte in seinen "Reden an die deutsche Nation" "Selbstsucht" nannte. Die aber taugt nicht zur Verteidigung der eigenen Ordnung.

Und so klingen Fichtes Worte vor zweihundert Jahren wie eine unheimliche Analyse der Gegenwart: "Bis zu ihrem höchsten Grade entwickelt ist die Selbstsucht, wenn, nachdem sie erst mit unbedeutender Ausnahme die Gesamtheit der Regierten ergriffen, sie von diesen aus sich auch der Regierenden bemächtigt, und deren alleiniger Lebenstrieb wird. Es entsteht ... die traurige Täuschung der Selbstsucht, daß sie Frieden habe, so lange nur die eigenen Grenzen nicht angegriffen sind; sodann nach innen jene weichliche Führung ..., die mit ausländischen Worten sich Humanität, Liberalität und Popularität nennt, die aber richtiger ... Schlaffheit und ein Betragen ohne Würde zu nennen ist. ... Wo aber alles eben genannte sich vereinigt, da geht das gemeine Wesen bei dem ersten ernstlichen Angriffe ... zugrunde ... So geschieht es, daß die Selbstsucht durch ihre höchste Entwicklung vernichtet, und denen, die gutwillig keinen andern Zweck ... sich setzen wollten, durch fremde Gewalt ein solcher anderer Zweck aufgedrungen wird."


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