© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Unerfahren, aber telegen
Chaoswochen beim "Spiegel": Fernsehmoderator Claus Kleber soll Stefan Aust ablösen
Andreas Wild

Seit Wochen tobt in der Medienbranche ein Sturm im Wasserglas: Geschäftsführer und Mehrheitseigner des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel haben den Ende 2008 auslaufenden Vertrag ihres Chefredakteurs Stefan Aust (61) nicht verlängert, das heißt Aust ist gefeuert worden, und zwar unter schnödesten Umständen. "Rein zufällig", durch eine Indiskretion, während er auf Bali Urlaub machte, erfuhr der Mann von seiner Absetzung.

Gründe dafür wurden in all den Tagen seit der De-facto-Kündigung  nicht genannt, sowenig wie der Name eines Nachfolgers. Erst seit dem letzten Wochenende steht dieser Nachfolger nun fest. Es ist Claus Kleber (52), bisher Leiter und Chefsprecher des ZDF-"heute journals", ein  Jurist und gelernter Hörfunk- und Fernsehreporter mit null Erfahrung in Druckmedien.

Die Verwunderung bei Kollegen und engagierten Kommentatoren ist groß. Weshalb ausgerechnet Kleber, mit dessen Berufung faktisch keiner der Auguren gerechnet hatte? Und weshalb überhaupt die Trennung von Aust? Hatte der nicht in seinen dreizehn Jahren als Chefredakteur die Auflage, wie es überall heißt, "in schwierigen Zeiten auf hohem Niveau gehalten"? Hatte er den Spiegel nicht erfolgreich "in die politische Mitte" geführt, ihn in ein neoliberales Zeitgeistorgan verwandelt und so in der deutschen Presselandschaft "die Meinungsführerschaft erobert"? Wieso trennt man sich plötzlich "von seinem besten Pferd"?

Für unbeteiligte, objektive Beobachter kommt der Wechsel allerdings nicht allzu überraschend. Über lange Zeit stagnierende Auflagen sind noch nie und nirgendwo als Erfolgsausweis vorzeigbar gewesen, besonders wenn man die Tricks einrechnet, mit denen finanzstarke Pressekonzerne und also auch der Spiegel ihre Auflagenentwicklung manipulieren und beschönigen. Was den Absatz betrifft, war Aust kein Siegertyp, eher ein grauer Lagerverwalter. Gäbe es die vielen teuren Luxusanzeigen der Industrie nicht, die dem Hamburger Magazin seit Rudolf Augsteins Zeiten fast gewohnheitsmäßig zufallen - der Spiegel würde rote Zahlen schreiben.

Auch mit der behaupteten Meinungsführerschaft ist es nicht weit her. Meinungsprägend für die Debatten des politisch-medialen Komplexes wie für den Smalltalk am Arbeitsplatz des "kleinen Mannes" ist nicht der Spiegel, sondern - neben dem Fernsehen - die Bild-Zeitung. Im Spiegel unter Aust gab es kaum noch genuine Meinungsbeiträge, weder von eigenen Mitarbeitern noch von wichtigen Meinungsträgern außerhalb der Redaktion noch gar von Aust selbst. Das Meinungsklima auf den Seiten des Magazins und in seinen Internetbeiträgen trieft heute geradezu vor Political Correctness, als würde es von Frau Merkel und Herrn Beck höchstpersönlich gestaltet.

Heikel verhält es sich auch mit der investigativen Kraft der Aust-Truppe. Keiner der großen Skandale der letzten Zeit ist von den Hamburgern aufgedeckt worden, weder der VW-Skandal noch der Siemens-Skandal oder der "Gammelfleisch"-Skandal. Als man im Spiegel-Feuilleton anfing, sich in epischer Breite über den Skandal des grassierenden "Regietheaters" aufzuregen, pfiffen das die Spatzen der FAZ (Stadelmeier) und anderer Zeitungen längst von den Dächern. Der Spiegel trottet seit langem  immer  hinterher, außer es geht um das Lieblingsthema von Aust, den RAF-Terrorismus und seine "Aufarbeitung". Da wird dann der Leser mit ganzen Serien behelligt.

