© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

CD: Neofolk/Pop
Melodram
von Martin Lichtmesz

Unter den Freunden des sogenannten "Neofolk" gibt es eine verschworene Fraktion, die dessen mediterrane Variante allen anderen vorzieht. Die Italophilen unter den Fans schwärmen von den monumentalen Camerata Mediolanense, den kühl-klassizistischen Argine, den rockigen Calle della Morte und natürlich den enigmatisch schillernden Ain Soph. Seit 2005 hat sich eine weitere Gruppe mit nur zwei Veröffentlichungen einen festen Platz in dieser Ruhmeshalle gesichert: die Genueser Band Ianva (so der lateinische Name ihrer Heimatstadt), die sich allerdings nur eingeschränkt in der Tradition des "Folk noir" sieht.

Die vielköpfige Gruppe rund um die beiden Sänger, Texter und Komponisten "Mercy" und Stefania T. D'Alterio bezeichnet ihren Stil lieber als "melodramatischen Pop" oder auch als "archäo-futuristisches" Konzept: "aus der Vergangenheit kommend, in die Zukunft projiziert". Die Bandbreite der Einflüsse reicht von Ennio Morricone über Milva und Dalida, Fabrizio De André, Scott Walker und Marc Almond bis zur Industrial-Legende Boyd Rice. Die Kernmitglieder sind außerdem manische Cineasten, was sich deutlich auf die abwechslungsreiche Dramaturgie der Songs und die visuell berauschende Cover-und Beiheftgestaltung der CDs auswirkt.

Mit dem Konzeptalbum "Disobbedisco!" haben Ianva inhaltlich wie musikalisch neue Maßstäbe gesetzt. "Disobbedisco!" ("Ich gehorche nicht!") und sein (inzwischen vergriffener) Prolog "La Ballata dell'Ardito" erzählten in Form einer Pop-Folk-Oper voller großer Gesten und Gefühle die Liebesgeschichte zwischen der mondänen Sängerin Elettra und dem jungen Major Renzi, der sich nach dem Ersten Weltkrieg Gabriele d'Annunzios Arditi anschließt. Diese besetzten im September 1919 die kroatische Hafenstadt Fiume (heute: Rijeka) und errichteten dort ein theatralisches Regime, dem der italienische König im Dezember 1920 ein Ende bereitete. Der "Commandante" D'Annunzio wiederum ist ein erklärtes Idol der Band, die sich einen seiner berühmten Windhunde als Totemtier ihres Plattenlabels Il Levriero gewählt hat.

Bis zum Erscheinen des nächsten großen Albums ist nun als Wegzehrung für die Fans das 23minütige Mini-Album "L'Occidente" ("Das Abendland") erhältlich. Das auch diesmal ästhetisch umwerfende Cover zeigt wie auf einer nostalgischen Postkarte einen stahlgrauen Luxusdampfer auf einem ebenso stahlgrauen Meer, eine bewußte Anspielung auf Oswald Spengler, der seinen "Untergang des Abendlandes" im Jahre der Titanic-Katastrophe 1912 konzipiert hatte. Dem zynisch-ironischen Untergangspathos des Titelsongs folgt das Stück "Santa Luce dei Macelli", das den Zuhörer in die archaische Welt krypto-heidnischer Rituale entführt, die sich im italienischen Katholizismus noch erhalten haben. Nach einer suggestiven Instrumentalnummer schließt das Album mit der Cover-Version eines klassischen Songs der britischen Folkrocker The Strawbs, die dem Original in nichts nachsteht: "In Battaglia / The Battle" versetzt den ursprünglichen Text um eine Szene aus den englisch-schottischen Kriegen der Jahre 1639/40 in die Isonzo-Schlachten von 1917.

Wie "Disobbedisco!" bietet "L'Occidente" kraftvollen Gesang und eine mitreißende epische Orchestrierung, dazu ein edel gestaltetes Beiheft, diesmal mit einem Motto von Pier Paolo Pasolini: "Gott sei Dank ist es möglich, rückwärts zu gehen ... auch wenn dies einen Mut erfordert, den die Vorwärtsgehenden nicht kennen." Bestellen muß man die CDs direkt auf der Netzseite der Band: www.illevriero.it. Dort finden sich auch englische Übersetzungen der hervorragenden Texte.

CD: L'Occidente, Antica Fonografia Il Levriero, ca. 10 Euro


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