© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Die Bombe tickt weiter
Iran-Politik: Der US-Geheimdienstbericht über das eingestellte Teheraner Atomwaffenprogramm hat nur die akute Kriegsgefahr reduziert
Günther Deschner

Es ist gerade erst sechs Wochen her, da hatte George W. Bush noch in larmoyanten Tönen gewarnt, der Iran könne mit seinem Atomwaffenprogramm einen Dritten Weltkrieg entfesseln. Obwohl er schon längst über das zu erwartende Fazit des erarbeiteten Geheimdienstberichts informiert war, schwadronierte der US-Präsident über den "Schatten eines nuklearen Holocaust", der wegen Teherans "aktiven Atomprogramm" über dem Nahen Osten liege und "die Sicherheit der USA und ihrer Freunde" bedrohe. Der US-Aufmarsch gegen den Iran läuft seit Monaten auf vollen Touren.

Und nun die verblüffende Wendung: Mit ihrer jüngsten gemeinsamen Erklärung, die Mullahs hätten bereits 2003 ihre Pläne zur Entwicklung von Kernwaffen aufgegeben, widersprachen alle sechzehn (offiziellen) US-Geheimdienste Bush. Statt wie vor dem Angriff auf den Irak ein smoking gun aus dem Hut zu zaubern, nahmen sie dem "Führer der westlichen Welt" den Kriegsgrund weg. Daß die Geheimdienste auch feststellten, Teheran könne allerdings sein Programm jederzeit wieder aufnehmen und dann Mitte des kommenden Jahrzehnts tatsächlich über Atomwaffen verfügen, beließ dem düpierten Präsidenten wenigstens die Chance zur Gesichtswahrung. Nichts habe sich geändert, sagte Bush unbeeindruckt vor der Presse.

Er habe den Iran vor dem Geheimdienstbericht für gefährlich gehalten, und er halte ihn auch nach dem Bericht für gefährlich. "Alle Optionen" müßten "auf dem Tisch bleiben". Wie ein fernes Echo kamen die gleichen Formulierungen tags darauf auch aus Berlin und von der EU.

Daß die US-Geheimdienste die iranische Nuklearpolitik nun neu einschätzen, könnte weitreichende Folgen haben. Die einflußreiche New York Times kommentierte, "das letzte Amtsjahr der Bush-Regierung" werde "sich höchstwahrscheinlich völlig neu gestalten". Noch mehr als für Bush ist der Geheimdienstbericht eine Ohrfeige für seinen Vize Dick Cheney. Vor allem er, der entscheidende Abteilungen im Weißen Haus mit gefügigen Parteigängern besetzte, wird von mächtigen "neokonservativen" Lobbyorganisationen unterstützt. Mit dem israelischen Ex-Premier Benjamin Nethanjahu verbinden ihn enge Beziehungen. Kein Wunder, daß Cheney und Bush schon vorbeugend ihr "Verständnis" für den Fall ausdrücken, daß Israel im Alleingang den Iran angreifen würde.

"Ein US-Angriff auf den Iran", freut sich Time Magazine, sei aber nun "vom Tisch". Allerdings geht das Blatt davon aus, daß die Bush-Regierung selbst hinter der Veröffentlichung der Geheimdienstanalyse steht. "Es ist unmöglich, daß eine 180-Grad-Wende, wie sie nun in der Iran-Politik vollzogen wird, ohne die Zustimmung des Präsidenten geschieht." Der Autor, ein hochrangiger Ex-CIA-Analyst, geht davon aus, daß sich in der Regierung selbst die Erkenntnis durchgesetzt habe, daß der Iran "eine Stufe zu hoch ist" und daß ein weiteres militärisches Abenteuer neben Irak und Afghanistan selbst die US-Kraft zu weit strapaziere. Ein neuer Krieg hätte den Dollar vermutlich innerhalb von Stunden in den Keller versenkt, Ölpreise von 200 bis 300 Dollar pro Faß hätten zu einer Weltwirtschaftskrise geführt. Außenpolitisch hätten sich die USA in immer größere Schwierigkeiten gebracht: Rußland hat sich bereits hinter den Iran gestellt. China hat gerade ein neues milliardenschweres Ölabkommen mit Teheran unterzeichnet. In ihrer Haltung zum Iran befinden sich die USA between a rock and a hard place, müssen nämlich zwischen zwei unerfreulichen Alternativen wählen.

Die Rückbesinnung auf diplomatische, politische und wirtschaftliche Instrumente im Umgang mit dem Iran könnte neue Optionen eröffnen. Wenn sich die von Teheran unterstützten Schiiten-Gruppen im Irak in ihrem Verhältnis zur US-Besatzungsmacht zu mehr Kooperation entschlössen, könnte sich auch die Lage in Bagdad deutlich entspannen. Auch im Libanon könnten Fortschritte im Verhältnis zwischen den anti-syrischen (prowestlichen) Gruppen und den pro-syrischen Gruppen, die vom Iran unterstützt werden, möglich werden.

Wie das maue Ergebnis des Nahostgipfels von Annapolis gezeigt hat, sind auch die arabischen Staaten, die an einer Eindämmung des Iran interessiert sind, nicht bereit, einen Krieg zu unterstützen. Bush und Cheney mußten zur Kenntnis nehmen, daß die Araber nicht geeint und nicht zusammen mit Israel gegen den Iran marschieren werden.

Entwarnung ist damit nicht gegeben. Denn bezüglich der Sicherung der globalen Vormachtstellung gilt in Washington noch immer die Maxime von Zbigniew Brzeziński: die USA müßten dazu - wo immer auf der Welt - das Aufkommen jeder auch nur regional dominanten gegnerischen Macht verhindern.

Foto: Bush und Cheney mit Pentagon-Chef Gates (2.v.r.): Kein neues Abenteuer nach Irak und Afghanistan


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