Das Kuriose an der jetzigen Spiegel-Affäre ist: Außer von der Augstein-Tochter Franziska, die den Spiegel in seiner derzeitigen Verfassung schon vor Jahr und Tag als "zahnloses Allerweltsorgan" brandmarkte, ist die Misere offensichtlich von keiner der verantwortlichen Kräfte registriert oder auch nur bemerkt worden. Stefan Aust wurde nicht wegen seiner wirklichen Fehler bzw. Versäumnisse ausgebootet, sondern weil er den Anteilseignern strukturell unbequem geworden war.

Bekanntlich haben die Augstein-Erben, Franziska und ihre beiden Brüder Jakob und Julian, mit einem Aktienanteil von 24 Prozent keinen gesetzlichen Einfluß auf das Geschehen an der Hamburger Brandstwiete. Herr der Entscheidungen ist die Mitarbeiter KG, an die der Magazingründer einst die Mehrheit der Anteile (50,5 Prozent) abgegeben hatte. Mächtig ist außerdem noch die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr mit 25,5 Prozent, die wahrscheinlich mit einen Zerfall der Mitarbeiter KG in absehbarer Zeit rechnet und bereit steht, die volle Macht zu übernehmen. Aust paßte zuletzt nicht mehr in das Magnetfeld dieser Gruppen hinein, und deshalb muß er jetzt gehen.

Er war vielen in der Mitarbeiter KG "zu wenig links", zu wenig SPD- und Grünen-nah. Wichtiger noch und letztlich entscheidend: Er war, wie jeder Manager mit hohem Gehalt, nicht nur an Gewinnausschüttung interessiert, sondern auch und vorrangig an Rücklagen, an strategischen Reserven und  Investitionsmitteln - alles Hekuba für die Mitarbeiter KG, deren primäres Interesse nicht dem Unternehmen als solchem gilt, sondern der persönlichen Einkommensteigerung. "Die Mehrheitseigner  des Spiegel", konstatierte kürzlich ein Wirtschaftsfachmann in der Welt, "sind drauf und dran, das Vermögen der Firma zu verfrühstücken." Dem versuchte sich Aust allem Augenschein nach zu widersetzen.

Zudem war er für das populäre Bewußtsein der Mitarbeiter habituell nicht attraktiv genug, zu schroff, zu wenig "fernseh-kompatibel", zu wenig charmant im persönlichen und öffentlichen Umgang. Speziell diese Mängel im Habitus sollen nun durch die Berufung von Claus Kleber energisch ausgebügelt werden. Denn Kleber ist hier genau das Gegenteil von Aust, zugänglich und charmant, als Fernsehstar und ZDF-Nachrichtenchef landesweit bekannt, geprägt von jener sowohl mundfrischen wie öligen Jovialität, die er sich in den USA von Peter Jennings abgeguckt hat und die bei hiesigen Spießern so gut ankommt.

Ob er darüber hinaus das Geschäft mit gedruckten Magazinen beherrscht, ob er sich (als erklärtermaßen sonniges Gemüt und "eher einzelgängerischer Reportertyp") überhaupt in einer solchen Schlangengrube, wie es die Spiegel-Redaktion ist, zurechtfinden kann, ob er etwas von privatwirtschaftlichen Gewinnkalkülen und Risiken versteht - all das spielte offenbar bei der Entscheidungsfindung der Mitarbeiter KG eine Nebenrolle. Hauptsache, man hat endlich einen schwachen Chef, der nicht allzu sehr stört, und dazu eine fernsehbekannte Medien-Ikone, die sich stromlinienförmig in den Zeitgeist einfügt, einerlei ob er von links oder aus der sogenannten Mitte weht, ob er neoliberal oder irgendwie sozialistisch ist.

Für den Spiegel dürften schwere Zeiten kommen, und Exzellentes wird am Ende wohl kaum dabei herauskommen. Vielleicht eine Art Vanity Fair, ein Jahrmarkt, pardon, ein Sturmgeschütz der Eitelkeiten. Rudolf, hilf!

Foto: ZDF-Moderator Claus Kleber, "Spiegel"-Hochhaus in Hamburg: Ob er sich in einer solchen Schlangengrube überhaupt zurechtfindet?


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